Berlin findet – wieder einmal – vor dem Hintergrund einer knallharten Saison statt. 2017 lag die Branche in bislang vier von sechs Monaten unter ihren Vorjahresumsätzen, und das teilweise massiv. Per Ende Mai meldete der TW-Testclub aufgelaufen ein Minus von 4%. Ob der Juni eine Verbesserung der Jahresbilanz bringen wird, wissen wir heute Abend. Die Erlöse sind unter Druck, daran konnten auch die heftigen und frühen Preisaktionen nichts ändern. Erst recht leiden die Erträge. Alles in allem sind das jedenfalls keine guten Voraussetzungen für eine schwungvolle neue Orderrunde.
Sehen wir es trotzdem positiv. Wie kaum eine andere Branche hat der Modehandel die Chance, sich regelmäßig neu zu erfinden. Aber auch die Verpflichtung! Mit jeder neuen Saison gilt es, die Sortimentsstrategie neu zu justieren. Neue Trends, neue Brands, die sich verändernden Bedürfnisse der Kunden, die konjunkturellen Rahmenbedingungen und die Aktivitäten des Wettbewerbs – all das will berücksichtigt sein, wenn es darum geht, das Angebot auf den Verkauf auszurichten und abzustimmen. Die Messen spielen dabei seit jeher eine wichtige Rolle – sie fungieren zugleich als Kommunikationsplattform und als Taktgeber der Branche. Das hat sich im Grundsatz über die Jahrzehnte nicht geändert, auch wenn der Modehandel sich in dieser Zeit mehrfach gehäutet und sein Gesicht völlig verändert hat.
Mit der vertikalen Konkurrenz hat der Multilabel-Handel leben gelernt, in dem er den zentral gesteuerten Systemen individuellere Sortimente, attraktive Brands und eine persönliche Kundenansprache entgegengesetzt hat. Letztlich hat man es mit Wettbewerbern zu tun, die im Hinblick auf den zentralen Selling Point – die Preis/Leistung – vielfach einen hervorragenden Job machen, ansonsten aber in vielen Parametern – Sortimentsbreite, Präsentation, Beratung, Service etc. – häufig nur vergleichbar oder schlechter sind.
Mit der Digitalisierung ist nun die nächste Revolution angelaufen. Das Internet bringt eine neue Konkurrenz, die Instrumente nutzt, die die stationären Player nicht haben bzw. erst lernen müssen, und der diese deswegen vielfach ohnmächtig gegenüberstehen. Zumal Online Retailing dem stationären Geschäft in vielerlei Hinsicht überlegen ist: Nirgendwo sonst ist das Angebot so groß, die Preise so günstig, das Einkaufen so bequem wie im Web. Die Frequenzrückgänge, die der Handel allerorten verzeichnet, haben jedenfalls nicht nur mit dem Wetter zu tun.
Der Web-Wettbewerb wird weiter Marktanteile gewinnen, das ist ziemlich sicher. Völlig ins Internet abwandern wird der Modehandel indes kaum. Dazu ist dieser Markt viel zu quirlig, individuell, kreativ und dynamisch.
Es geht aus Sicht des Fachhandels darum, die Chancen der Digitalisierung für sich zu nutzen. Das heißt für jeden Anbieter etwas anderes. Entscheidend ist der Zugang zum Kunden. Das kann, muss aber nicht Omnichannel-Vertrieb heißen, in jedem Fall heißt es aber Omnichannel-Kommunikation.
Es geht zweitens darum, sich der Vergleichbarkeit zu entziehen, indem man neue Verkaufsargumente für seine Zielgruppe entwickelt. Zum Beispiel indem man seine Sortimente kategorieübergreifend baut und nicht immer nur in Textilien, sondern vom Kunden her denkt. Indem man personalisierte und maßgefertigte Produkte anbietet. Indem man neue Services entwickelt, die für die Kunden individuellen Mehrwert generieren. Oder indem man kreative Anregungen und Erlebnisse bietet, die über den Verkauf von Ware hinaus fortwirken. Dass der Einzelhandel dem digitalen Angebot ein soziales Einkaufserlebnis entgegensetzen muss, gilt mittlerweile als Gemeinplatz. Events, Gastronomie, Shopping als Freizeitspaß – all das wird künftig eine viel größere Rolle spielen müssen.
Und last but not least kann eine Strategie darin bestehen, sein modisches Profil zu schärfen. Das ist für einen Modehändler bestimmt nie verkehrt. Schneller zu sein und Trends zu setzen, wird mit Sicherheit auch in Zukunft ein Erfolgsrezept sein. Berlin liefert Input dazu.
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