Passiert large

Homeoffice bei Amazon. Ausbeutung bei Dior und Armani. Adidas bei Shein.

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Jür­gen Mül­ler

Don­ners­tag, 12. Sep­tem­ber. Manch­mal ist der Zufall der bes­te Ver­käu­fer. Nach­dem The Bear‑Serienstar Jere­my Allen White seit drei Staf­feln weis­se T‑Shirts der deut­sche Manu­fak­tur Merz b. Schwa­nen trägt, kommt die Manu­fak­tur mit der Pro­duk­ti­on des auf alten Rund­wirk­ma­schi­nen gefer­tig­ten Modells 215 nicht mehr hin­ter­her. Auf der Web­site sind die 85 Euro teu­ren Leib­chen prak­tisch per­ma­nent aus­ver­kauft. “Wir hat­ten mit der Serie ganz gro­ßes Glück”, so Merz b. Schwa­nen-Inha­ber Peter Plot­ni­cki gegen­über dem Spie­gel.

Jere­my Allen White ist ein  Pro­to­typ des “hot rodent man”, des rat­ten­ge­sich­ti­gen Man­nes, der neu­er­dings als beson­ders sexy gilt. Ob das womög­lich auch an den eng anlie­gen­den Shirts aus deut­scher Pro­duk­ti­on liegt?

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Mon­tag, 16. Sep­tem­ber. Ama­zon macht Schluss mit Home­of­fice, titelt die Bild-Zei­tung. Ab Janu­ar sol­len die Mit­ar­bei­ten­den wie­der fünf Tage die Woche ins Büro kom­men, schreibt Andy Jas­sy in sei­ner Mail. Der Applaus der Unter­neh­mer-Kol­le­gen ist dem Ama­zon-Chef gewiss. Die meis­ten wer­den lie­ber eher heu­te als mor­gen die Uhr wie­der auf Vor-Coro­na zurück­dre­hen wol­len. Was Pro­duk­ti­vi­tät und Team­buil­ding angeht, spricht sicher­lich vie­les auch dafür.

Bei den 350.000 Büro-Ama­zo­ni­ans, die von der Ent­schei­dung betrof­fen sind, dürf­te das aller­dings weni­ger gut ankom­men. Die haben sich an die Frei­hei­ten von remo­te work gewöhnt und ihr Leben ent­spre­chend dar­auf ein­ge­stellt. Im der­zei­ti­gen Arbeit­neh­mer­markt ist die Ent­schei­dung aus einer Employ­er Brand-Per­spek­ti­ve daher nicht ohne Risi­ko.

Mög­li­cher­wei­se nimmt man dies bei Ama­zon aber auch ganz bewusst in Kauf. In der­sel­ben Mail kün­dig­te Jas­sy näm­lich an, die Teams ver­grö­ßern zu wol­len, und also im Ver­gleich weni­ger Mana­ger beschäf­ti­gen zu wol­len. Damit wer­de die Orga­ni­sa­ti­on fla­cher wer­den und die Fähig­keit des Ein­zel­nen erhö­hen, “schnell zu han­deln, ihr Gefühl der Eigen­ver­ant­wor­tung zu klä­ren und zu stär­ken, die Ent­schei­dungs­fin­dung näher an die vor­ders­te Front zu brin­gen, wo sie sich am meis­ten auf die Kun­den (und das Unter­neh­men) aus­wirkt, Büro­kra­tie abzu­bau­en und die Fähig­keit unse­rer Orga­ni­sa­tio­nen zu stär­ken, das Leben der Kun­den jeden Tag bes­ser und ein­fa­cher zu machen.”

Mehr Kun­den­nut­zen mit weni­ger Per­so­nal – das funk­tio­niert so wohl nur bei Ama­zon.

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Diens­tag, 17. Sep­tem­ber. Hat irgend­wer geglaubt, die Luxus­bran­che sei was Bes­se­res? “Mit ihrem mythen­bil­den­den Mar­ke­ting ist es der Luxus­in­dus­trie gelun­gen, Prak­ti­ken zu ver­schlei­ern, die Kon­su­men­ten, Inves­to­ren und Gesetz­ge­ber gemein­hin mit Fast Fashion ver­bin­den”, schreibt Sarah Kent in ihrem lesens­wer­ten Bei­trag für BoF (Pay­wall). Die Luxus­kon­zer­ne igno­rier­ten Sozi­al­stan­dards in ihrer Sup­p­ly Chain und stell­ten ganz bewusst den Pro­fit über das Wohl der Arbei­ter. In der aktu­el­len Lage, wo der Umsatz nicht mehr so wächst und ange­sichts rasan­ter Preis­stei­ge­run­gen dis­ku­tiert wird, ob die Ware noch ihr Geld wert sei, sind die Skan­da­le um Dior und Arma­ni in Ita­li­en geeig­net, das Ver­trau­en in die gan­ze Bran­che zu erschüt­tern.

Kent weist in ihrer Recher­che nach, dass dies durch­aus begrün­det ist. Wer die in Ita­li­en ver­brei­te­te Sub­con­trac­tor-Pra­xis kennt, für den ist das alles nicht neu. Ein Zen­trum die­ses Sys­tems ist Pra­to, wo zig­tau­sen­de Chi­ne­sen zu grenz­wer­ti­gen Bedin­gun­gen schuf­ten. Aber weil alle davon pro­fi­tie­ren, wird es tot­ge­schwie­gen.

Kent hat es nun in einer umfas­sen­den Recher­che ein­ge­ord­net. Dass sie damit dem LVMH-Kon­zern ans Bein pin­kelt, der BoF mit­fi­nan­ziert, spricht für jour­na­lis­ti­sches Rück­grat. Ob Ber­nard Arnault BoF dem­nächst eben­falls auf die schwar­ze Lis­te setzt, wie er es mit einer Rei­he ande­rer Medi­en gera­de getan hat?

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Don­ners­tag, 19. Sep­tem­ber. Adi­das bei Shein. Wie konn­te das pas­sie­ren? Egal. Es ist das alte Spiel, wie es Bil­lig­hei­mer seit jeher vor­ex­er­zie­ren. Da wer­den Bestän­de auf grau­en Wegen auf­ge­kauft, um den Kun­den ein beson­ders wert­vol­les Schnäpp­chen bie­ten zu kön­nen. Die Mar­ken­her­stel­ler sind dage­gen weit­ge­hend macht­los, sofern sie ihre Dis­tri­bu­ti­on nicht zu 100% selbst kon­trol­lie­ren. Vor dem seit einer Ewig­keit her­bei­ge­raun­ten Bör­sen­gang dürf­te Shein zudem jede posi­ti­ve PR will­kom­men sein. Die jüngs­ten Nach­rich­ten aus USA, wo die Biden-Admi­nis­tra­ti­on den Bil­lig­im­por­ten einen Rie­gel ver­schie­ben möch­te, dürf­te den Chi­ne­sen hin­ge­gen gar nicht recht sein.

Aus Bran­chen­sicht eine zen­tra­le Fra­ge ist, ob Shein die gigan­ti­sche Reich­wei­te sei­ner Platt­form auch für Mar­ken nutz­bar machen wird. Dass das zum Plan gehört, darf man ver­mu­ten, auch wenn es dem Fas­ter Fashion-Geschäfts­mo­dell zuwi­der­läuft. Es muss aller­dings noch viel pas­sie­ren, dass die Brands auch offi­zi­ell dabei mit­spie­len.