Vergangene Woche erlebten die Veranstalter der Modenschauen von New York, Paris und Mailand womöglich ihren disruptiven Moment. Warum soll es ihnen anders gehen, als den vielen anderen Playern im Modezirkus, die derzeit vom Markt in Frage gestellt werden? Mit seiner Ankündigung, Burberrys Schauenkalender neu zu ordnen, hat Christopher Bailey ein kleines Beben ausgelöst, das sicher auch andere Modemanager zum Nachdenken bringen wird. Eine "neue Weltordnung", wie BoF-Chef Imran Amed in seinen Leitartikeln raunt, begründet Bailey damit nicht. Er passt sich damit lediglich als Erster der Realität des Modemarketings an. Was freilich schon kein kleiner Schritt ist.
Es ist kein Zufall, dass ihn ausgerechnet Bailey tut. Nicht nur, dass der 45jährige wie kein anderer Top-Entscheider im Luxusmodebusiness die Digitalisierung umarmt und die britische Traditionsmarke damit zeitgemäß aufgeladen hat. Als Chef-Kreativer hat er das Verständnis für die Notwendigkeit sowie den Überblick über die Konsequenzen einer solchen Entscheidung, und als CEO hat er gleichzeitig die Macht, diese durchzusetzen. Mit Tom Ford und Paul Smith haben zwei weitere unabhängige Designer weitreichende Veränderungen ihrer Kollektions- und Kommunikationssystematik angekündigt.
Bailey, Ford und Smith versuchen lediglich gerade zu ziehen, was über die Jahre aus den Fugen geraten ist, und was Beobachter wie Li Edelkoort zu Untergangsfantasien ("Die Mode ist tot") stimuliert hat. Den Overkill an Vor‑, Zwischen‑, Haupt- und Nebenkollektionen als unsinniger Versuch, für Newness zu sorgen, die so kein Mensch sucht. Das Saisontiming des Einzelhandels, das sich mehr am Wettbewerb und an den Finanzzwängen der Lieferkette orientiert, aber mit der tatsächlichen Kundennachfrage nichts mehr zu tun hat. Die zunehmend zersplitterte Medienwelt, die immer mehr Getöse erfordert, um aus der Einheitssuppe der Modelabels mit einer klaren Markenbotschaft herausstechen zu können. Ein übersättigter Markt, der die Kreativität der Macher permanent überfordert, Einkäufer und Verkäufer erschöpft und die von Mode gelangweilten Kunden nur noch über den Preis zu motivieren vermag.
Ob sich das ändert? Keine Ahnung. Aber Bailey versucht es wenigstens für Burberry. Die bereits im vergangenen Jahr verkündete Konzentration auf die Hauptlinie sollte sich positiv aufs Produkt auswirken. Zwei größere Schauen, die Menswear und Womenswear zusammen zeigen, sind für die Markenpositionierung ausreichend und unter dem Strich wohl auch kostengünstiger. Die Einführung von saisonunabhängigen Kollektionen ergibt für eine in allen Klimazonen vertretene global brand wie Burberry absolut Sinn. Und die Synchronisation der Schauen mit dem Abverkauf in den Läden ebenso. Es ist, das hat Bailey im Interview mit Imran Amed deutlich gemacht, in erster Linie eine Frage der Logistik. "Du musst alles tun wie bisher. Nur zu einer anderen Zeit."
Burberry richtet seine Kommunikationsaktivitäten mit dem neuen System konsequent am Retail aus. Der wie bei allen großen Luxus Brands in zunehmendem Maße selbst betrieben wird. Aber auch die Wholesale-Kunden profitieren davon, wenn bei den Schauen die aktuelle Kollektion gezeigt wird. Sie können auf die große Show ein halbes Jahr davor verzichten. Viele Profis orientieren sich heute schon lieber in den Showrooms und meiden nicht selten sogar die Schauen, um sich von der Inszenierung nicht die Sinne vernebeln zu lassen.
Die größte Herausforderung haben die Organisatoren der Fashion Weeks – Unternehmen wie IMG in New York und Verbände wie die Fédération de la Couture in Paris. Deren Schauen sind lange schon nicht mehr die exklusiven Treffpunkte von Designern, Einkäufern und Modepresse, die sie mal waren. Sondern B2C-Events, wo es um Marketing und Branding geht, und die heute schon in Echtzeit online inszeniert werden. Das ist ein gutes Geschäft. Dass der Nimbus trägt, zeigt das Engagement von H&M in Paris. Wenn die großen Brands nun aber anfangen, ihre Events (die nicht einmal Modenschauen sein müssen) individuell auszurichten, wird der seit Jahrzehnten gültige Kalender in Frage gestellt. Und damit auch die Organisationen, die diese Termine setzen.
Die ganze Diskussion gehe am wirklichen Problem vorbei, schreibt Robin Givhan in der Washington Post. Es gehe nicht darum, wie oder wann Kollektionen gezeigt werden. Sondern was gezeigt werde. "Filmliebhaber warten gerne auf einen Film, der mit einem dynamischen Trailer angekündigt wurde. Warum warten Modeliebhaber nicht auf ein Kleidungsstück, das in einer atemberaubenden Show gezeigt wurde?" Es könne schlicht daran liegen, dass die Modeindustrie ihren Kunden keine Produkte anbiete, die ihre Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum binden.
Liegt das wirklich an den Designern?
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Und sonst?
…wird Karstadt zu Superstadt. Das Warenhausunternehmen führt Einkaufswagen ein. Verkaufspsychologen verweisen auf die umsatzsteigernde Wirkung der Draht-Vehikel, die im Konsumenten den Wunsch wecken, sie möglichst voll zu machen. Aber vielleicht will Karstadt-Chef Stephan Fanderl sich lediglich wie zuhause fühlen. Schließlich stammt er aus einer Edekaner-Familie.
…wird die Schließung von fünf Zara-Filialen aufgebauscht, als ziehe sich Inditex aus Deutschland zurück, und die Gewerkschafter toben, als gelte es, Kinderarbeit zu bekämpfen. Dabei ist eine Standortoptimierung für jeden Filialisten Tagesgeschäft.
…ist der Online-Handel mit Bekleidung im vergangenen Jahr BEVH-Angaben zufolge um 18% auf rund 10 Mrd. Euro gewachsen, das Geschäft mit Schuhen um 15% auf 3,3 Mrd. Euro. Der Textileinzelhandel meldete dagegen für 2015 lediglich Pari. Die Machtübernahme geht weiter.
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