Vordergründig mag es so aussehen, als sei Bekleidung ein Business von gestern. Klar: Eine Hose ist eine Hose ist eine Hose. Die Bekleidungs-Produktion, im 19. und 20. Jahrhundert eine deutsche Schlüsselindustrie, ist mittlerweile in die Dritte Welt abgewandert. Und der Einzelhandel fällt einem auch nicht unbedingt ein, wenn von "Kreativindustrie" die Rede ist. Und es ist ja leider auch so, dass vielen im Modehandel nichts anderes mehr einfällt, als auf die Preis-Pauke zu hauen. Wie das halt so ist in reifen Märkten: da ist wenig Innovation, es gibt von allem zu viel, alle machen irgendwie das Gleiche. Und am Ende gewinnt derjenige, der Produkte am effizientesten zu vermarkten versteht. Neidisch schielen wir auf andere Konsumgütermärkte, wo ein Anbieter wie Apple mit innovativen Produkten und sensationellem Marketing den Markt aufrollt. Ein iShirt ist indes nicht in Sicht.
Das ist gleichwohl nur die halbe Wahrheit. Genau besehen gibt es im Modebusiness jede Menge Innovation. Und die besteht nicht nur im Modewandel, der ja gewissermaßen systemimmanent ist. Insbesondere bei den Stoffen, im Funktionsbereich, hat sich in den vergangenen Jahren Gewaltiges getan. Die Integration von Technologie und Bekleidung bei Wearables ist bisweilen etwas verkrampft, aber die eine oder andere nützliche Idee ist dabei schon entstanden. Eher spielerisch und selbstverständlich gehen junge Designer wie Trikoton und Schmidttakahashi mit den neuen Möglichkeiten um.
Insbesondere das Internet ist ein Katalysator neuer Geschäftsideen. Es hat manches Geschäftsmodell erst möglich gemacht (Spreadshirt). Und die Reichweite des World Wide Webs hat Marktnischen wie beispielsweise Meterwaren wieder interessant gemacht (Stoffe.de).
Es profitieren auch die Anbieter von Maßkonfektion. Maßschneider wie Dolzer oder Maile sind nicht zuletzt über das Web überregional erreichbar geworden. Im Hemdenbereich haben sich Anbieter wie Tailorstore und YouTailor fest etabliert. Die Hürde, die es bei der Bestellung zu nehmen gilt, ist freilich das Maßnehmen. Das ist zeitaufwändig und fehleranfällig. Und solange das Vermessen über Webcam mittels eines Systems wie UPcload noch nicht wirklich verbreitet ist, wird das auch so bleiben.
Andreas Ramm hat sich überlegt, wie man diese Hürde umgehen kann. Bei "Lieblingshemd" kann man ebendieses nachschneidern lassen. Jeder Hemdenträger kennt das Problem, dass sein bestes Stück verschleisst. Und allzu häufig ist es nicht mehr nachzubekommen. "Lieblingshemd" löst das Problem. Über die Website kann man unter 30 Stoffen eine Auswahl bestellen. Den zuhause gewählten Stoff schickt man zusammen mit seinem Lieblingshemd zurück. In der Hamburger Hemdenmanufaktur von Ramm wird es dann detailgetreu nachgenäht. Um drei Wochen später den Kunden zu erfreuen. Der Aufwand hat seinen Preis: 159 Euro beim ersten Mal (bzw. 189 Euro für eine Bluse), 129 Euro bei Folgeaufträgen.
Andreas Ramm, der nach Studium in Oestrich-Winkel, Buenos Aires und Chicago fünf Jahre lang Berater bei Roland Berger war, hat sich mit der Geschäftsidee im vergangenen Frühjahr selbstständig gemacht. Das bisherige Feedback des Marktes sei mehr als zufriedenstellend, so der 35jährige. Die Kapazitäten in seiner kleinen Hamburger Manufaktur sind allerdings begrenzt, weshalb der Jungunternehmer Partner aus der Industrie sucht, die ihn auf seinem Wachstumskurs begleiten. Vielleicht findet sich ja auf diesem Wege jemand…
Lieblingshemd ist nur ein Beispiel für eine innovative Geschäftsidee. Ramm erfindet weder das Hemd neu, noch die Hemdenproduktion, und er wird auch den Markt mit "Lieblingshemd" bestimmt nicht aufrollen. Aber er löst ein sehr spezielles Problem, das passionierte Hemdenträger kennen. Die wird er, wenn er die versprochene Qualität liefert, zu treuen Kunden machen. Und sich mit einem kreativen Ansatz in einem mehr als gesättigten Markt etablieren.
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