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Lokal 2G, global 2stellig

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Jür­gen Mül­ler

Ob es die viel­zi­tier­te „Spal­tung der Gesell­schaft“ gibt oder es sich doch nur um die Abspal­tung einer Min­der­heit ver­wirr­ter Fak­ten­leug­ner han­delt, dar­über lässt sich strei­ten. Unbe­strit­ten ist die Spal­tung unse­res Mark­tes, die durch die Nach­rich­ten der letz­ten Zeit wie­der ein­mal bestä­tigt wird.

Da sind zum einen die inter­na­tio­na­len Luxus­kon­zer­ne, die Coro­na im ver­gan­ge­nen Jahr alle­samt hin­ter sich gelas­sen und auch ihre 2019er Ergeb­nis­se über­trof­fen haben: Kering plus 34,5%, Riche­mont plus 50%, Her­mès plus 54%, so die auf­ge­lau­fe­nen Wachs­tums­ra­ten nach neun Mona­ten. LVMH hat ges­tern ein Umsatz­plus von 44% für das Gesamt­jahr gemel­det, 14% über 2019. Cha­nel konn­te eben­falls zwei­stel­lig wach­sen und auch die Prei­se für sei­ne Taschen mal eben zwei­stel­lig erhö­hen. Auch Hugo Boss konn­te die Schar­te von 2020 wett­ma­chen und mel­det ein Umsatz­plus von 46% für das ver­gan­ge­ne Jahr.

An die Wachs­tums­ra­ten der Online Play­er hat man sich inzwi­schen gewöhnt. About You und Zalan­do konn­ten 2021 nach neun Mona­ten um 55% und 34% wach­sen. Den Akti­en­kur­sen, die 2020 pan­de­mie­be­dingt auf Höhen­flug waren, hat das frei­lich nichts genutzt, im Gegen­teil. Die Bör­se hat da ihre eige­ne Logik. Die­se Woche mel­de­ten mit Signa Sports United (plus 24%), Home24 (plus 27%) und West­wing (plus 21%) drei wei­te­re Online Play­er Rekord­ergeb­nis­se für 2021. E‑Commerce hat in Deutsch­land die 100 Mil­li­ar­den Euro-Schwel­le über­schrit­ten, mel­de­te der BEVH am Mitt­woch, fast 25 Mil­li­ar­den ent­fal­len auf Beklei­dung und Schu­he. Nach 19% Wachs­tum in 2021 rech­net der Ver­band mit einem Zuwachs von wei­te­ren 12% im lau­fen­den Jahr.

Und auch die Sport­ar­ti­kel­in­dus­trie hat die Pan­de­mie hin­ter sich gelas­sen, so eine die­ses Woche ver­öf­fent­lich­te McK­in­sey-Stu­die. Der welt­wei­te Umsatz lag 2021 dem­nach mit 295 Mil­li­ar­den Euro annä­hernd auf 2019er Niveau. Inter­sport Inter­na­tio­nal mel­de­te die­se Woche einen Zuwachs von über 20%. In Deutsch­land konn­te die Ver­bund­grup­pe ihren Umsatz im Kalen­der­jahr um 14% stei­gern. Dazu pas­sen die Ergeb­nis­se der gro­ßen Mar­ken: Puma ver­zeich­ne­te 2021 ein Plus von 32%, Nike von 19%. Adi­das mel­de­te plus 21% nach neun Mona­ten. Am Mitt­woch ver­kün­de­ten die Her­zo­gen­au­ra­cher, welt­weit 2800 neue Mit­ar­bei­ter ein­stel­len zu wol­len.

Im Kon­trast dazu ste­hen die Nach­rich­ten aus dem sta­tio­nä­ren Mode­ein­zel­han­del hier­zu­lan­de. Wer dar­auf ange­wie­sen ist, dass Kun­den zur Tür rein­kom­men, hat das Nach­se­hen. Und das seit nun­mehr zwei Jah­ren. Dass es nicht an der Attrak­ti­vi­tät des Ange­bots liegt, hat der ver­gan­ge­ne Herbst gezeigt, der vie­ler­orts ordent­li­che Geschäf­te brach­te. Doch mit dem neu­er­li­chen Anstieg der Inzi­den­zen und den 2G-Kon­takt­be­schrän­kun­gen ging es mit den Fre­quen­zen dras­tisch berg­ab. Und anders als im Lock­down gibt es aktu­ell nicht die gro­ße Kos­ten­ent­las­tung durch Kurz­ar­bei­ter­geld, im Gegen­teil fällt mit den 2G-Kon­troll­auf­la­gen zusätz­li­cher Auf­wand an. Ange­sichts täg­lich neu­er Höchst­stän­de ist zu befürch­ten, dass die For­de­rung des HDE nach Abschaf­fung der 2G-Regeln nicht durch­drin­gen wird. Min­des­tens eben­so wich­tig wäre die Ver­län­ge­rung der staat­li­chen Unter­stüt­zungs­maß­nah­men. Des­halb soll­te die Bran­che bei ihrer Kri­tik an dem neu­er­li­chen Staats­kre­dit für Gale­ria mal bes­ser ruhig sein.

Zugleich ist essen­zi­ell, dass sich das Dra­ma im kom­men­den Win­ter nicht wie­der­holt. Des­halb ist eine Erhö­hung der Impf­quo­te so zen­tral, und wie es aus­sieht geht das nicht ohne wei­te­ren Druck auf die Unge­impf­ten. Lei­der Got­tes gibt auch die neue Regie­rung kei­ne gute Figur ab, wenn es um vor­beu­gen­des Han­deln geht. Dass die Koali­ti­on kei­nen eige­nen Vor­schlag zur Impf­pflicht vor­legt, grenzt an Arbeits­ver­wei­ge­rung. Dadurch wur­de Zeit ver­spielt. Die Bun­des­tags­de­bat­te die­se Woche brach­te kei­ne neu­en Argu­men­te. Da wur­de ledig­lich ein poli­ti­scher Pro­zess ein­ge­lei­tet, der den Ver­ant­wort­li­chen am Ende erlau­ben wird, von den eige­nen Ver­spre­chun­gen aus dem zurück­lie­gen­den Wahl­kampf abzu­rü­cken. Im März, wenn die Impf­pflicht zur Abstim­mung ansteht, wer­den die Inzi­den­zen wahr­schein­lich sin­ken und damit auch der gefühl­te Hand­lungs­druck für die Poli­tik. Wenn dann kei­ne wirk­sa­men Maß­nah­men zur schnel­len Erhö­hung der Impf­quo­te ergrif­fen wer­den, besteht die Gefahr, dass sich der gan­ze Schla­mas­sel im Win­ter wie­der­holt.

Zugleich wäre es rich­tig, über Öff­nungs­per­spek­ti­ven zu spre­chen. Auch jetzt schon. Im euro­päi­schen Aus­land wird bereits gelo­ckert. Auch die hie­si­ge Öffent­lich­keit wird das in Kür­ze ein­for­dern. Da wird der Ein­zel­han­del die Kun­den auf sei­ner Sei­te haben.

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3 Antworten zu “Lokal 2G, global 2stellig

  1. Hal­lo lie­ber Jür­gen Mül­ler,

    ich ver­ste­he den Arti­kel, wenn ich ihn mit den Augen eines sta­tio­nä­ren Händ­lers lese, des­sen Vater Schuh­ein­zel­händ­ler war.
    Wenn ich aller­dings 360 Grad schaue, macht mich die­ses Scheu­klap­pen­den­ken trau­rig.
    Wir wer­den die Zeit nicht mehr zurück­dre­hen.
    Dem KLASSISCHEN Ein­zel­han­del blüht das glei­che Schick­sal wie Kauf­hof und Kar­stadt.
    Wer nicht mit der Zeit geht und dem geän­der­ten Markt nicht folgt, hat kei­ne Zukunft.
    Coro­na beschleu­nigt alles, kre­iert uns sicher vie­le zusätz­li­che Auf­ga­ben, aber das unaus­weich­li­che Ende kommt für vie­le nur frü­her.
    Da wir aber seit min­des­tens 30 Jah­ren zu viel Ware anbie­ten muss der Markt sich gesund schrump­fen.
    Die muti­gen, zeit­ge­mä­ßen und inno­va­ti­ven Händ­ler wer­den über­le­ben.
    Die eben­falls immer wei­ter auf­klaf­fen­de Sche­re der Ver­mö­gens­ver­hält­nis­se för­dert das Wachs­tum der Luxus­mar­ken und am ande­ren Ende das Wachs­tum der Dis­coun­ter. Auch die­se Ent­wick­lung gab es schon vor Coro­na. Hier ist die Poli­tik noch mehr gefor­dert als bei Coro­na.
    Die Mit­te tut sich da schwer. Hier aber bewe­gen sich die meis­ten Ein­zel­händ­ler.
    Wenn sie mei­nen das Imp­fen die­se Pro­ble­me lösen kann, sind sie für mich auf dem Holz­weg und blas­sen nur in das glei­che Horn wie die Men­schen die ungern über ihren Tellerrand/Comfort Zone hin­aus­schau­en.
    Bit­te nicht falsch ver­ste­hen , ich fol­ge ihrem Block seit Jah­ren und fin­de ihn wirk­lich toll, des­we­gen bin ich über die­sen Arti­kel so ent­täuscht.
    Wir soll­ten uns nicht hin­ter Coro­na ver­ste­cken um den Nie­der­gang das klas­si­schen Ein­zel­han­dels zu erklä­ren.

    1. Ich gebe Ihnen recht, Herr Prennt­zell. Das Imp­fen löst sicher nicht die Pro­ble­me des sta­tio­nä­ren Ein­zel­han­dels, so wie Coro­na nicht der ein­zi­ge Erfolgs­fak­tor der Online Retail­er ist. Gleich­wohl hat die­ser exter­ne Schock für extrem unglei­che Rah­men­be­din­gun­gen gesorgt. Selbst Unter­neh­men mit an sich funk­tio­nie­ren­dem Geschäfts­mo­dell, die über Jahr­zehn­te mehr rich­tig als falsch gemacht haben, sind durch die Pan­de­mie plötz­lich in ihrer Exis­tenz gefähr­det. Obwohl grund­sätz­lich libe­ral ein­ge­stellt, fin­de ich es in Ord­nung, wenn der Staat hier unter­stützt und durch geeig­ne­te Maß­nah­men wie­der für glei­che Bedin­gun­gen sorgt. Das woll­te ich mit der Gegen­über­stel­lung von Plus- und Minus­ma­chern deut­lich machen.

  2. Lie­ber Herr Mül­ler,
    bin da zu 100% Ihrer Mei­nung. Ihr Arti­kel zeigt genau auf, was die momen­ta­ne Rea­li­tät ist. Hof­fen wir mal, dass bezüg­lich den Vor­keh­rungs­maß­na­men und der Impf­quo­te end­lich kla­re Rege­lun­gen getrof­fen wer­den!
    Ich wün­sche dem sta­tio­nä­ren Mode­ein­zel­han­del wirk­lich von Her­zen, dass sich das Dra­ma des ver­gan­ge­nen Win­ters nicht wie­der­holt! Schließ­lich bie­tet der sta­tio­nä­re Mode­ein­zel­han­del auch eine Platt­form für wun­der­vol­le per­sön­li­che Begeg­nun­gen und ist Teil unse­res zwi­schen­mensch­li­chen Mit­ein­an­ders.

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