Schon die Ankündigung Draghis hatte für einen Kursrutsch gesorgt. Und für schlaflose Nächte bei den Beschaffern. Mit dem diese Woche gestarteten billionenschweren Aufkaufprogramm der EZB ist das Thema erneut ins öffentliche Bewußtsein und der Euro weiter unter Druck geraten. Die exportstarke deutsche Modeindustrie wird nicht viel von einer billigeren Währung haben, denn der Großteil der Ausfuhren geht in den Euro-Raum, und die aktuellen Probleme im Russland-Geschäft wiegen in den meisten Fällen schwerer als die Preis-Vorteile, die deutsche Mode jetzt vielleicht in Skandinavien, Großbritannien oder den USA hat. In jedem Fall trifft der schwache Euro die Importeure, und das sind fast alle. Um massive 10 bis 15 Prozent verteuert sich die Beschaffung nach Einschätzung von Experten.
Das Dilemma ist klar: Diese Kostensteigerungen müssten eigentlich Preissteigerungen im Verkauf nach sich ziehen. Nur werden die nicht durchsetzbar sein. Dass die Beschaffung teurer geworden ist, interessiert die Verbraucher nämlich herzlich wenig. Sie erwarten günstige Preise wie gehabt, haben ihre Vorstellungen, was ein Hemd, eine Hose oder ein Mantel kosten darf und über Jahre hinweg gelernt, dass es immer einen gibt, der noch günstiger anbietet. An der Preissensibilität von Otto Normalverbraucher, da darf man sich nichts vormachen, wird sich nichts ändern, ob der Konsum nun brummt oder nicht.
Damit haben Handel und Industrie umzugehen gelernt. Über Jahrzehnte war die Branche daran gewöhnt, dass es immer noch billiger ging. Die Produktion suchte sich weltweit die günstigsten Standorte, und wenn ein Land zu teuer wurde, zog die Karawane eben weiter. Die Vertikalisierung sorgte durch die Ausschaltung von Zwischenstufen sowie durch eine zeitnähere und damit risikolosere Planung für mehr Effizienz in der sogenannten "textilen Pipeline".
Wenn man es positiv formulieren möchte, dann war die Branche ein Vorreiter und Antreiber der Globalisierung. Deswegen ist das Bekleidungsgeschäft heute ungleich stärker als früher den Schwankungen des Weltmarkts ausgeliefert. Da geht es nicht nur wie jetzt um Währungsrelationen, um Rohstoffpreise oder Produktions- und Logistikkosten. Auch das Mega-Thema Nachhaltigkeit drängte erst in dem Maße auf die Agenda, wie wirtschaftliche Zwänge die Unternehmen in eine letztlich unkontrollierbare globale Vernetzung getrieben haben. Solange die Produktion auf der Schwäbischen Alb erfolgte, brauchte es keine NGOs, die die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards anmahnten.
Jahrzehntelang kannten die Preise im Handel jedenfalls nur eine Richtung: nach unten. Wegen der gleichzeitig massiv gestiegenen Kosten in der Distribution hierzulande drängte der Einzelhandel auf immer höhere Eingangskalkulationen. Diese Fixierung hat nicht nur zu regelmäßiger Enttäuschung geführt, was die erzielte Kalkulation angeht, sondern auch das Einfallstor für Discount-Formate weit geöffnet.
Primark & Co haben nicht nur Mengenvorteile im Einkauf, sondern auch Kostenvorteile im Vertrieb. Die haben sie weiterhin, auch wenn die Billigpositionierung in der aktuellen Situation sicherlich eine besondere Herausforderung darstellt. Denn wer als einziges Verkaufsargument den Preis hat, den bringen Preiserhöhungen in Erklärungsnot. Oder unter erhöhten Druck, die Mengen über eine weitere Konzentration in Sortiment und Sourcing und/oder eine beschleunigte Expansion noch einmal gewaltig zu steigern. Es ist jedenfalls nicht damit zu rechnen, dass die Socken und T‑Shirts bei Primark demnächst mehr kosten werden.
Es gibt so oder so kein Patentrezept, wie mit steigenden Beschaffungskosten umzugehen ist. Neue Eckpreislagen werden nur schwer durchsetzbar sein. So bleibt kurzfristig nur ein verschärftes Kostenmanagement. Viele Anbieter werden der Versuchung nicht widerstehen können, am Wareneinsatz und an den Qualitäten zu drehen.
Langfristig muss jeder Anbieter seine Marktpositionierung und den Wettbewerb im Blick haben. Strategisch geht es um eine Neujustierung in allen Bereichen, angefangen bei jedem einzelnen Artikel über die Redefinition von Sortimentsbreite, Qualitätsniveau und Preislagenaufbau bis hin zur Preiskommunikation. Und es geht um eine Überprüfung und weitere Optimierung sämtlicher Prozesse, von der Produktentwicklung über Sourcing und Logistik bis hin zum Merchandising und zum Bestandsmanagement.
Die Vertikalen sind dabei grundsätzlich im Vorteil. Sie haben einen besseren Zugriff auf die Prozesskette und damit mehr Stellschrauben. Und sie sind wirtschaftlich oft eher in der Lage, auf Marge zugunsten von Marktanteilen verzichten zu können.
Im mehrstufigen Business löst das Thema dagegen neue Verteilungskämpfe aus. Diese Diskussion wird die nächsten Monate prägen. Nicht von ungefähr raunt die Industrie jetzt von unausweichlichen Preiserhöhungen.
Nach den Erfahrungen der letzten Monate ist das aber das Letzte, was der Einzelhandel braucht. Jetzt und in Zukunft. Der Verdrängungswettbewerb wird auch künftig vor allem über den Preis ausgetragen werden. Wegen des Internets noch stärker als bisher.
Wichtig wäre es deswegen, auch an der Treffsicherheit von Sortimenten zu arbeiten. Das setzt schnelle Trend-Reaktionsmöglichkeiten und eine flexiblere Beschaffung voraus. Das wird europanahen Produktionsländern wie der Türkei Auftrieb verschaffen.
Gottlob ist es zudem so, dass für die meisten Kunden der Preis nicht allein entscheidend ist. Gerade bei Mode ist die Qualitätswahrnehmung sehr subjektiv und durch Marketing beeinflussbar. Besondere Produkte werden immer besondere Preise erzielen. Auch Kreativität bringt Marge.
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