Es war absehbar, dass Mytheresa früher oder später ein Marktplatz-Modell einführen würde. Jetzt ist es eher früher passiert. Und das wahrscheinlich nicht unbedingt nur aus eigenem Antrieb.
Die Luxury Brands drängen ihre Online-Partner zum Plattform-Business. Weil sie die Kontrolle über Sortimente, Preise und Auftritt suchen und von den Web-Retailern letztlich nur die Reichweite und den Zugang zu deren Zielgruppe haben möchten. Und auch die Analysten, denen man seit dem Börsengang in München zuhören muss, schätzen das Marketplace-Modell. Wegen des geringeren Bestandsrisikos und der minimierten Kapitalbindung. Die Blaupause hat Farfetch geliefert: Der Börsenwert des Mytheresa-Mitbewerbers hat sich seit April 2020 phasenweise verzehnfacht und liegt heute immer noch fast 500% über Vor-Corona-Niveau. Dass Farfetch operativ bis heute nur Geld verbrennt, ist für die Spekulanten zweitrangig. Eine Online-Boutique wie Mytheresa könnte auch in Zukunft ohne Marketplace erfolgreich und profitabel sein – den aktuellen Plattform-Hype kann man als börsennotierter Online-Player aber halt nicht ignorieren.
Umso erstaunlicher, dass der Kurs der MYT-Aktie am Dienstag erstmal zweistellig nachgab. An den Ergebnissen kann es eigentlich nicht gelegen haben: Umsatz in 20/21 um 36% auf 612 Millionen Euro gesteigert, Gewinn auf 32 Millionen um zwei Drittel gesteigert, 110.000 Neukunden dazu gewonnen. Vielleicht hat der vergleichsweise verhaltene Ausblick für 21/22 eine Rolle gespielt. Nach der Covid-bedingten Online-Sonderkonjunktur hatte schon Amazon rückläufige Wachstumsquoten prognostiziert. Von den von Mytheresa in Aussicht gestellten 22 bis 25% Umsatzwachstum bei 7 bis 9% EBITDA-Marge können die meisten anderen Marktteilnehmer indes nur träumen.
Möglicherweise kam es also zum Kurseinbruch, weil die Börse Mytheresas Marktplatz-Modell nicht überzeugt hat. Es ist halt nicht das von Farfetch & Co. Hinter dem „Curated Platform Model“ steht der Versuch, den Distributionszielen der Markenpartner zu entsprechen, ohne den Kuratierungsanspruch aufzugeben, auf dem Mytheresas Markenversprechen basiert. Die Münchner wählen wie bisher die zur Zielgruppe passenden Artikel der Markenpartner aus und verkaufen sie über ihre Plattform. Man ordert nicht Monate im Voraus, sondern bedient sich aus den aktuellen Retail-Kollektionen und wird damit nachlieferfähig. Die Ware bleibt stets Eigentum der Lieferanten. Statt Umsatz wird am Ende eine Provision verbucht. Langfristig sollen bis zu 35% des Volumens über die Curated Platform abgewickelt werden.
Es ist ein interessantes Hybrid-Modell, das Mytheresa da versucht. Offen ist, wie die Lieferanten darauf reagieren. Werden sie sich auf ein solches Vermittlungsgeschäft einlassen, bei dem sie nicht das letzte Wort über das Sortiment, aber das volle Risiko haben? Welche der rund 200 Marken werden mitspielen? Wird das für alle Beteiligten ein Zusatzgeschäft oder nur für Mytheresa? Weil bislang reguläres Wholesale-Business durch diese modifizierte Form von Kommissionsgeschäft ersetzt wird? Wie konsequent wird der Einkauf wirklich noch kuratieren? Wird man die Schleusen öffnen für interessierte Marken, die zu kaufen den Buyern vorher nicht in den Sinn gekommen wäre? Oder am Ende Ware durchwinken, die ein Lieferant gerne verkaufen möchte, die aber streng besehen nicht zum Mytheresa-Sortiment passt? Schließlich kostet die ja nichts mehr, verspricht aber Provision.
Sieht man mal von solchen Detailfragen ab: Als Multilabelanbieter muss man auch im Netz seine eigene Marke pflegen. Dazu gehören mit Blick auf die Zielgruppe zusammengestellte Sortimente. Statt mit heute bereits vielfach größeren Plattformen in den Ring zu steigen, hat sich Mytheresa für einen eigenen Weg entschieden.