"Wir werden dieses Jahr eine besonders hohe Gehaltsrunde durchführen." Das nicht auch noch!, werden sich viele in der Branche nach dieser Ansage von Jochen Eckhold gesagt haben. "Angesichts der steigenden Inflation und der Auswirkungen auf die Energie und Lebenshaltungskosten ist es uns ein besonderes Anliegen, ein positives Signal an die Mitarbeitenden zu senden", so der Hugo Boss-Personalchef in der TW.
Es ist nicht nur ein Signal an die Mitarbeitenden.
Nach Corona ist der Arbeitsmarkt mehr denn je ein Arbeitnehmermarkt. Leistungen können nicht mehr erbracht werden, weil Fachkräfte fehlen. Jetzt erst realisieren viele Manager, dass die Mitarbeiter tatsächlich der Erfolgsfaktor sind, von dem sie in Sonntagsreden immer gesprochen haben. Und dass unbesetzte oder unqualifiziert besetzte Stellen ein Misserfolgsfaktor sind. Es ist an sich keine neue Erkenntnis: Der Wettbewerb wird auch bei den „Human Resources“ entschieden (eigentlich eine schrecklich technokratische Bezeichnung). Deswegen konkurrieren die Unternehmen auch hier über den Preis. Und mit anderen Branchen. Aldi und Lidl sind im Frühjahr bereits vorgeprescht und haben noch vor der inzwischen entschiedenen Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro eine freiwillige Anhebung der Stundenlöhne auf 14 Euro angekündigt.
Die Personalkostensteigerungen sind das nächste große Thema für Handel und Industrie. Das hat der Branche nach Lockdown, Lieferkettenproblemen und der Material- und Energiekostenexplosion gerade noch gefehlt.
Wo vor der Pandemie der Tischkicker als Ausweis einer zeitgemäßen Firmenkultur galt, wandeln manche Firmen sich jetzt gefühlt zum Event-Space, und HR-Spezialisten werden zu Feel Good-Managern.
In der Pandemie haben die Unternehmen einen unfreiwilligen Crash Kurs in New Work machen müssen. Die Homeoffice-Option ist für Mitarbeitende in vielen Bereichen zur Selbstverständlichkeit geworden. Der eine oder die andere mag nach dem Ende der Lockdowns froh sein, die Kollegen auch mal wieder leibhaftig zu sehen. Gleichzeitig hat man sich an die Flexibilität gewöhnt, zwischendurch mal schnell zum Einkaufen oder ins Fitness-Studio zu gehen, Wäsche aufzusetzen oder die Kinder abzuholen. Obwohl es wahrscheinlich dem Schutz der Arbeitnehmer dienen soll, kam das gerade erfolgte „Stechuhr-Urteil“ des BAG bei vielen Beschäftigten nicht gut an. Es passt auch eigentlich nicht in die Zeit.
Die Art und Weise, wie in Unternehmen zusammengearbeitet wird, hat sich rapide verändert und verändert sich weiter. Gleichzeitig sind die Betriebe gezwungen, eine Infrastruktur vorzuhalten, die tendenziell überdimensioniert ist. Die Befürchtungen, dass dezentrales Arbeiten die Kreativität und Innovationskraft von Teams nicht eben fördert, sind nicht von der Hand zu weisen. Alle Prozesse digital abzubilden, ist nicht überall und in jedem Fall sinnvoll und möglich. Die Arbeitgeber unternehmen deshalb enorme Anstrengungen, um die Präsenzarbeit attraktiver zu machen. Das betrifft nicht nur die Ausstattung und Konzeption der Büros, sondern auch Aktivitäten, die den Teamspirit stärken und die Kollegen bei der Stange halten sollen. Das treibt bisweilen kurios anmutende Blüten, und das im wahrsten Sinne des Wortes: So gibt es bei Simplicity in Oelde ein „Beekeeper“-Team, das sich um die Bienenstöcke auf der firmeneigenen Blumenwiese kümmert…
Wo vor der Pandemie der Tischkicker als Ausweis einer zeitgemäßen Firmenkultur galt, wandeln manche Firmen sich derzeit gefühlt zum Event-Space, und HR-Spezialisten werden zu Feel Good-Managern. Einen nicht geringen Teil der Beschäftigten, die sich im Homeoffice eingeigelt haben, werden die Unternehmen damit wohl nicht mehr erreichen. Aber es kostet die Betriebe halt trotzdem erstmal mehr Geld.
Wenn im Freundeskreis alle mehr verdienen, nützt das schönste Employer Branding nichts. Das gilt erst recht in einer Wirtschaftskrise. Da heißt „Purpose“ für viele Arbeitnehmer: am Ende des Monats seine Rechnungen zahlen zu können.
Am Ende wird sich nicht nur die Zusammenarbeit untereinander, sondern auch die Bindung zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen verändert haben. Wer in der Firma keine persönlichen Beziehungen aufbaut, wird sich leichter tun, dieser den Rücken zu kehren. Vier von fünf Beschäftigten tragen sich derzeit mit Wechselgedanken, hat die TW in ihrer alljährlichen Studie "Working in Fashion" ermittelt. Das gilt zumal für die "Generation Tinder", die permanente Verfügbarkeit in allen Lebensbereichen für normal hält und beim Auftauchen einer vermeintlich besseren Alternative alles andere ohne zu zögern beiseite wischt.
Aber auch von der anderen Seite nimmt die Unverbindlichkeit zu. Entscheider, die ihre Kollegen nur vom Bildschirm (und demnächst womöglich aus dem Metaverse-Meeting) kennen, werden sich mit Stellenstreichungen leichter tun als Chefs, die ihren Mitarbeitenden täglich begegnen und sich in der Kaffeepause auch mal über Privates ausgetauscht haben. Umgekehrt dürfte bei der Leistungsbewertung von Mitarbeitenden und damit auch bei deren Karriereaussichten Sympathien, Zwischenmenschliches und soziale Kompetenz künftig weniger eine Rolle spielen.
Arbeitsverhältnisse werden damit transaktionaler. Es ist nicht so, dass New Work demnächst wieder von Old Work abgelöst wird; weiche Faktoren wie Flexibilität und mobiles Arbeiten, eine ausgewogene Work-Life-Balance, ein gutes Betriebsklima und Weiterbildungsangebote bleiben wichtig. Das Gehalt ist zugleich mehr denn je die Währung, auf die es ankommt. Wenn im Freundeskreis alle mehr verdienen, nützt das schönste Employer Branding nichts. Das gilt erst recht in der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise. Da heißt „Purpose“ für eine zunehmende Zahl von Arbeitnehmern: am Ende des Monats seine Rechnungen zahlen zu können.