Natürlich darf man die Lage nicht schlechter reden als sie tatsächlich ist. Auch die Schwarzseher wissen um die Gefahr von self-fulfilling prophecies. Klar ist zugleich, dass die Nachrichtenlage in der Branche zurzeit wenig erbaulich ist. Da sind die vielen Insolvenzen: Galeria, Ahlers, Gerry Weber, P&C Düsseldorf, die HR Group, Klingel – um nur die Prominentesten zu nennen. Seit Juli kamen Madeleine, Better Rich, Rübsamen in Augsburg und diese Woche Lala Berlin dazu.
Dramatisch auch die Zahl der Geschäftsaufgaben: Zerres hört auf. Deerberg wird abgewickelt. Das Schuhhaus Landgraf schließt alle neun Filialen. Yves Rocher zieht sich aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zurück. Bodyshop steht mit seinen weltweit 3000 Filialen zum Verkauf. Klingel findet keinen Käufer und wird abgewickelt. Auch bei Hallhuber muss man wohl ein riesiges Fragezeichen machen.
82 Insolvenzen gab es in der Modebranche nach Zählung der Beratung Falkensteg im ersten Halbjahr, doppelt so viele wie im vergleichbaren Vorjahreszeitraum und im Branchenvergleich deutlich überdurchschnittlich viele. Insgesamt zählte Falkensteg 6977 Insolvenzanmeldungen in Deutschland, ein Zuwachs von 23,6%.
Geht hier eine ganze Branche vor die Hunde?
Natürlich nicht. Sie sortiert sich nur in rasantem Tempo neu.
Es ist eine Binse und trotzdem wahr: Des einen Krise ist des anderen Chance. So gab es allein in den vergangenen acht Wochen etliche strategisch motivierte Übernahmen. Da ist Modepark Röther, der Ahlers-Marken wie Pierre Cardin und Pioneer zu Eigenmarken macht und seinem Wholesale-Portfolio attraktive Assets beimischt. Da greift sich Fußball-Spezialist 11Teamsports den Omnichannel Retailer Kickz und erweitert damit seine Kompetenz im Bereich Basketball. AstorMüller macht sich mit Salamander ein Stück weit unabhängiger von seinen Bugatti- und Hechter-Schuhlizenzen. In Frankfurt fusioniert The Platform Group mit Fashionette; Dominik Benner bringt sein Unternehmen damit elegant an die Börse. Die Geschäftsführer des bayrischen Spielwarenfilialisten Krömer verdoppeln ihr Reich mit der Übernahme von 19 Mytoys-Filialen. Dem expansiven polnischen Filialisten Pepco bieten sich durch die vielen frei werdenden Flächen zahlreiche Optionen in deutschen Fußgängerzonen. Tedi gliedert 42 Max Plus-Stores in sein französisches Filialnetz ein.
In der Krise wittern die Strategen ihre Chance. Starke Player, die die Schwäche anderer nutzen, um sich im Wettbewerb besser aufzustellen.
In Großbritannien baut die Frasers Group sukzessive ihre Beteiligungen an N.Brown, Boohoo und Asos aus und nutzt die Schwäche der Onliner, um sich das Standbein im Internet zuzulegen. Shein sichert sich Zugriff auf Forever21 und andere Marken der SPARC Group; hinter SPARC stehen der Lizenzriese Authentic Brands Group und Mallbetreiber Simon Property Group, die im Gegenzug Anteile an Shein erhalten, was im Falle eines Börsengangs einen hübschen Wert darstellen könnte. In den Niederlanden stellt sich die JOG Group (Garcia, Jeans Center) mit Chasin breiter auf. Rolex vertikalisiert mit Bucherer. Und die Markensammler schlagen zu: Coach-Mutter Tapestry übernimmt Versace und Michael Kors. Kering reiht Valentino bei sich ein. Diese Woche kauft WHP Global G‑Star, zur Gruppe gehören u.a. Anne Klein, Bonobos, Isaac Mizrahi, Joseph Abboud, Joe's Jeans und Lotto.
In der Krise wittern die Strategen ihre Chance – starke Player, die die Schwäche anderer nutzen, um sich im Wettbewerb besser aufzustellen. Die Finanzinvestoren, die die Lifestyle-Branche im vergangenen Jahrzehnt mit billigem Geld so durcheinandergewirbelt haben, müssen wegen der gestiegenen Zinsen sehr viel genauer überlegen, wo sie die höheren Renditeerwartungen ihrer Anleger erfüllt bekommen. Die Milliarde von Advent für das australische Kleiderlabel Zimmermann bestätigt da nur die Regel.