Passiert large

Krieg und Content

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Jürgen Müller

In ihrem brillanten Essay für die letzte Wochenendausgabe der SZ („Denk ich an Prada in der Nacht“) zieht Julia Werner über die „intellektuell seit eh und je besonders grobmotorischen Fashion-Influencer“ her, die unsere Instagram-Feeds in diesen Tagen mit einer verstörenden Mischung aus Champagner-Selfies, Atomangst und Explosionen von Mehrparteienhäusern in der Ukraine füllen und die Weltlage à la Bryanboy zusammenfassen: „Russia is Evil.“ Klar, dass dieses Influencer-Bashing Beifall fand.

Letztlich sind es die Mechaniken der digitalen Medien, die zu solchen Positionierungsproblemen führen, so Werner. „Das Like/Dislike-Konzept von Amazon und den üblichen Denunianzenportalen Holidaycheck und Tripadvisor gehört längst auch dann zur Normalität, wenn Atomkraftwerke attackiert werden: Putzi Müllerschön gefällt das nicht. Und der Mensch kann tatsächlich gleichzeitig vor dem nuklearen Schlag zittern und eine stilistische Bewertung der grünen Army-Shirts von Selenskij vornehmen.“

Doch Vorsicht! Man müsse sich als Social Media-User bewusst sein, warnt Werner, dass man mit jedem Post, der über den hippiehaften Wunsch nach Frieden hinausgehe, aktiv in einen Krieg eingreife und eine Eskalation potenziell mitbefeuere. Nichts erreiche Politiker schneller als die Vibes aus dem Netz. Umso wichtiger sei es, als am Krieg Unbeteiligter die Contenance zu bewahren.

Aber, so Werner, „dass Krieg jetzt Content ist, lässt sich nicht ändern, denn Content ist eben auch eine der wenigen Waffen, die allen Davids dieser Welt gegen Goliath bleiben.“

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Nicht nur Influencer haben Probleme mit ihrem Content, auch die Schauenveranstalter. Mailand konnte den Krieg noch weitgehend ignorieren, Paris wurde von der Realität eingeholt. „In der momentanen Lage ermutigt die Fédération de la Haute Couture et de la Mode Sie, die Schauen in den kommenden Tagen mit Feierlichkeit und in Reflexion dieser dunklen Stunden zu erleben, ließ der Haute Couture-President Ralph Toledano verlauten. Er hätte auch sagen können: „In der Ukraine herrscht zwar Krieg, aber in Paris ist Business as usual. Macht bitte nur die Musik nicht so laut.“

So blieb es insbesondere Demna Gvasalia überlassen, auf den verbrecherischen Angriff auf die Ukraine Bezug zu nehmen. Es fügte sich, dass das Show-Setting mit künstlichem Schnee und Windmaschine bereits stand. Statt wie geplant den Klimawandel thematisierte Gvasalia nun das Leid der Flüchtlinge und ließ seine Models dürftig bekleidet und mit wenigen Habseligkeiten durch den Schneesturm stapfen, vom Publikum covidkonform durch eine Glasscheibe getrennt. Das war so spektakulär wie zwingend für einen, der als Teenager seine Heimat Georgien wegen des blutigen Bürgerkriegs verlassen musste und sich selbst als „ewigen Flüchtling“ bezeichnet. Salma Hayek hat er damit, wie sie der FAZ sagte, zum Weinen gebracht. „Es hat mich sehr bewegt. Es hat mich nicht nur nachdenklich gemacht, ­sondern man fühlt Mitleid mit den Menschen. Und gleichzeitig war es doch auch poetisch. Sehr viel für eine Modenschau.“

Bei der es allerdings am allerwenigsten um Mode zu gehen schien. Von Balenciaga am stärksten in Erinnerung bleibt sicher das Klebeband-Outfit von Kim Kardashian. Schwer vorstellbar, dass es diesen Look demnächst bei Zara gibt.

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Als hätte Gvasalia es geahnt, spielt Klebeband auch eine Rolle in der Ukraine: Die russischen Angreifer kennzeichnen ihre Fahrzeuge mit einem aufgeklebten Z. Nun rätselt alle Welt, was es mit dem Z auf sich hat, zumal es den Buchstaben im kyrillischen Alphabet nicht gibt. In meiner Jugend signierte Zorro damit seine Taten, aber der scheidet als US-amerikanischer Held in Putins Welt ja aus. Vermutlich ist ein Z einfach am schnellsten angebracht.

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Und dann hat H&M diese Woche seine Iris Apfel-Kollektion vorgestellt: extravagante Artikel, die die Schweden anlässlich des 100. Geburtstages der New Yorker Stil-Ikone zum 31. März in die Läden ausliefern. Mode in Kanariengelb, Smaragdgrün, Violett, Türkis und Orange so ziemlich das Gegenteil von dem, was Demna Gvasalia in Paris vorgeschlagen hat. Man kann sich gut vorstellen, dass man in Stockholm noch diskutiert hat, ob das jetzt die richtige Zeit für so eine Co-op ist. Der fröhliche Look wirkt wie eine schale Erinnerung daran, wie dieses Frühjahr hätte werden können.

Wir alle sind in Gedanken bei den Menschen, die in der aktuellen Situation leiden und Schreckliches erleben, schreibt die H&M‑PR in der Begleit-Mail. Gleichzeitig möchten wir den Kontakt und Austausch miteinander weiterhin aufrecht erhalten um euch und eure Leser*innen an unseren kommenden Kollektionen teilhaben zu lassen und sind uns sicher, dass ihr eine gute Möglichkeit findet, das zu teilen.

Ist hiermit geschehen.

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