Lea quer

„Wir investieren in Deutschland eher in Excel-Tabellen als in Ideen“

„Wir müssen Gründen als echte Karriere-Option etablieren“, sagt Lea Sophie Cramer. Im SUITS.Talk spricht die AMORELIE-Gründerin über Start-up, Leadership und Unternehmertum in Corona-Zeiten und darüber hinaus.
Lea Sophie Cra­mer

Frau Cra­mer, Sie sind im ver­gan­ge­nen Jahr bei AMORELIE aus­ge­stie­gen. Was kann nach einer erfolg­rei­chen Sex­t­oys-Revo­lu­ti­on eigent­lich noch kom­men?

Hof­fent­lich vie­le wei­te­re erfolg­rei­che Revo­lu­tio­nen. Was mich bei AMORELIE immer ange­trie­ben hat war das Ver­schie­ben von gesell­schaft­li­chen Gren­zen. Wir haben das Lie­bes­le­ben ent­ta­bui­siert und es als inte­gra­len Bestand­teil des eige­nen Life­styl­es eta­bliert. Dar­auf bin ich stolz. Gleich­zei­tig gibt es ande­re Berei­che, in denen wir gesell­schaft­lich noch viel zu tun haben: Die man­geln­de Finan­cial Liter­acy von Frau­en ist zum Bei­spiel ein The­ma, das mich gera­de umtreibt.

Sie waren gera­de 25 Jah­re, als sie zusam­men mit einem Part­ner AMORELIE gegrün­det haben. Wie ist es Ihnen als jun­ge Frau im Inves­to­ren-Dschun­gel damals ergan­gen? Was waren die Hür­den, die Sie als Start-up Grün­de­rin neh­men muss­ten?

Die Her­aus­for­de­run­gen bei der Grün­dung waren für mich genau die glei­chen wie die mei­nes männ­li­chen Mit­grün­ders: Wir muss­ten ler­nen, Leu­te zu füh­ren, ein funk­tio­nie­ren­des Team zu bau­en und unse­re Rol­le fin­den, um als CEOs auch Chief Moti­va­tio­nal Offi­cer zu sein. Gleich­zei­tig muss­ten wir Inves­to­ren über­zeu­gen und ein Busi­ness Modell für einen tabui­sier­ten Markt fin­den, in dem man noch nicht mal wirk­lich Mar­ke­ting betrei­ben durf­te. Weil Sex­t­oys in der Wer­be­re­gu­lie­rung gleich­auf mit Glücks­spiel, Tabak, Waf­fen und Alko­hol ran­gie­ren. Den Inves­to­ren muss­te immer klar sein: Sie inves­tie­ren in ein gleich­be­rech­tig­tes Team. Als in einem Gespräch ein Inves­tor per­ma­nent nur mei­nen Mit­grün­der ange­guckt hat, habe ich irgend­wann gesagt: “Sie machen das sicher­lich nicht absicht­lich, aber sie müs­sen anfan­gen mich anzu­gu­cken. Ich bin nicht das PR-Gesicht der Fir­ma, son­dern eine der zwei Geschäfts­füh­rer der Fir­ma, in die Sie inves­tie­ren möch­ten”. Das hat gehol­fen, und wir sind heu­te noch ver­traut.

Sex­spiel­zeug gesell­schafts­fä­hig machen – was brauch­te es da, neben der guten Idee, noch zum Erfolg als Unter­neh­me­rin?

Begeis­te­rungs­fä­hig­keit, Biss und stra­te­gi­sche Krea­ti­vi­tät! ‚Es gibt zwei Arten sein Leben zu leben: ent­we­der so, als wäre nichts ein Wun­der, oder so, als wäre alles eines‘, hat schon Albert Ein­stein gesagt. Also: Nur wer sich in sei­ne Idee ver­liebt und das auch aus­strahlt, kann ande­re von der Idee über­zeu­gen. Biss ist das A und O. “Geht nicht, gibt’s nicht” ist im Start­up das wich­tigs­te Mot­to. Bei einem “Nein” wird nicht auf­ge­ge­ben, son­dern über­legt: “Wie wür­de es denn trotz­dem gehen?”. Ein Dick­kopf und etwas Starr­sinn hel­fen. Außer­dem gehen Grün­der, wenn es hart wird, in den Wind und kämp­fen sich durch Unwet­ter durch. Als Grün­der muss man krea­tiv und dyna­misch sein und sich Ver­än­de­run­gen anpas­sen. Man muss neue Ideen ent­wi­ckeln, Inno­va­tio­nen erken­nen und tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lun­gen opti­mal ein­set­zen. Für die­se stra­te­gi­sche Krea­ti­vi­tät braucht es Fle­xi­bi­li­tät im Kopf.

War­um sind Sie bei AMORELIE aus­ge­stie­gen?

Ich habe mir immer vor­ge­nom­men zu gehen, wenn eigent­lich alles in mir sagt: ‚Bleib!‘ Das war 2019 der Fall. Wir hat­ten span­nen­de neue Pro­jek­te und Märk­te gelauncht und Koope­ra­tio­nen mit Part­nern wie Dou­glas gestar­tet. Gleich­zei­tig wuss­te ich, die Fir­ma braucht jetzt für die nächs­te Pha­se von Inter­na­tio­na­li­sie­rung und Ska­lie­rung jemand ande­res als mich. Unser wich­tigs­ter Wert bei AMORELIE war immer: ‚No Ego. Com­pa­ny First. Always!‘. Das woll­te ich vor­le­ben. Mit der Apple-Mana­ge­rin Clai­re Mid­wood hat­ten wir die per­fek­te Beset­zung für die CEO-Rol­le gefun­den. Ich konn­te mit abso­lu­tem Ver­trau­en gehen. Dafür bin ich sehr dank­bar.

Als Führungskraft sollte man seinem Team dienen. Das heißt auch: So viel es geht möglich machen, damit jeder sein volles Potenzial ausschöpfen kann.

Sie haben zwei klei­ne Kin­der zuhau­se. Ist das Mut­ter­sein mit Ihrem Unter­neh­mer­geist doch nicht so leicht ver­ein­bar?

Stel­len Sie die­se Fra­gen den Män­nern auch? Im Ernst: Ich bin lei­den­schaft­li­che Unter­neh­me­rin und Mut­ter. Es ist nie ein­fach, alles unter einen Hut zu brin­gen und bei uns funk­tio­niert das auch nur mit einem gro­ßen Sup­port­sys­tem von Groß­el­tern, Aupair und so wei­ter. Mir ist vor allem wich­tig, dass ich mei­nen Kids vor­le­be, dass sie alles sein kön­nen – Herz­blut-Unter­neh­mer, Voll­zeit-Eltern, was auch immer ihr Traum ist.

Wie soll­te man in die­sem Zusam­men­hang Lea­der­ship neu den­ken?

Als Füh­rungs­kraft soll­te man sei­nem Team die­nen. Das heißt auch: So viel es geht mög­lich machen, damit jeder sein vol­les Poten­zi­al aus­schöp­fen kann. Für arbei­ten­de Eltern heißt das Fle­xi­bi­li­tät ermög­li­chen, Ver­ständ­nis zei­gen, Rah­men­be­din­gun­gen schaf­fen, in denen man Kids und Job gut ver­ei­nen kann. Bei AMORELIE haben wir über 70 Pro­zent Frau­en in Füh­rungs­po­si­tio­nen, wir orga­ni­sie­ren Not­fall-Nan­nys und haben sogar schon mal über die Ein­rich­tung einer Betriebs­ki­ta dis­ku­tiert. Lea­der­ship meint hier: Fra­gen, was die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter brau­chen, um ihre Leis­tungs­fä­hig­keit aus­zu­schöp­fen.

Heu­te sind Sie selbst Inves­to­rin und immer noch so gut wie allein unter Män­nern…

Es ist ein ech­tes Pro­blem, dass es so weni­ge Inves­to­rin­nen gibt. Ers­tens macht das wirt­schaft­lich kei­nen Sinn, da diver­se Teams bes­se­re Ergeb­nis­se erzie­len. Und natür­lich weil Frau­en über 70 bis 80 Pro­zent der gesam­ten Kon­sum­aus­ga­ben ent­schei­den und des­halb eine unglaub­lich wich­ti­ge Rol­le beim Ver­ständ­nis von Pro­dukt­trends ein­neh­men. Zwei­tens sehe ich schon einen Zusam­men­hang, dass der Man­gel an weib­li­chen Inves­to­ren auch zu einem Man­gel an Invest­ments in von Frau­en geführ­te Start­ups führt. Weni­ger als ein Pro­zent des Ven­ture Capi­tals in Euro­pa geht laut Ato­mico an von Frau­en geführ­te Start­ups! Das liegt viel­leicht auch dar­an, dass es unbe­wuss­te Vor­ur­tei­le gibt, oder dass männ­li­che Inves­to­ren bestimm­te Fem­Tech-Pro­duk­te nicht ver­ste­hen.

Wie steht es um die deut­sche Start-Up-Sze­ne? Braucht Deutsch­land mehr Grün­der­geist?

Der Grün­der­geist ist in Deutsch­land echt unter­ent­wi­ckelt. Das kann man schon bei den Inves­to­ren sehen. Wäh­rend die Ame­ri­ka­ner ‚Think Big‘ mit der Mut­ter­milch auf­sau­gen, über­wie­gen in Deutsch­land die Beden­ken­trä­ger. Wenn es noch kei­nen bestä­tig­ten und soli­den Busi­ness Case gibt, sieht es mit Inves­ti­tio­nen ganz schlecht aus. Wir inves­tie­ren hier eher in Excel-Tabel­len als in Ideen. Aber auch bei poten­zi­el­len Grün­de­rin­nen und Grün­dern sehe ich noch Auf­hol­be­darf: Wir müs­sen Grün­den als ech­te Kar­rie­re-Opti­on eta­blie­ren. Nicht nur für die BWLer. Wer aus der Uni kommt, soll­te das Unter­neh­mer­tum genau wie die Konzern‑, Bera­tungs- oder Öffent­li­cher Dienst-Lauf­bahn ken­nen und in Betracht zie­hen.

Bedroht die Coro­na Kri­se eine gan­ze Gene­ra­ti­on jun­ger Unter­neh­mer?

Start­ups wur­den in den Ret­tungs­schir­men der Poli­tik lan­ge ver­ges­sen. Erst durch den Druck des Star­tup­ver­bands gibt es nun end­lich Unter­stüt­zung, vor allem für VC-finan­zier­te Start­ups. Die Bedro­hung ist gera­de für vie­le klei­ne Start­ups exis­ten­zi­ell; auch weil sie kei­ne Bank­kre­di­te bekom­men kön­nen. Mich hat beein­druckt, dass vie­le Grün­de­rin­nen und Grün­der trotz­dem nicht den Kopf haben hän­gen las­sen, son­dern zum Bei­spiel mit­ge­hol­fen haben, Schutz­be­klei­dung oder Atem­mas­ken zu pro­du­zie­ren oder die Ent­wick­lung der Coro­na-App zu pushen. Das war für mich mal wie­der ein Beweis, war­um wir die Start­up-Sze­ne so drin­gend brau­chen und war­um mein Herz an ihr hängt. Nein, Unter­neh­mer­tum wird es immer geben und viel­leicht in Kri­sen­zei­ten sogar noch not­wen­di­ger als vor­her.

Lea-Sophie Cra­mer (33) grün­de­te 2013 zusam­men mit Sebas­ti­an Pol­lok AMORELIE. Der Ber­li­ner Sex­t­oys-Ver­sen­der beschäf­tigt heu­te über 100 Mit­ar­bei­ter und ist in 15 Märk­ten aktiv. Zusam­men mit ande­ren Busi­ness Angels grün­de­te Cra­mer 2014 Starstrike Ven­tures, um ihre Grün­dungs­er­fah­rung wei­ter­zu­ge­ben und in jun­ge Start­ups zu inves­tie­ren. 

Das Inter­view führ­te Clau­dia Otte.

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