Man muss kein Nostalgiker sein, um die Entwicklung der Berliner Modemessen traurig zu finden. Es begann vor zwei Jahrzehnten mit revolutionären Veranstaltungen in Tempelhof und im U‑Bahn-Schacht am Potsdamer Platz. Bestvernetzte Macher mit hoher Branchen-Credibility ließen die Messeprofis und Bürokraten in Köln und Düsseldorf alt aussehen und setzten die Modestadt Berlin mit ihren Trade Shows auf die Landkarte der internationalen Modemessenszene. Zwischenzeitlich gab es dort ein halbes Dutzend kleinere und größere Parallelveranstaltungen. Die Bread and Butter war dann 2018 an Hybris, Gigantomie und Ökonomie gescheitert, die Panorama an den Controllern der Industrie. Und die Premium laboriert an der Misere einer covidgebeutelten, sich strukturell wandelnden Branche und an strategischen Kapriolen (Stichwort: Frankfurt), die Geld und Glaubwürdigkeit kosteten.
Es wird viele Gründe für den Gang aufs Berliner Messegelände gegeben haben, und der Nachkriegskulisse unterm Funkturm konnte man im Sommer durchaus etwas abgewinnen. Aber auf den Friedhof der Panorama hätte sich die Premium niemals begeben dürfen, und das nicht nur wegen der nicht allzu fernen Erinnerung an die gescheiterte Mainstream-Messe. Die Premium-Macher sind damit bei dem Konzept angekommen, gegen das sie ursprünglich mal angetreten waren. Man könnte auch sagen: Nach 20 Jahren ist die Revolution gescheitert.
Damit ließe sich leben – wenn es denn funktionierte. Aber das tut es leider nicht in ausreichendem Maße, jedenfalls wenn man die Veranstaltung diese Woche als Maßstab nimmt. Die Messe war in dieser Form weder Leistungsschau des Branchen-Establishments noch wirklich inspirierende Fundgrube für neue Produkte und Brands. Das war das Versprechen, das von der wuseligen Premium am Gleisdreieck ausging. Gerade für die etablierteren Aussteller war das kreative Umfeld dort interessant, um sich zeitgemäß darzustellen. Die Station war für sie auch eine Aufladestation für Coolness und Newness.
Das Dilemma jeder Modemesse ist, dass sie die bekannten Marken braucht, um Relevanz zu bekommen. Und natürlich braucht es diese solventen Player, um größere Flächen zu vermieten, was letztlich das Hauptinteresse der Investoren hinter der Premium sein wird. Die etablierten Brands brauchen eine Messe aber immer weniger. Sie stecken ihre Etats in D2C (was strategisch richtig ist) und bedienen ihre Wholesale-Accounts in Showrooms und zunehmend auch digital. Messen sind für sie zuvorderst Instrumente zur Gewinnung von Neukunden. Deswegen gehen deutsche Brands nach Florenz, nach Paris, Amsterdam oder Kopenhagen, wo sie die internationale Klientel finden, die sie in Berlin vermissen.
Messen können Schrittmacher für Märkte und Innovationen sein. Wie sonst sollen neue Anbieter auf effiziente Weise einen Weg in die Sortimente finden? Und Einkäufer einen unkomplizierten direkten Zugang zu neuen Produkten und Brands?
Bei all dem muss man sich vergegenwärtigen, dass Multilabel in den vergangenen 20 Jahren zum Minderheitenprogramm im Modemarkt geworden ist. Selbst die Online-Modehäuser wandeln sich zunehmend zu D2C-Marktplätzen. Die Frequenz auf den Messefluren leidet auch unter der rückläufigen Zahl klassisch arbeitender Einkäufer.
In Berlin war allenthalben Bedauern über diese Entwicklung zu hören. Viele in der Branche wünschen sich einen Anlass, wo sie Marktpartner treffen, sich über neue Trends und Themen informieren und austauschen können. Das ist nicht nur Nostalgie. In diesem Austausch liegt auch ein Wettbewerbsvorteil gegenüber vielen Vertikalen, die weitgehend im eigenen Saft schmoren. Messen können Schrittmacher für Märkte und Innovationen sein. Wie sonst sollen neue Anbieter auf effiziente Art und Weise einen Weg in die Sortimente und damit zum Endverbraucher finden? Und Einkäufer einen unkomplizierten direkten Zugang zu neuen Produkten und Brands? D2C mag für Fashion-Startups verlockend sein, aber die "Standgebühren" bei Google und die Bestechungssummen für Influencer sind auch nicht eben ohne. Nicht zuletzt braucht es Orte und Anlässe, wo eine Branche sich ihrer selbst vergewissern kann. Berlin ist für viele Entscheider auch ein halbjährlicher Motivationsschub, eine Erinnerung daran, wieviel Spaß diese Branche trotz aller Herausforderungen machen kann.
Aus all diesen Gründen hat Messe eine Berechtigung. Aber die Premium braucht in der aktuellen Form einen Reset – kleiner, feiner, selektiver, exklusiver. Ob Mehrheitsgesellschafter Clarion da mitspielt? Vielleicht kann die Seek ein Ausgangspunkt sein, die wurde inhaltlich besser besprochen. Und an spannenden Locations ist in Berlin ja kein Mangel.