Vergangenen Samstag ließ sich die Süddeutsche Zeitung lang und breit über die Musikindustrie aus. Das war bekanntlich eine der ersten Branchen, die von der Digitalisierung durcheinandergewirbelt wurde. Die Künstler, die früher vom Schallplatten- und CD-Verkauf bestens lebten, hat Spotify dieser Existenzgrundlage beraubt. 2017 werde die Musikindustrie erstmals mehr Geld über digitale Vertriebskanäle erwirtschaften als über den Tonträger-Verkauf. Der Marktanteil der CDs sei im ersten Halbjahr auf 47,5 Prozent geschrumpft. Man möchte fast hinzufügen: immer noch 47,5 Prozent. Kaufen tatsächlich noch so viele Menschen CDs? Wie auch immer – die Künstler verdienen ihr Geld jetzt wieder wie im vorindustriellen Zeitalter: mit Live-Auftritten und Konzerten.
Nun lassen sich Textilien anders als Musik nicht digitalisieren, jedenfalls noch nicht. Doch dass die Digitalisierung diese Branche ebenfalls grundlegend verändern wird, steht mittlerweile fest. Man weiß nur noch nicht so genau wie, und das bereitet derzeit vielen Unternehmern und Entscheidern Kopfzerbrechen. Am Anfang stand der eigene Webshop, jetzt ist Omnichannel, also die Verzahnung von Online- und Stationärgeschäft, die große Baustelle. Leider ist es vielfach so, dass mit der zusätzlichen Komplexität die Kosten stärker wachsen als der Umsatz. Klar ist zudem, dass es das noch lange nicht gewesen ist.
Davon gab die Patterns X.0‑Konferenz im Rahmen der Munich Apparel Sourcing am Dienstag dieser Woche einen hervorragenden Eindruck. Die Digitalisierung sprengt das Fashion-System, wie wir es kennen. Sie verändert Geschäftsmodelle grundlegend, sie betrifft alle Bereiche des Unternehmens, und sie ermöglicht schnellere und auf den Verbraucher ausgerichtete Prozesse, die Risiko und Kosten minimieren. Tommy Hilfiger-CFO Martijn Hagmann zeigte, wo sein Unternehmen überall neue Technologien einsetzt: angefangen beim Design und den digitalen Showroom über das Sampling bis hin zur Kundenkommunikation. Amazon testet die Bekleidungsproduktion on demand, und zwar mit same day delivery. Die von Human Solutions entwickelte und auf der Munich Fabric Start aufgebaute Micro Factory gab eine Vorahnung, welche Revolution sich in der Produktion anbahnt, die künftig wieder nah am Markt und – wie Adidas es bereits vorgemacht hat – im Laden passieren könnte.
Am Montagabend hatten die Patterns-Initiatoren Hans Peter Hiemer und Andreas Brill von Business4Brands zu einem Dinner im kleineren Kreis geladen. Brill warf einen gewohnt schonungslosen Blick auf die Branchenentwicklung. Er deutete an, was – zu Ende gedacht – das Internet of Things und Künstliche Intelligenz für das Modebusiness bedeuten könnten. Und er bemühte die beschriebene Analogie zur Musikindustrie: Am Anfang war WOM, in Deutschland über Jahrzehnte ein dominanter Player im Schallplattenmarkt, der in kürzester Zeit von Amazon dank überwältigender Auswahl und bequemer Lieferung verdrängt wurde. Amazon seinerseits wurde von Apple links und rechts überholt, der Musik nicht mehr auf Tonträgern vertreibt, sondern über iTunes downloadbar macht. Apple wiederum hat erst spät auf die Streaming-Konkurrenz von Spotify reagiert, bei dem man Musik nicht mehr kauft, sondern nur noch für den Zugang zu Musik bezahlt. Ein Beispiel dafür, wie die Technologie eine Branche immer weiter treibt und dabei auch Digital-Giganten wie Amazon und Apple zu permanenter Anpassung zwingt.
Wenn die Musiker jetzt auf Live-Auftritte und Konzerte setzen – was heißt das fürs Modebusiness? Anders gefragt: Welches Konzert spielt der Modehandel in Zukunft?
Möglicherweise so etwas wie die Bread & Butter. Die fand ebenfalls vergangenes Wochenende statt (dass der SZ-Beitrag zur Musikindustrie parallel erschien, war sicher unbeabsichtigtes, aber dennoch passendes Timing). Es kamen nicht nur über 30.000 Modebegeisterte in die Berliner Arena, sondern es wurden auch ordentlich Reichweite in den sozialen Medien und nicht zuletzt Verkäufe generiert. Zalando hat die Bread & Butter zu einem stationären Statement für seine Marktplatz-Ambitionen gemacht. Der Rummel hat mit der alten Messe nichts mehr zu tun. Früher waren die Aussteller Kunden, heute ist der Veranstalter Kunde. Dass dieses Modefestival von einem Online Pure Player aufgezogen wird, ist nicht ohne Ironie und irgendwie auch bezeichnend.
Gestern in Zürich, und jetzt rundet sich das Bild, trat Breuninger-Chef Willy Oergel bei der Internationalen Handelstagung des GDI auf. Die Stuttgarter sind nicht nur eine Benchmark im Multilabel-Handel, sondern längst auch ein Hidden Champion im Online-Handel. Laut TW machen die Stuttgarter ca. 20% ihrer 800 Millionen im Web. Oergel gab einen Einblick, wie Breuninger seine Kunden lockt und die Community pflegt. Der 65jährige, der in knapp zwei Wochen den Stab an Holger Blecker übergibt, hat das Vokabular der Plattformökonomie jedenfalls verinnerlicht: „Unsere Häuser sind nichts anderes als Plattformen. Sie müssen vom Point of Sale zum Point of Experience werden.“