Ob Susanne und Christoph Botschen geahnt haben, was einmal aus ihrer Münchner Boutique werden würde? Ein weltweit agierender Konzern mit demnächst über 2 Milliarden Umsatz, dessen Aktien an der New Yorker Börse gehandelt werden, der Parties in Rom, Singapur und Los Angeles schmeisst und in China neuerdings als Mei Lin Shi auftritt.
Mytheresa hat eine der großen Erfolgsgeschichten im deutschen Modehandel geschrieben. Noch dazu auf einem Feld, auf dem man den Deutschen international nicht die allergrößte Kompetenz beimisst: Luxusmode. Wo der stationäre Einzelhandel E‑Commerce in erster Linie als Bedrohung sah und sieht (und die Digitalisierung zweifellos zu strukturellen Verwerfungen geführt hat), hat hier jemand seine Chance gesehen und genutzt.
Das ging nicht von heute auf morgen. Mytheresa hat fast zwei Jahrzehnte gebraucht, um die Umsatzmilliarde zu toppen. Zalando schaffte das in nur vier Jahren. Wenn man so will, ist das Unternehmen damit so etwas wie das späteste Umsatz-Unicorn im E‑Commerce.
Das hängt auch damit zusammen, dass es in Aschheim neben Wachstum stets auch um Profitabilität ging. Vielleicht ist dies etwas, was die Gründer als gelernte Retailer in der DNA des Unternehmens verankert haben. Vielleicht ist es aber auch einfach nur normal. Man konnte im E‑Commerce-Boom, der mit der Pandemie seinen Höhepunkt erreichte, ja den Eindruck haben, dass ökonomische Gesetze vielfach außer Kraft gesetzt wurden. Kapital war billig zu haben, und die Investoren spekulierten auf Wachstumsstories, ohne wirklich nach der Substanz zu fragen.
Das ist vorbei, jedenfalls fürs Erste. Seit der Zinswende sind Profitabilität und Solidität Trumpf, zumal in einer Marktsituation, in der auch Luxury kein Selbstläufer mehr ist. Das bringt Mytheresa in die Vorhand gegenüber Börsen-Souflées wie Farfetch und Geldverbrennern wie YNAP. Michael Kliger, seit 2015 CEO, sah deshalb jetzt die Chance, Mytheresa zu einem Hauptakteur bei der Konsolidierung des globalen Digital Luxury-Marktes zu machen.
Dass Mytheresa YNAP übernimmt, ist nur die halbe Geschichte. Richemont übernimmt zugleich 33% an Mytheresa und sichert sich damit maßgeblichen Einfluss in Aschheim.
Dass Richemont YNAP schuldenfrei und mit einer Mitgift von über einer halben Milliarde übergibt und zudem eine Kreditlinie von 100 Millionen bereitstellt, zeigt, wie schwer der Klotz gewesen sein muss, den die Schweizer seit mehr als einem Jahrzehnt am Bein hatten. Nach dem geplatzten Deal mit Farfetch ist der Handlungsdruck sicher noch gewachsen. Insgesamt muss Richemont jetzt 1,3 Milliarden Euro abschreiben.
Aber der Luxuskonzern gewinnt auch etwas. Richemont übernimmt 33% an Mytheresa und sichert sich damit maßgeblichen Einfluss in Aschheim, inklusive eines Aufsichtsratssitzes. Dass Mytheresa YNAP übernimmt, ist also nur die halbe Geschichte. Was das nach sich zieht, wird man sehen. Nachdem sich die Schweizer bei ihrem YNAP-Engagement nicht gerade als digital natives gezeigt haben, kann man nur hoffen, dass sie die Profis in Aschheim machen lassen.
Der Plan ist, Mytheresa, Net-a-Porter und Mr Porter künftig als klar positionierte, zum Kunden hin eigenständige Vertriebskanäle weiterzubetreiben. Die drei Marken sollen einen großen Teil ihrer Infrastruktur gemeinsam nutzen, ohne ihre unterschiedlichen Markenidentitäten aufzugeben. Das Off-Price-Geschäft von Yoox wird abgetrennt. Exciting Commerce spekuliert bereits, ob hier über kurz oder lang nicht Best Secret zum Zuge kommen könnte. Aufgegeben wird die White Label-Sparte, wo YNAP als Dienstleister Monolabel-Webshops für Markenpartner betreibt. Diese, darunter auch Richemont-Brands, müssen sich jetzt nach einem anderen Provider umsehen.
Das Wachstum ist notwendig, um ein relevanter Partner für die globalen Luxury Brands zu bleiben.
Der klare Fokus auf das kuratierte Multilabel-Geschäftsmodell ist sinnvoll. Die Integration der beiden Organisationen wird noch kompliziert genug, von den unterschiedlichen Unternehmenskulturen mal gar nicht zu reden. Es wäre zudem ein Wunder, wenn die Migration der IT-Systeme auf die Mytheresa-Plattform mal eben so im Handumdrehen gelingt. Mytheresa betreibt in Deutschland zwei Logistikzentren, Fotostudios in Mailand und Büros in Berlin, Barcelona, London, New York und Shanghai. YNAP hat mit der Zentrale in London international zehn Büros, eine dezentrale Logistik mit weltweit acht Standorten sowie Studios in USA, im Mittleren Osten, in Japan, China und Hongkong. Mytheresa beschäftigt rund 1900 Mitarbeitende, YNAP nach letzten Veröffentlichungen etwa doppelt so viele. Das alles zusammenzubringen, dürfte nicht trivial werden. Aber es sieht nach einem beträchtlichen Einsparpotenzial aus.
Die Börse hat den Deal fürs Erste honoriert. Der Mytheresa-Kurs hat sich in den vergangenen fünf Tagen fast verdoppelt. Er liegt freilich immer noch um rund drei Viertel unter dem Ausgabepreis vom Januar 2021.
Michael Kliger beziffert das globale Marktvolumen von Digital Luxury im Gespräch mit der TW auf 70 Milliarden Dollar. Vier davon sollen bis in fünf Jahren in den Kassen des Konzerns landen, rund doppelt so viel wie heute. Damit bringt man hiesige Verfolger wie Breuninger auf Abstand, und auch die Upgrading-Ambitionen eines Zalando dürften von einem stärker in Richtung Premium ausgerichteten Net-a-porter tangiert werden.
Das Wachstum ist nicht zuletzt notwendig, um ein relevanter Partner für die globalen Luxury Brands zu bleiben. Es war insbesondere der Direktvertrieb seiner Lieferanten, die eine stationäre Luxus-Legende wie Eickhoff seinerzeit zur Aufgabe bewegt hat. Diese werden das Geschäft perspektivisch auch online selbst machen wollen. Einen 4 Milliarden-Player mit globaler Reichweite in die relevante Zielgruppe können die Luxusmarken dagegen nicht ignorieren.