Früher hat, wer jung war und einen coolen Job suchte, "irgendwas mit Mode" gemacht. Heute machen die fähigsten Köpfe "irgendwas mit Daten". Das Schöne – und für manchen auch Bedauerliche, wenn nicht gar Bedrohliche – ist, dass sich beide Welten zunehmend überschneiden. Unter den über 60.000 Besuchern des OMR-Festivals diese Woche in Hamburg waren nicht wenige Modeleute. Und die jüngsten Ankündigungen von Hugo Boss und Esprit sind weitere Belege für die zunehmende Integration von Fashion und Tech.
Ein „Knotenpunkt für Geschäftsinnovationen und technologische Exzellenz weltweit“, soll das Future Lab sein, das Esprit im Herbst in Amsterdam eröffnet. Es gehe darum, neue Methoden zu entwickeln, „um es der Marke zu ermöglichen, neue Ideen umzusetzen, um bahnbrechende Handelslösungen zu liefern und ihre neue kundenzentrierte Vision zu verwirklichen, indem sie ihre Produkte und einzigartigen Erlebnisse näher an Verbraucher und Handelspartner bringen". So weit, so wolkig, und mancher Handelspartner wird sich fragen, ob die Marke Esprit zurzeit nicht andere Probleme hat.
Ebenfalls im Herbst soll der Tech-Hub von Metyis in Porto eröffnen, wo mittelfristig rund 1000 Techies Daten für Unternehmen auswerten und digitale Lösungen entwickeln sollen. Allein 300 sollen für Hugo Boss arbeiten. Die Metzinger haben dazu bereits im vergangenen Jahr ein Joint-venture mit der Beratungsgesellschaft Metyis gegründet, mit der Option, die Gemeinschaftsfirma innerhalb von fünf Jahren komplett zu übernehmen. Ein cleverer Schachzug, der Hugo Boss diesen Aufbruch in ein für Modeunternehmen noch unbekanntes Gefilde mit überschaubarem Risiko ermöglicht und zugleich eine Abkürzung zur digitalen Transformation des Unternehmens verspricht. So eine Organisation aufzubauen, noch dazu mit Bordmitteln und womöglich in Metzingen, wäre ein langwieriges bis unmögliches Unterfangen. In Porto (wie auch in Amsterdam) gibt es die Infrastruktur, öffentliche Förderung und insbesondere die qualifizierte Workforce. Anzüge schneidert Hugo Boss schließlich auch in Izmir.
So wie die Modeindustrie über Jahre versucht hat, das vertikale Inditex-Geschäftsmodell zu adaptieren (und größtenteils immer noch daran laboriert), geht es jetzt darum, den Wettbewerb aufzunehmen mit den Amazons und Zalandos dieser Welt. Und das sind datenbasierte Geschäftsmodelle. Da geht es uns nicht anders als anderen Branchen. VW & Co haben auch eine Weile gebraucht zu verstehen, dass Tesla nicht bloß ein weiterer Autobauer ist, sondern dass sie es mit einem neuartigen, überlegenen Betriebssystem zu tun haben.
Früher konnte man im Modegeschäft mit einem guten Bauchgefühl sehr viel erreichen. Das Business hat entsprechende Charaktere angezogen. Diese Zeiten sind vorbei. Jetzt brauchen wir vor allem Brains und Analytiker. Diese Nerds für Mode zu begeistern, ist vielleicht die größte Herausforderung.
Wo die Vertikalisierung schon ein Kraftakt war, der traditionelle Wholesaler extrem gefordert hat, wird die digitale Transformation eine Herkulesaufgabe, die viele Unternehmen überfordern wird. Wir reden über Marken, die ihre Produkte über Einzelhandelspartner, Flächen und Stammabteilungen, über eigene Stores und Franchisepartner, über Outlets und Shopping Clubs, über den eigenen Webshop und Online-Plattformen verkaufen. Über gewachsene Organisationen, wo sich Prozesse eingeschliffen und Strukturen verfestigt haben. Über Belegschaften, die zwar über große Expertise und langjährige Erfahrung, aber vielfach nicht über das heute erforderliche digitale Know-how verfügen, und schon gar nicht über die agile Mentalität von Start-ups. Letztere können ihre Geschäftsmodelle schulbuchmäßig und mit reichlich Fremdkapital ausgestattet ausrollen, während Veränderungen in etablierten Organisationen häufig von internen Widerständen und Geldknappheit gebremst werden.
Und der Kapitalbedarf wird riesig sein. McKinsey erwartet, dass Modeunternehmen ihre Technologie-Investitionen bis Ende des Jahrzehnts von derzeit 1,6 bis 1,8 Prozent auf 3 bis 3,5 Prozent vom Umsatz mehr oder weniger verdoppeln werden. Da geht es dann um Themen wie KI-basiertes Marketing, das eine hochindividuelle, personalisierte Kundenansprache ermöglicht (so wie Netflix & Co es heute schon praktizieren). Um die Verbindung von Online- und Stationär-Kanal, etwa was die Erhebung und Nutzung von Kundendaten angeht oder auch die Einbindung von Läden in die Auslieferung. Da geht es um eine totale Integration der Wertschöpfungskette für mehr Speed und einen effizienteren Ressourceneinsatz, um die optimale Abstimmung der diversen digitalen Systeme vom Planning über das Design, das Sourcing und die Logistik bis hin zu Pricing und Allokation der Ware. Und nicht wenige Brands werden sich mit Themen wie AR, VR und NFTs beschäftigen, wenn es um Marketingaktivitäten im Metaverse oder gar einen Einstieg ins Geschäft mit virtueller Mode geht.
Nicht nur das Kapital, auch die für solche Themen erforderliche Expertise ist in vielen Unternehmen rar. Das ist nicht zuletzt eine Mentalitäts-Frage. Früher konnte man im Modegeschäft mit einem guten Bauchgefühl sehr viel erreichen. Das Business hat entsprechende Charaktere angezogen. Diese Zeiten sind vorbei (sieht man vielleicht vom Boutiquen-Segment ab). Jetzt braucht es vor allem Brains und Analytiker. Die Nerds für Mode zu begeistern, ist vielleicht die größte Herausforderung.
Die Datencracks werden es am Ende allein aber auch nicht richten. Es braucht vielmehr beides: Brains und Bauch. Zalando-Mitgründer Robert Gentz bestätigt dies im Interview mit BoF: „Du kannst nicht alles maschinell und vergangenheitsbasiert machen.“ Am Ende gehe es im Modegeschäft um Emotionen. "An diesem Punkt helfen die Modeleute den Tech-Leuten", so Gentz. „Niemand möchte in einem automatisierten Logistikzentrum einkaufen. Es geht genauso um die Kunst wie um die Wissenschaft.“