Es ist für Warenhaus-Beschäftigte ungewohnt, mal nicht von Staatshilfen, Stellenabbau und Schließungen lesen und hören zu müssen. Karstadt und Kaufhof sind Vergangenheit. Seit dieser Woche tritt ihr Arbeitgeber unter „Galeria" auf. CEO Miguel Müllenbach möchte ein neues Kapitel der Unternehmensgeschichte aufschlagen.
Kommunikativ hat man getan, was geht. Zuletzt stellte sich das Management im Videoformat „Klartext“ den Fragen ausgewählter Mitarbeitender, übertragen auf YouTube und unter Androhung rechtlicher Schritte, sollte jemand auf die Idee kommen, den Link zu teilen. Müllenbach gab der Wirtschaftspresse diverse Interviews, Einkaufschefin Karin Busnel-Knappertsbusch informierte die Lieferanten via TW. An diesem Montag lud das Management die Belegschaft ins Kino ein, um ihr Galeria 2.0 näherzubringen. 126 Säle in 95 Städten hatte das Unternehmen dafür angemietet. "Keine Zeit zu sterben", feixte Hagen Seidel in der TW in Anspielung auf den aktuellen Bond. Diese Woche dann die Eröffnungen der Pilothäuser in Kassel und Kleve sowie das Grand Opening mit über 1000 Gästen in Frankfurt am Main. Sogar in die Abendnachrichten hat Galerias Aufschlag es gebracht.
In seinem neuen "Weltstadthaus" zeigt der Konzern, wie man sich die Zukunft des Warenhauses vorstellt: Es ist ein moderner und ansprechender Auftritt mit viel Aufenthaltsqualität, einer tollen Rooftop Bar mit Skyline-Blick sowie neuen Verkaufskonzepten wie etwa der speziell auf asiatische Touristen ausgerichteten Airetage. Mit 30.000 m² ist das Haus fast um ein Drittel größer als bisher.
Sortimentsmäßig zeigt sich ein deutliches Trading up mit Brands wie z.B. Boss, Barbour oder Polo Ralph Lauren. Es ist nach wie vor so, dass das Bekleidungssortiment im Vergleich zur exquisiten Parfümerie, den hochklassigen Haushaltswaren und dem Delikatessen-Markt im Untergeschoss niveaumässig abfällt. Aber vielleicht nehmen die Kunden das auch ganz anders wahr als die Fachleute. Ein KadeWe an diesem Standort würde den Profis vielleicht gefallen und Touristen ansprechen, aber die Frankfurter Kunden dürften sich mit dem vom alten Kaufhof gewohnten kommerzielleren Modeangebot wohler fühlen. Und vielleicht ist es ja auch so, dass von Chanel, Chloé und Byredo im Erdgeschoss auch ein wenig Glanz auf Lerros, Opus und edc in den oberen Etagen abfällt. In jedem Fall bietet das Haus einen Rahmen, wo man sich als Premium Brand nicht zu schämen braucht. Es ist aus Sicht der Lieferanten zudem strategisch klug, die neue Positionierung zu unterstützen. In Frankfurt ist es heute schon so, dass viele Marken außer P&C keinen alternativen Vertriebsweg mehr haben. Wobei das Warenhaus an der zentralen Hauptwache klar die bessere Adresse hat.
Dass René Benko sich von Immobilien in kleineren Städten sukzessive trennt, sagt auch etwas darüber, wie ein langfristig denkender Investor die Entwicklung des Einzelhandels an solchen Standorten einschätzt.
So überzeugend der Auftritt am Main geraten ist: Es ist am Ende immer noch ein Warenhaus – mit allen strukturellen Nachteilen, die diese Betriebsform hat gegenüber Category-Spezialisten (mehr Sortimentskompetenz), Fachgeschäften (bessere Beratung), Vertikalen (höhere Aktualität), Platzhirschen (größere Kundennähe), Discountern (niedrigere Preise) und dem Internet (unendliche Auswahl). Im Fall von Galeria kommen Probleme und Versäumnisse aus drei Jahrzehnten hinzu, die mit dem neuen Namen ja nicht plötzlich verschwinden. Die Fusion von Karstadt und Kaufhof mit ihren sehr unterschiedlichen Kulturen wurde vor gut zwei Jahren angestoßen. Es würde einen wundern, wenn dieser Prozess organisatorisch und erst recht in den Köpfen bereits abgeschlossen wäre. Das Galeria-Management hat eine einleuchtende Formatstrategie entwickelt und nimmt einen neuen Anlauf ins Internet. Die 600 Millionen Euro, die Investor René Benko in den kommenden Jahren für Zukunftsinvestitionen bereitstellen will, sind viel Geld, aber nicht genug für 131 Filialen und den Aufbau von wirklicher Webrelevanz.
Benko hat sich in den vergangenen Jahren etliche Filetstücke in Toplagen deutscher Innenstädte gesichert, die er jetzt nach und nach entwickelt. Aktuell bestes Beispiel: das aufsehenerregende 760-Millionen-Projekt am Berliner Alexanderplatz, wo Galeria in ein Hochhaus integriert werden soll. Oder ist es umgekehrt? Wie auch immer: Am Alex wie an der Hauptwache in Frankfurt oder der Kaufingerstraße in München wird immer Einzelhandel betrieben werden. Dass Benko sich zugleich von den Kaufhaus-Immobilien in kleineren Städten sukzessive trennt, sagt auch etwas darüber, wie ein langfristig denkender Investor die Entwicklung des Einzelhandels an solchen Standorten einschätzt. Dabei hat das Warenhaus bekanntlich gerade in Klein- und Mittelstädten eine wichtige Ankerfunktion. Insofern sollte auch die Konkurrenz ein Interesse daran haben, dass der Relaunch von Galeria gelingt.
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Und hier noch ein Terminhinweis für kommende Woche:
Beim Re’aD Summit am 3. November dreht sich alles um das Thema Kreislaufwirtschaft in der Bekleidungsindustrie. Im Rahmen des halbtägigen Online-Webinars mit dem Themenschwerpunkt ‚digital x circular’ geht es um zukunftsfähige digitale Lösungen zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien. Führende Technologieanbieter klären über neueste Tools auf, und Anwender informieren über ihre Erfahrungen. Im Programm u.a. Präsentationen von ArmedAngels, Luisa Cerano und Lectra. Alle Details zum Programm und Anmeldung hier.