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Reset für die Premium?

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Jür­gen Mül­ler

Man muss kein Nost­al­gi­ker sein, um die Ent­wick­lung der Ber­li­ner Mode­mes­sen trau­rig zu fin­den. Es begann vor zwei Jahr­zehn­ten mit revo­lu­tio­nä­ren Ver­an­stal­tun­gen in Tem­pel­hof und im U‑Bahn-Schacht am Pots­da­mer Platz. Best­ver­netz­te Macher mit hoher Bran­chen-Cre­di­bi­li­ty lie­ßen die Mes­se­pro­fis und Büro­kra­ten in Köln und Düs­sel­dorf alt aus­se­hen und setz­ten die Mode­stadt Ber­lin mit ihren Trade Shows auf die Land­kar­te der inter­na­tio­na­len Mode­mes­sen­sze­ne. Zwi­schen­zeit­lich gab es dort ein hal­bes Dut­zend klei­ne­re und grö­ße­re Par­al­lel­ver­an­stal­tun­gen. Die Bread and But­ter war dann 2018 an Hybris, Gigan­to­mie und Öko­no­mie geschei­tert, die Pan­ora­ma an den Con­trol­lern der Indus­trie. Und die Pre­mi­um labo­riert an der Mise­re einer covid­ge­beu­tel­ten, sich struk­tu­rell wan­deln­den Bran­che und an stra­te­gi­schen Kaprio­len (Stich­wort: Frank­furt), die Geld und Glaub­wür­dig­keit kos­te­ten.

Es wird vie­le Grün­de für den Gang aufs Ber­li­ner Mes­se­ge­län­de gege­ben haben, und der Nach­kriegs­ku­lis­se unterm Funk­turm konn­te man im Som­mer durch­aus etwas abge­win­nen. Aber auf den Fried­hof der Pan­ora­ma hät­te sich die Pre­mi­um nie­mals bege­ben dür­fen, und das nicht nur wegen der nicht all­zu fer­nen Erin­ne­rung an die geschei­ter­te Main­stream-Mes­se. Die Pre­mi­um-Macher sind damit bei dem Kon­zept ange­kom­men, gegen das sie ursprüng­lich mal ange­tre­ten waren. Man könn­te auch sagen: Nach 20 Jah­ren ist die Revo­lu­ti­on geschei­tert.

Damit lie­ße sich leben – wenn es denn funk­tio­nier­te. Aber das tut es lei­der nicht in aus­rei­chen­dem Maße, jeden­falls wenn man die Ver­an­stal­tung die­se Woche als Maß­stab nimmt. Die Mes­se war in die­ser Form weder Leis­tungs­schau des Bran­chen-Estab­lish­ments noch wirk­lich inspi­rie­ren­de Fund­gru­be für neue Pro­duk­te und Brands. Das war das Ver­spre­chen, das von der wuse­li­gen Pre­mi­um am Gleis­drei­eck aus­ging. Gera­de für die eta­blier­te­ren Aus­stel­ler war das krea­ti­ve Umfeld dort inter­es­sant, um sich zeit­ge­mäß dar­zu­stel­len. Die Sta­ti­on war für sie auch eine Auf­la­de­sta­ti­on für Cool­ness und New­ness.

Das Dilem­ma jeder Mode­mes­se ist, dass sie die bekann­ten Mar­ken braucht, um Rele­vanz zu bekom­men. Und natür­lich braucht es die­se sol­ven­ten Play­er, um grö­ße­re Flä­chen zu ver­mie­ten, was letzt­lich das Haupt­in­ter­es­se der Inves­to­ren hin­ter der Pre­mi­um sein wird. Die eta­blier­ten Brands brau­chen eine Mes­se aber immer weni­ger. Sie ste­cken ihre Etats in D2C (was stra­te­gisch rich­tig ist) und bedie­nen ihre Who­le­sa­le-Accounts in Show­rooms und zuneh­mend auch digi­tal. Mes­sen sind für sie zuvor­derst Instru­men­te zur Gewin­nung von Neu­kun­den. Des­we­gen gehen deut­sche Brands nach Flo­renz, nach Paris, Ams­ter­dam oder Kopen­ha­gen, wo sie die inter­na­tio­na­le Kli­en­tel fin­den, die sie in Ber­lin ver­mis­sen.

Messen können Schrittmacher für Märkte und Innovationen sein. Wie sonst sollen neue Anbieter auf effiziente Weise einen Weg in die Sortimente finden? Und Einkäufer einen unkomplizierten direkten Zugang zu neuen Produkten und Brands?

Bei all dem muss man sich ver­ge­gen­wär­ti­gen, dass Mul­ti­la­bel in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren zum Min­der­hei­ten­pro­gramm im Mode­markt gewor­den ist. Selbst die Online-Mode­häu­ser wan­deln sich zuneh­mend zu D2C-Markt­plät­zen. Die Fre­quenz auf den Mes­se­flu­ren lei­det auch unter der rück­läu­fi­gen Zahl klas­sisch arbei­ten­der Ein­käu­fer.

In Ber­lin war allent­hal­ben Bedau­ern über die­se Ent­wick­lung zu hören. Vie­le in der Bran­che wün­schen sich einen Anlass, wo sie Markt­part­ner tref­fen, sich über neue Trends und The­men infor­mie­ren und aus­tau­schen kön­nen. Das ist nicht nur Nost­al­gie. In die­sem Aus­tausch liegt auch ein Wett­be­werbs­vor­teil gegen­über vie­len Ver­ti­ka­len, die weit­ge­hend im eige­nen Saft schmo­ren. Mes­sen kön­nen Schritt­ma­cher für Märk­te und Inno­va­tio­nen sein. Wie sonst sol­len neue Anbie­ter auf effi­zi­en­te Art und Wei­se einen Weg in die Sor­ti­men­te und damit zum End­ver­brau­cher fin­den? Und Ein­käu­fer einen unkom­pli­zier­ten direk­ten Zugang zu neu­en Pro­duk­ten und Brands? D2C mag für Fashion-Start­ups ver­lo­ckend sein, aber die "Stand­ge­büh­ren" bei Goog­le und die Bestechungs­sum­men für Influen­cer sind auch nicht eben ohne. Nicht zuletzt braucht es Orte und Anläs­se, wo eine Bran­che sich ihrer selbst ver­ge­wis­sern kann. Ber­lin ist für vie­le Ent­schei­der auch ein halb­jähr­li­cher Moti­va­ti­ons­schub, eine Erin­ne­rung dar­an, wie­viel Spaß die­se Bran­che trotz aller Her­aus­for­de­run­gen machen kann.

Aus all die­sen Grün­den hat Mes­se eine Berech­ti­gung. Aber die Pre­mi­um braucht in der aktu­el­len Form einen Reset – klei­ner, fei­ner, selek­ti­ver, exklu­si­ver. Ob Mehr­heits­ge­sell­schaf­ter Cla­ri­on da mit­spielt? Viel­leicht kann die Seek ein Aus­gangs­punkt sein, die wur­de inhalt­lich bes­ser bespro­chen. Und an span­nen­den Loca­ti­ons ist in Ber­lin ja kein Man­gel.

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