Man könnte hysterische Heulkrämpfe bekommen: Der stationäre Handel muss abermals dicht machen, während die Supermärkte und die Online-Versender erneut von der Gunst der Stunde profitieren. Just vor Weihnachten! Soweit, so schräg. Doch diese irre Zeit der pandemischen Verwerfung hat uns auch gelehrt: Es kann morgen schon wieder anders sein. Und an dieser Hoffnung sollte man sich jetzt erbauen.
Hieß es bis vor kurzem nicht überall und allenthalben, man müsse in gastronomische Erlebnisse investieren, um den Kunden mehr als nur das Vergnügen des Produkt-Erwerbs zu bieten? Cafés statt Regale? Nun gut… wer diesen Weg gegangen ist, steht jetzt doppelt am Berg. Also, liebe Einzelhändler, bleibt bei Euren Stärken und behaltet die Nerven.
Der stationäre Handel wird sein Comeback haben. Weil Läden nicht nur der Befriedigung eines Beschaffungs-Impulses dienen, sondern darüber hinaus soziale Orte der Begegnung, des Erlebens und der Horizonterweitung sind. Im Netz findet man das, was man nicht kannte, in der Regel nicht – weil man ja nicht danach sucht. Im Laden kann genau das passieren: Man sieht etwas, von dem man bisher nicht wusste, dass man es haben muss. Man lebt und erlebt.
Um nach dem (hoffentlich zielführenden) Shutdown ein glorreiches Comeback zu feiern, sollte der stationäre Handel sich seiner Vorteile bewusst werden. Denn ein Laden hat vieles zu bieten, das ein reiner Online-Shop nicht hat.
Schaufenster: Die Läden mögen zwar geschlossen sein, die Leute gehen trotzdem raus und an ihnen vorbei. Ein Schaufenster spricht auch dann zu den Menschen, wenn sie es nicht erwarten. Diese «Visitenkarte» bitte jetzt so beherzt wie nur möglich pflegen – um Rabatte geht es ja nun nicht, sondern um: Hoffnung. Inszenieren Sie jetzt eine Botschaft für die Zukunft – die Passanten werden es Ihnen danken.
Kontext: Bilden Sie Banden! Der stationäre Handel hat nur Zukunft, wenn er am gleichen Strick zieht. Wenn er Communities bildet. Solidarisieren Sie sich mit Ihren Nachbarn und Ihrer Straße, inszenieren Sie mit diesen eine gemeinsame Botschaft. Jedes Quartier hat seine Stories, seine Stärken, seine Anziehungskraft. Nutzen Sie die die umsatzfreie Zeit, um sich zu solidarisieren, verbinden und kontextualisieren.
Menschen: Warum werden die Leute im Lockdown die Läden vermissen? Nicht der dicken Luft, der engen Kabinen und des schlechten Lichts wegen! Wohl aber wird jetzt, wo nur noch abgeholt oder online eingekauft wird, der «human touch» bitter fehlen. Großes Kapital für die Zukunft! Bilden Sie Ihre Leute weiter, arbeiten Sie am Mindset, schaffen Sie eine Kultur des menschlichen Miteinanders. Es wird sich dann auszahlen, wenn die Türen wieder offen sind.
Sinnliche Erlebnisse: Einkaufen ist längst nicht mehr nur Bedürfnisbefriedigung oder Beschaffung von Notwendigkeiten. Es ist ein Stück Zivilisation, Freizeitkultur und Lebensart. Im stationären Handel kaufen die Menschen mit allen Sinnen. Bereiten Sie sich jetzt darauf vor, dass Ihr Laden im Frühling gut aussieht, gut klingt, gut riecht und sich gut anfühlt. Wer die Sinne der Menschen berührt, hat einen enormen Vorteil gegenüber jenen, die nur auf Klicks hoffen.
Convenience: Wir halten uns über Wasser, indem wir alle versuchen, kleine Amazons zu sein: Schnelle Vollstrecker von Online-Bestellungen. Doch seien wir ehrlich: Nichts ist so bequem, schnell und easy wie der Einkauf im Laden. Keine Lieferscheine, keine Versandbestätigungen, keine Kartons, kein Warten am Postschalter. Einpacken, kassieren – und weiter: Das kann nur der stationäre Handel. Bereiten Sie sich darauf vor, diesen Prozess mit modernsten Tresen, einem neuen «Check-out» und mobilen Kassensystemen so entspannt wie möglich zu machen.
Und jetzt bitte alle singen:
It took all the strength I had not to fall apart,
kept trying hard to mend the pieces of my broken heart
And I spent oh-so many nights just feeling sorry for myself
I used to cry,
but now I hold my head up high
And you see me:
Somebody new!
I'm not that chained-up little person still in love with you
And so you felt like dropping in and just expect me to be free
Well, now I'm saving all my lovin' for someone who's loving me
Gloria Gaynor – I will survive (1978)
Jeroen van Rooijen betreibt mit seiner Frau in Zürich den Concept Store „Cabinet“. Bitte lesen Sie dazu auch Eine Lanze für den Einzelhandel.