Angelika Schindler-Obenhaus war bei Gerry Weber so etwas wie die richtige Frau zur falschen Zeit. Sie übernahm ein nach Inhaberwechseln und Insolvenz zutiefst verunsichertes Unternehmen mit etlichen Baustellen und eine Marke, die ihre größte Zeit hinter sich hatte. Sie hat es verstanden, in Halle so etwas wie Aufbruchstimmung zu erzeugen und Verbündete um sich zu scharen. Mit Initiativen wie der Vier-Tage-Woche positionierte sie das Unternehmen als fortschrittlichen Arbeitgeber. Sie hat die Kollektion modernisiert und der Marke frischen Wind einzuhauchen versucht.
Dabei hat Schindler-Obenhaus der Versuchung widerstanden, die Marke verjüngen zu wollen, das funktioniert in der Regel sowieso nicht. Stattdessen hat sie mit der 'Generation Wow' den bestehenden Kundinnen gehuldigt. Dazu hat die CEO sich in Instagram und LinkedIn als Role Model und Gesicht der Marke inszeniert (das gehörte zu den wenigen Dingen, die Gerhard Weber nicht konnte, RIP). Ihre Social Media-Präsenz sorgte teilweise für Stirnrunzeln, insbesondere bei denen, die gerne ebenso viele Follower hätten. Andererseits zahlte diese Kommunikation auf die Wahrnehmung der Marke ein. Die vielen "Beileidsbekundungen" in LinkedIn und Instagram lesen sich ziemlich beeindruckend.
Im Sinne einer langfristig angelegten Repositionierung von Gerry Weber hat Angelika Schindler-Obenhaus jedenfalls mehr richtig als falsch gemacht. Allein, der Markt ließ dem Unternehmen nicht die Zeit. Zur miesen Konsumkonjunktur kamen Katastrophen wie der Ukrainekrieg, der das wichtige Russlandgeschäft abwürgte. Das Management war zu permanentem Krisenmanagement gezwungen, statt seiner Agenda folgen zu können.
Frühere Kunden vom neuen Gerry zu überzeugen und neue Kunden für die Marke zu gewinnen, braucht Zeit. Und Geld. Beides wollten die Investoren dem Unternehmen nicht geben.
Aber auch die Produkte entsprachen nicht der Erwartungshaltung der Einzelhandelspartner. Die reduzierten ihre Orders oder listeten die Marke gleich ganz aus. Das Schubladendenken ist im Handel bekanntlich sehr ausgeprägt. Bei der aktuellen Marktlage kann man indes niemandem fehlende Experimentierlust vorwerfen.
Frühere Kunden vom neuen Gerry zu überzeugen und neue Kunden für die Marke zu gewinnen, braucht entsprechend Zeit. Und Geld. Beides wollten die Investoren Gerry Weber nicht geben. Stattdessen drängten sie auf eine rabiate Sanierung, der defizitäre Retail wurde abgewickelt und die Gläubiger, deren Forderungen im Zuge der letzten Insolvenz in Firmenanteile umgewandelt worden waren, wurden mit Hilfe des StaRUG-Verfahrens enteignet.
Dass der neue Vorstand Dirk Reichert Schindler-Obenhaus' strategischen Kurs 1:1 fortsetzt, ist unwahrscheinlich. Reichert ist ein sturmerprobter Restrukturierer, der die Investoren von Laurèl her kennt. Diese werden wissen, wie sie ihren Schnitt machen. Reichert wird zunächst den Restrukturierungsplan umsetzen. Und womöglich weitere Korrekturen einleiten, die kurzfristig die GuV entlasten. Ein Ziel wird es sein, das Unternehmen für einen potenziellen Übernehmer attraktiv zu machen. Wie sich die Marke dann strategisch ausrichtet, werden wir sehen. Am Ende wird es ausschließlich darauf ankommen, dass auch der Handel wieder Geld mit Gerry verdient.
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Und sonst?
…wurde Sabato De Sarnos Gucci-Aufschlag überwiegend positiv besprochen. Einzig Tim Blanks von BoF gab sich gallig. Sein Vorwurf, grob gesprochen: Tragbarkeit. So weit ist es schon gekommen mit der Modekritik.
…meldet das EHI rückläufige Umsätze für E‑Commerce: Minus 2,8% in 2022. "Damit ist das kontinuierliche Wachstum des Onlinehandels erstmals gestoppt", schreiben die Autoren der Studie. Entwarnung für Stationär? Von wegen. Die Top 1000 Onliner setzen in Deutschland immer noch über 50% mehr um als 2019.
….hat Online-Gigant Shein im Münchner Glockenbachviertel einen Popup-Store eröffnet. Vermutlich nicht zufällig zur Oktoberfest-Zeit, wo viele Besucher auch abseits der Wies‘n unterwegs sind. Dass die Chinesen wegen rückläufiger E‑Com-Umsätze in Deutschland hierzulande nun stationär expandieren, ist jedenfalls nicht zu erwarten.