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Fahren auf Sicht. Aber mit Kompass.

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Jür­gen Mül­ler

Das Beklei­dungs­an­ge­bot in Deutsch­land schrumpft, mel­de­te kürz­lich der BTE. Das liest sich irgend­wie alar­mis­tisch, von einem Not­stand sind wir aber natür­lich weit ent­fernt. 3,75 Mil­li­ar­den Beklei­dungs­tei­le sei­en in Deutsch­land 2021 ver­füg­bar gewe­sen, hat der Ver­band aus­ge­rech­net. Das sei­en zwar 650 Mil­lio­nen Tei­le weni­ger als 2018. Sta­tis­tisch gese­hen ent­fie­len auf jeden der gut 83 Mil­lio­nen Ein­woh­ner aber immer noch 45 neue Beklei­dungs­stü­cke, die der Ein­zel­han­del an den Mann bzw. die Frau zu brin­gen hat­te.

Selbst wenn in der Erhe­bung jede Socke und Unter­ho­se ein­ge­rech­net ist, ist das eine gigan­ti­sche Zahl, die illus­triert, wo vie­le Pro­ble­me der Beklei­dungs­bran­che ihren Aus­gang­spukt haben. Wenn der Rück­gang des Über­an­ge­bots wenigs­tens auf eine ver­bes­ser­te Pla­nung und ein opti­mier­tes Sup­p­ly Chain Manage­ment der Unter­neh­men zurück­zu­füh­ren wäre, könn­te man von einer guten Nach­richt spre­chen. Tat­säch­lich dürf­te die rück­läu­fi­ge Inlands­ver­füg­bar­keit im ver­gan­ge­nen Jahr vor allem die Fol­ge von Lie­fer­pro­ble­men und ‑aus­fäl­len wegen Coro­na sein.

Der Markt ist auch im drit­ten Pan­de­mie-Jahr in Auf­ruhr. Sor­ti­ments­ent­schei­dun­gen waren noch nie so kom­plex wie in der lau­fen­den Order­run­de. Wegen der diver­sen Lock­downs fehlt den Unter­neh­men die Pla­nungs­grund­la­ge. Der Ver­gleich mit dem Aus­nah­me­jahr 2021 taugt nicht. 2019 ist die bes­se­re Refe­renz, aber da war die Welt noch eine ande­re. Die Fol­gen des Ukrai­ne-Krie­ges erschwe­ren wie­der­um die Pro­gno­sen. Die Preis­stei­ge­run­gen bei Ener­gie und Lebens­mit­teln drü­cken auf das Kon­sum­kli­ma. Bei Beklei­dung wird wahr­schein­lich gespart wer­den. Das HDE-Kon­sum­ba­ro­me­ter ist seit Mona­ten im Kel­ler. In der gesam­ten Euro­zo­ne hat die Ver­brau­cher­stim­mung im Juli ein Rekord­tief erreicht, wie die EU-Kom­mis­si­on am Mitt­woch mit­teil­te. Und was die anrol­len­de Coro­na-Herbst­wel­le fürs Geschäft brin­gen wird, ist unge­wiss. Momen­tan tan­giert Covid mas­siv die ohne­hin aus­ge­dünn­ten Beleg­schaf­ten. Manage­ment heißt die­ser Tage in vie­ler­lei Hin­sicht: Fah­ren auf Sicht.

Mehr denn je gilt, dass die profillose Mitte keine Zukunft hat.

Aber mit Kom­pass. Denn auch stra­te­gisch gibt es Ent­wick­lun­gen zu berück­sich­ti­gen. Kon­sum­prä­fe­ren­zen haben sich rasant geän­dert. Mehr denn je Men­schen kau­fen im Inter­net. Selbst wenn der Online Retail zur­zeit wie­der Markt­an­tei­le abgibt, haben sich die Kanä­le nach­hal­tig ver­scho­ben, für Sta­tio­när wird weni­ger vom Kuchen blei­ben. Das DMI spricht von einer Pola­ri­sie­rung des Mode­kon­sums: Die Leu­te klei­den sich ent­we­der radi­kal bequem im All­tag oder radi­kal anlass­be­zo­gen. Sie kon­su­mie­ren ent­we­der slow und nach­hal­tig oder ultra-fast, ent­we­der rich­tig bil­lig oder rich­tig teu­er. „Dort wo frü­her die modi­sche Mit­te war, ist inzwi­schen nichts mehr.“ Ganz so dra­ma­tisch muss man das wahr­schein­lich nicht sehen. Mehr denn je gilt aber, dass die pro­fil­lo­se Mit­te kei­ne Zukunft hat.

Wenn sich das Mul­ti­la­bel-Busi­ness in die­sen Tagen in Düs­sel­dorf trifft, wer­den all die­se Über­le­gun­gen eine Rol­le spie­len. Und mehr denn je wer­den sich die Gesprä­che ums Pri­cing dre­hen. Die Prei­se müss­ten streng genom­men kräf­tig stei­gen, was der Markt indes auf brei­ter Front nicht zulas­sen wird. So lagen die Prei­se für Beklei­dung laut Desta­tis im Juni ledig­lich um 0,4% über dem Vor­jahr, wäh­rend die all­ge­mei­ne Infla­ti­ons­ra­te bei 7,6% lag. Das hängt natür­lich auch mit Abschrif­ten zusam­men, die aber laut BTE weni­ger hoch sei­en als üblich. Die Rest­be­stän­de an aktu­el­ler Ware lägen unter dem sonst übli­chen Wert, so der Ver­band am Mon­tag. Klar: Es wur­den schließ­lich – sie­he oben – 650 Mil­lio­nen Tei­le weni­ger gelie­fert.