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Webshop-Aus bei KaDeWe. KI bei Amazon. Orgasmen bei Valentino.

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Jürgen Müller

Montag, 17. Juni. Die aufsehenerregendste Schau in Mailand war gar keine. Valentino veröffentlichte ein Lookbook mit den ersten Entwürfen Alessandro Micheles. Wo andere Modehäuser Hochhäuser in Marseille bespielen, den Pont Neuf sperren lassen oder die Medienmeute nach Hollywood einfliegen, entschied man sich bei Valentino dafür, den Ball flach zu halten. Weil nicht genug Zeit war, einen richtigen Auftritt zu organisieren? Wollte man lediglich Kosten sparen? War es gar ein bewusstes Statement, dass in Zeiten wie diesen Schluss mit der großen Modesause sein muss? Oder schämen sich Valentinos Marketingleute etwa, dass sie jetzt plötzlich Gucci 2.0 anpreisen sollen?

Das wäre ein Irrtum. Denn Alessandro Michele hat auch bei Gucci stets bloß Alessandro Michele gemacht. So sieht es halt jetzt auch bei Valentino aus. Was konnte man anderes erwarten? Der Kreativchef freut sich über die neuen handwerklichen Möglichkeiten, die das Valentino-Setup ihm bietet: „Ich kann das Unmögliche verlangen“, schwärmte er in BoF. „Es ist ein anhaltender Orgasmus.“

Die Kritiken auf Micheles kreative Selbstbefriedigung sind größtenteils vernichtend. „Dieselben alten Clown-Kleider“, schreibt einer auf Instagram. „Hat ihm jemand gesagt, dass er jetzt bei Valentino ist?“ Andere befürchten das Schlimmste: „R I.P.  Valentino.“ Und empfehlen: „Mach doch Deine eigene Marke!“

Es ist kaum vorstellbar, dass dem Valentino-Management nicht bewusst war, was es sich mit Michele einhandelt. Wahrscheinlicher ist, dass man ihn genau aus diesem Grund geholt hat: um Valentino ein Gucci-Momentum zu verleihen. Die Frage ist freilich, ob sein Vintage-Look nicht doch etwas outdated ist und die Kunden noch Lust darauf haben, Geld dafür auszugeben. Gucci hat Michele bestimmt nicht abserviert, weil die Zusammenarbeit mit ihm langweilig geworden wäre.

Wir werden sehen. Bis zum ersten leibhaftigen Auftritt im Herbst in Paris bleibt noch Zeit, etwas wirklich Neues zu schaffen.

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Dienstag, 18. Juni. Das KadeWe macht seinen Webshop dicht. Das ist, wenn man sich die Schreckensbilanzen der letzten Jahre ansieht, nur konsequent. Die Berliner haben sich sehr spät ins Internet aufgemacht. Das Onlinegeschäft wird mehr Verluste als Umsatz gemacht haben. Dass es den meisten anderen Luxury-Anbietern im Netz zurzeit ähnlich geht, ist kein Trost. Nach dem Verkauf der KaDeWe Group an Central braucht es vorerst auch keine Omnichannel-Story mehr. Diese wird in vielen Fällen ohnehin vor allem für Investoren geschrieben.

Die eigentlich spannende Frage, die die KaDeWe-Entscheidung aufwirft, ist: Muss heute jeder, der etwas zu verkaufen hat, alle Kanäle bedienen?

Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass dies nicht zwangsläufig sein muss. Jetzt wo das Onlinegeschäft nicht mehr wächst oder gar schrumpft, dürften viele Multilabelhändler diesen Kanal zur Disposition stellen. Etliche Webshops wurden zu Corona-Zeiten aus dem Boden gestampft. Auch wenn sie häufig semiprofessionell betrieben werden, haben sie so manchem im Lockdown den Hintern gerettet. Die Grundsatzfrage bleibt indes: Was kann ein lokaler Platzhirsch online besser als ein Amazon oder ein Zalando? Und warum sollten die Kunden Hugo Boss nicht gleich bei hugoboss.com kaufen? Diese Frage wird im Übrigen auch ein Zalando beantworten müssen.

Im Luxussegment kommt hinzu, dass die Marken auch online immer selektiver werden und bevorzugt direkt vertreiben werden. Ob auf der anderen Seite strauchelnde D2C Brands auf der verzweifelten Suche nach Wachstum unbedingt in Wholesale investieren sollten, ist ebenfalls fraglich.

Wenn es am Markt eng wird, besinnt man sich am besten auf seine Stärken. Online Geld zu verdienen ist wegen der Preisvergleichbarkeit und der Retourenproblematik schwer. Das geht nur über Wachstum und Verdrängung. Den KaDeWe-Onlineshop wird jedenfalls kein Kunde vermissen. Und so schnell werden wir hoffentlich auch keine Pandemie mehr erleben müssen.

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Mittwoch, 19. Juni. Diese Woche hat Amazon Otto die Show gestohlen. Während die Hamburger ihre Marktplatz-Partner mit einem neuen Gebührenmodell verärgern (es wird natürlich teurer), posierten Amazon-CEO Andy Jassy und Deutschland Rocco Bräuniger mit dem Bundeskanzler. Der freut sich über die zusätzlichen 10 Milliarden, die der US-Gigant in Deutschland in Rechenzentren, in die Logistik und in neue Zentralen in Berlin und München investieren möchte.

Zeitgleich verkündete Marktplatz-Chef Dharmesh Mehta via SZ, dass die 47.000 hiesigen Amazon-Partner künftig von den Segnungen der KI profitieren werden. Der Upload von Produktanzeigen soll zum Beispiel bequemer und schneller werden, die Nachfrage besser geplant und die Bestände optimiert werden können. Zeit- und Kostenersparnisse sollen sich am Ende in günstigeren Preisen auf Amazon niederschlagen. Wäre ja auch noch schöner, wenn Effizienzverbesserungen Margenvorteile für die Partner bringen würden.