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Nur meine Läden zu machen ist mir inzwischen zu wenig

Auf einen Kaffee mit... Nicole Mohrmann. Die Münchner Einzelhändlerin hat in der Corona-Krise Instagram als Verkaufskanal entdeckt. Warum sie darauf nicht mehr verzichten möchte, verrät sie hier im Interview.

Nicole, Du bist ein Beispiel für lokale Einzelhändler, die durch Corona Instagram für sich als Verkaufsportal entdeckt haben. Wie kam es dazu?

Bis Corona lief unser Instagram-Account eher so nebenher. Wie hatten unsere drei Geschäfte und unseren Online-Shop. Im ersten Lockdown haben wir dann aber schnell realisiert, dass wir gar nicht in der Lage sind, die Ware aus allen Geschäften zu fotografieren und online zu stellen. Also haben wir gesagt: probieren wir es über Instagram. Das war eine Entscheidung aus dem Bauch heraus.

Also quasi „Learning by doing“?

Absolut. Zu Beginn des ersten Lockdowns im März vergangenen Jahres habe ich natürlich wie viele andere erst mal nur Schwarz gesehen und mich gefragt, wie das alles weitergehen soll, wenn wir unsere Geschäfte schließen müssen. Gott sei Dank bin ich jemand, der sich schnell auf neue Situationen einstellen kann. Wir haben im März 2020 mit 4500 Followern gestartet. Heute sind wir bei 16.000, und das sind alles organisch gewachsene Follower, keine gekauften. Ich bin ja keine Influencerin. Deswegen freut mich es auch umso mehr, wie sich das alles entwickelt hat.

Was ist das Besondere an dem Kanal Instagram?

Bei Instagram bist Du wahnsinnig nah am Kunden. Wir haben es wirklich geschafft, durch unsere Interaktionen die Menschen an uns zu binden. Im Unterschied zu online ist diese Art des Verkaufens viel lebendiger. Und man merkt schnell, was funktioniert und was nicht. Natürlich sind wir auch im Laufe der Zeit besser geworden. Am Anfang war ich natürlich nicht so selbstsicher wie heute vor der Kamera. Auch wenn ich aus dem Rheinland komme und man mich überall hinstellen kann, bin ich nicht die klassische Rampensau, und man darf nicht vergessen, dass es mir in dem Moment ja auch nicht gut ging mit all den Sorgen, wie es weitergeht. Aber ich wollte dieses Gefühl nicht nach außen tragen: Nur weil es mir schlecht ging, müssen es ja nicht die Kunden zu spüren bekommen. Unsere Intention war, unseren Kunden in dieser schwierigen Zeit ein positives Gefühl zu geben. Das hat funktioniert.

Andere haben nicht selten den Mitleid-Bonus gespielt.

Mich hat es total runtergezogen, wenn ich diese Heulnummern gesehen habe, weil alles sowieso schwierig genug war. Ich bin überzeugt, dass man die Menschen nur gewinnen kann, wenn man sie abholt, ihnen ein gutes Gefühl vermittelt. Das Tolle an dieser Plattform ist zu sehen, wie du die Menschen mitziehen kannst. Wenn ich sehe, dass unsere Follower etwas kaufen, was ich empfohlen habe oder Geld für eine Aktion spenden, zu der wir aufgerufen haben, macht mich das glücklich. Es ist nicht nur Mode verkaufen, es ist das Gesamtkonzept, das wir verkaufen. Instagram nur als Verkaufskanal zu sehen, ist zu kurz gedacht. Du musst Deinen Kunden immer etwas Neues bieten. Wenn die Menschen dein Konzept gut finden, wollen sich mit dir verschwestern. Der Community-Effekt ist ein wichtiger Aspekt, der dazugehört.

Hast Du dadurch noch etwas über Deine Kundinnen gelernt?

Ich habe eine echte Lernkurve gemacht. Du denkst immer, Du machst das seit 20 Jahren und weißt Bescheid. Von wegen. Wir haben bislang immer bei Konfektionsgröße 42 aufgehört, und da haben wir ehrlich gesagt auch nur gepickt. Dank Instagram weiß ich inzwischen, dass es in ganz Deutschland sehr viele Frauen gibt, die modisch sind und Geld ausgeben wollen, aber eben nicht Größe 42 tragen. Wir haben gezielt geschaut, dass wir für diese Frauen Nachschub bekommen, und das Feedback war so überwältigend, dass wir ab Herbst bis Größe 48 verkaufen werden. Und ich kaufe kein Dunkelblau für diese Frauen. Die wollen denselben Look wie Frauen mit Konfektionsgröße 36 oder 38.

Das heißt, Ihr verkauft mittlerweile auch über München hinaus?

Unser Radius hat sich definitiv vergrößert. Wir verkaufen mittlerweile in ganz Deutschland, und nicht nur nach Düsseldorf, Hamburg oder Berlin, sondern auch in Orte, von denen wir noch nie gehört haben. Wir haben allerdings auch in München neue Kundinnen gewonnen. Letzten Sommer sind plötzlich Frauen in den Laden gekommen, weil sie über Instagram auf uns aufmerksam geworden sind. Vielleicht hatten manche Schwellenangst, zu uns zu kommen. Ich denke, dass das eine das andere befruchtet.

Kann man auf Instagram dieselben Preise verkaufen wir stationär?

Wenn Du auf Instagram ein Sweatshirt zwischen 49 und 79 Euro verkaufst, dann läuft das wie geschnitten Brot. Dann kannst du 100 oder 150 Stück verkaufen. Bei einem Sweat für 149 Euro wird es schon enger. Wir achten schon seit längerem darauf, dass der Preis in einem gesunden Verhältnis steht. Wir kaufen keine Seidenbluse mehr, die im Laden 500 Euro kostet. Wir würden das vielleicht sogar noch mal verkauft bekommen, aber ich finde das nicht mehr zeitgemäß.

Würdest Du sagen, dass Instagram ein zusätzlicher Verkaufskanal geworden ist, der auch nach der Pandemie bestehen bleibt?

Auf jeden Fall. Mein Ziel ist eine Kombination aus Läden, Online-Shop und Instagram. Wir sind schon konkret in Planung mit mehr Mitarbeitern und einem neuen Büro. In den letzten Monaten sind so viele tolle Ideen entstanden. Nur meine Läden zu machen, ist mit inzwischen zu wenig (lacht).

Das heißt konkret?

Wir haben im letzten Jahr vieles intuitiv richtig gemacht. Jetzt sind wir an dem Punkt, wo wir mehr ins Detail gehen müssen.

Kannst Du uns ein paar konkrete Beispiele nennen?

Bilder, wo Menschen zu sehen sind, ziehen definitiv besser als das schönste Bild aus dem Laden. Und es müssen Bilder sein, die lebensfroh sind. Das liegt vielleicht auch an unserer Zielgruppe, die wollen gar nicht immer die perfekte Performance. Die mögen unsere authentische Art. Livestreams machen wir im Moment zweimal die Woche, das würde ich à la longue auf einmal pro Woche beschränken, weil das einfach wahnsinnig viel Arbeit ist.

Ich habe eine echte Lernkurve gemacht. Du denkst immer, Du machst das seit 20 Jahren und weißt Bescheid. Von wegen.

Laufen die besser als Euer Online-Shop?

Das ist jetzt schwer zu sagen, das eine befruchtet das andere. Wenn wir den Newsletter mittwochs und sonntags rausschicken, haben wir massive Resonanz, und es wird sehr viel bestellt. Beim Livestream ist es so, dass sich die Resonanz über die nächsten drei Tage streckt. Der Livestream ist ein gutes Tool, der in Verbindung mit dem Geschäft funktioniert. Wir haben auch viele Kundinnen, die danach anrufen und sagen: Tolles Teil, hängst du mir das weg, ich komme vorbei und hole es ab.

Wie arbeitsintensiv ist das für Deine Mitarbeiterinnen?

Jede meiner Mitarbeiterinnen muss sich vor der Arbeit unsere Insta-Stories angucken, damit sie auf dem Laufenden ist und die Kundinnen nicht besser informiert sind.

Es fällt auf, dass Du die Stories sehr früh postest. Warum so früh?

Ich stelle die Stories um 6.45 rein, dann können die Frauen schon direkt beim Frühstück oder der ersten Tasse Kaffee unsere Stories anschauen. Außer sonntags, da mache ich es einen Tick später. Und nach einem Livestream achte ich darauf, dass nicht eine Story direkt darauffolgt, damit es nicht zu viel wird. Man darf die Follower auch nicht überfrachten.

Das klingt nach viel Arbeit.

Ich arbeite ohne Ende. Gott sei Dank unterstützt mich meine Familie sehr. Mittelfristig arbeite ich jedoch daran, dass zwei Mitarbeiterinnen den Part der Vorplanung komplett übernehmen.

Bei der Order für Herbst/Winter 21 hast Du Deine Follower sogar mit ins Boot geholt. Verändert Instagram mittelfristig auch das Einkaufen?

Als wir in Mailand beim Ordern waren, war es schon beeindruckend zu sehen, wie interaktiv unsere Kundinnen mit uns sind, und wir haben gemerkt, wie sehr sie dieses Gefühl des Teilnehmens genießen. Wir haben für Produkte, wo wir das gemacht haben, zig Vorbestellungen.

Wie viele Follower haben denn so im Schnitt teilgenommen?

Als wir bei einer Schalorder nach der schönsten Farbe gefragt haben, hatten wir bis zu 150 Follower, die mitgemacht und auch direkt vorbestellt haben. Das ist schon super, weil man dann quasi schon ein verkauftes Produkt hat. Bei der Parosh-Order hatten wir stärker auf eine andere Farbe gesetzt, das haben wir im Nachhinein sogar noch geändert.

Hast Du nicht Angst, dass es vorbestellt, dann aber doch nicht gekauft wird?

Nein, gar nicht, da bin ich optimistisch, dass wir das schon verkauft bekommen.

Im Moment wird viel darüber spekuliert, wie kauflustig die Menschen nach Corona sein werden, und was sie dann suchen werden. Wie ist das aktuell bei Euch?

Die Geldbeutel sind schon unterschiedlich groß, aber die Lust ist definitiv da. Ich würde allerdings sagen, dass zurzeit nicht der klassische dunkelblaue Pullover gesucht wird, sondern es muss etwas Cooles, etwas Besonderes sein.

Kann man auf Instagram dieselben Sachen verkaufen wie in den Läden?

Das ist tatsächlich eine interessante Frage. Also nehmen wir aktuell die modisch breiten Schultern, die dran sind. Dieses Thema würde ich in einem Livestream nie promoten, weil das alles zurückkommt, wenn die Frauen sich dann mit diesen extremen Schultern vorm Spiegel sehen. Auf Instagram müssen die Teile schon eher easy und unkompliziert sein.

Das heißt, du achtest bei Deiner Auswahl an Stories schon sehr auf deren modische Verständlichkeit?

Natürlich, denn ich habe keine Lust, diesen Aufwand zu betreiben, damit am Ende alles zurückkommt.

Wieviel kommt denn zurück?

Unsere Retourenquote ist definitiv unterdurchschnittlich, was aber damit zusammenhängt, dass wir auch bei unserem Online-Shop sehr darauf achten, dass die Teile nicht zu kompliziert sind.

Habt Ihr bei Klamotten mehr Retouren als bei Accessoires auf Instagram?

Das Hauptthema sind die Größen. Wenn uns jemand sagt, dass er normalerweise Größe 36 trägt, fragen wir inzwischen immer nach der Jeansgröße, weil wir es dann sehr viel besser einschätzen können.

Könnte der Instagram-Kanal mittelfristig sogar Euren Onlineshop ersetzen?

Du brauchst definitiv einen Online-Shop. Mein Ziel ist, einen Livestream zu machen, in dem man alles, was im Livestream gezeigt wird, mit einem Click online gekauft werden kann. Daran arbeiten wir, weil wir schon merken, dass die Kundinnen dieses schnelle, unkomplizierte Einkaufen sehr schätzen.

Wer das nur machen möchte, um zu verkaufen, sollte es besser bleiben lassen. Du musst dir als Einzelhändler deine Community aufbauen. Deshalb habe ich auch immer wieder mit anderen Einzelhändlern Nachbarschaftsaktionen ins Leben gerufen. Wenn dann eine meiner Kundinnen beim Nachbarn ihr Geld ausgibt, ist mir das immer lieber, als wenn sie bei Amazon einkauft.

Muss man online anders als stationär verkaufen?

Es muss etwas sein, was dich triggert, sei es über den Look, die Farbe oder den Preis. Wie gesagt laufen unkomplizierte Kleider, Röcke, Strick. Aber wir stellen durchaus fest, dass auch online viele Kundinnen einen Look kaufen möchten. Deswegen achten wir darauf, immer noch Zusatzverkäufe auszulösen, über Gürtel, Accessoires, Taschen.

Bei Euren Livestreams seid Ihr immer zu zweit. Ist das das Zwei-Generationen-Prinzip?

Ich wollte einen Sparringspartner, weil ich einen Livestream alleine langweilig fand. Dieses Miteinander, dass die Follower sehen, dass wir Spaß haben, auch wenn wir oft auf den letzten Drücker sind und auch nicht perfekt, damit identifizieren sich die Kundinnen. Letztlich ist es egal, ob der Lidstrich perfekt ist, du musst authentisch sein. Das wird honoriert.

Was würdest Du Kollegen raten, die sich jetzt erst mit Instagram als Verkaufskanal beschäftigen?

Wer das nur machen möchte, um zu verkaufen, sollte es besser bleiben lassen. Das ist meiner Meinung nach der völlig falsche Weg, so funktioniert das heute nicht mehr. Du musst dir als Einzelhändler deine Community aufbauen. Das gehört dazu. Deshalb habe ich auch immer wieder mit anderen Einzelhändlern Nachbarschaftsaktionen ins Leben gerufen. Weil wir festgestellt haben, dass unsere Kunden es toll finden, wenn wir uns als Locals zusammentun und signalisieren: wir machen das für Euch. Wenn dann eine meiner Kundinnen beim Nachbarn ihr Geld ausgibt, ist mir das immer lieber, als wenn sie bei Amazon einkauft.

Wie lautet Deine Zwischenbilanz nach einem Jahr Pandemie?

Natürlich hätte die Menschheit Covid-19 nicht gebraucht. Aber wenn alles auf Null ist, kommst du an einen Punkt, wo du alles nochmal in Frage stellst. Wir haben uns nochmal neu erfunden. Ich habe wahnsinnig viel dazu gelernt, bei meinen Mitarbeitern gesehen, wer komplett hinter mir steht, bei Lieferanten, wer bei allen Schwierigkeiten fair im Umgang ist. Bei manchen habe ich entschieden, dass ich diese Art der Zusammenarbeit nicht mehr brauche. Die Lernkurve ist immer noch nicht vorbei, und da bin ich sehr happy darüber.

Gibt es etwas, was Du als besonders positiv für Dich verbuchen würdest?

Dass ich auf mein Bauchgefühl gehört habe. Mir hat die Pandemie definitiv nochmal einen neuen Energieschub gegeben. Ich habe bei unserem Online-Shop immer das Gefühl gehabt, dass ich da nicht mit den Großen mithalten kann. Wenn du vier Hosen anbietest, wollen die Kunden 30 Hosen. In den letzten Monaten habe ich gemerkt, dass man den perfekten Online-Shop gar nicht braucht und es trotzdem gut hinkriegen kann.

Wie geht es modisch weiter? Casual oder chic?

Ich glaube, im Herbst haben wir alle genug von Jogginghosen und Sweatshirt. Meiner Meinung war das Angebot an Casual zu breit. Wir setzen wieder auf Blazer, auf lässige Anzüge mit weiteren Hosen und dazu weite Schluppenblusen. Der Look kann bequem sein, darf aber nicht so aussehen.

Worauf freust du Dich am meisten, wenn die Pandemie vorbei ist?

Wenn ich nach Ladenschluss im Schumann’s wieder einen Bellini trinken kann.

Das Gespräch führte Sabine Spieler

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