„Ich weiß nicht, aber dieser Beitrag ist seltsam… während du Nudeln isst und Bilder postest, ist deine Familie in der Ukraine und betet für Frieden. Das ist völlig unangebracht.“ Im ersten Moment reagierte Viky Rader auf die Kritik einer Followerin an ihrem Lunch-Foto noch schnippisch („Soll ich aufhören zu essen?“). Doch dann hat sich die in der Ukraine geborene Influencerin doch entschieden, ihre Zelte in Mailand abzubauen, wo sie am Tag davor noch bei Max Mara im sexy Leo-Outfit und bei Prada in abgewetzter Lederjacke und Minirock posiert hatte. Seitdem postet Rader, deren Eltern in der Ukraine ausharren müssen, täglich Solidaritätsadressen und Friedensaufrufe. Dass diese ihr zehnmal so viele Likes einbringen wie üblich, zeigt, was die Leute zurzeit wirklich bewegt.
Der verbrecherische Angriff auf die Ukraine lässt uns alle fassungslos dastehen, und wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen. Vieles erscheint entsetzlich profan angesichts der Tragödie, die sich keine zwei Flugstunden von Berlin entfernt abspielt. Das gilt auch und gerade für unser Metier, das in guten Zeiten das Leben verschönert und in schlechten Zeiten – brutal gesagt – überflüssig erscheint.
Vielleicht ist es da eine gute Idee, wie die TW „Ohnmacht“ zur ukrainischen Flagge zu titeln. In einer „normalen“ Woche hätten der Abgang von Hugo Boss-Vorstand Ingo Wilts, die Gerüchte um einen Ralph Lauren-Verkauf, Amazons Ladenschließungen oder die Rekordbilanz von Zalando für Gesprächsstoff gesorgt. Man hätte gespannt auf die Mailänder Premieren von Matthieu Blazy für Bottega Veneta und Glenn Marten für Diesel geschaut und sich über die Adidas-Anzüge von Gucci amüsiert.
Wo Gut und Böse so eindeutig geklärt sind, fällt Position beziehen nicht schwer. Mit einem Post auf Instagram lässt sich billig Applaus ernten. Schwieriger wird es, wenn konkret gehandelt werden muss.
In Mailand hatten die Modemacher den Krieg noch ignoriert. Nur Armani reagierte am Sonntag, indem er bei seiner Show die Musik abdrehen ließ. Inzwischen gibt es kaum Unternehmen, Marken oder Manager, die sich nicht zum Thema geäußert und Position bezogen hätten. Wo Gut und Böse so eindeutig geklärt sind, fällt das nicht schwer. Mit einem entsprechenden Post auf Instagram lässt sich billig Applaus ernten. Schwieriger wird es, wenn konkrete Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Aber auch das passiert. So fahren etliche Unternehmen ihre Russland-Aktivitäten zurück. Teils notgedrungen, weil – wie German Fashion-Präsident Gerd Oliver Seidensticker im TW-Interview konstatiert – dort sowieso nichts mehr gehen wird. Teils aus Verantwortung und Angst um die Mitarbeiter vor Ort. Nicht zuletzt setzt der Krieg die durch Corona eh schon angespannten globalen Logistikketten weiter unter Druck, wovon auch Unternehmen betroffen sein werden, die mit Russland oder der Ukraine ansonsten nichts zu tun haben.
Zugleich wächst der moralische Druck, die Ukraine zu unterstützen und sich vom Putin-Regime öffentlich abzugrenzen. Das hat man bei der Abberufung des Münchner Chefdirigenten Valery Gergiev gesehen, wo die Cancel Culture ein neues Motiv gefunden hat. Der gesellschaftliche Druck wird auch Unternehmen zum Handeln zwingen, selbst wenn es gegen deren wirtschaftliche Interessen geht.
Die Zeitenwende, die der Kanzler im Bundestag verkündete, rückt andere Themen auf die Agenda und wird auf unabsehbare Zeit Prioritäten verschieben. Die Politik redet einstweilen nicht mehr über Klimawandel, sondern über Versorgungssicherheit und Aufrüstung. In den Talkshows verdrängen Generäle die Virologen. Und die CEOs werden weniger Zeit in Diversity-Workshops verbringen und dafür mehr Aufmerksamkeit ihren Marktverantwortlichen, den Controllern, Risikomanagern und Bankern widmen müssen.