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Das Modegeschäft nach Corona: „Wer ist in der Lage, Prei­se zu erhö­hen?“

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Jürgen Müller

Wofür werden die Leute Geld ausgeben, wenn sie es wieder ohne Einschränkungen können?

Mit Sicherheit werden die Deutschen ihrem Ruf als Reiseweltmeister wieder gerecht werden und sich für die tristen Monate in häuslicher Isolation belohnen. Hotels und Reiseveranstalter freuen sich bereits über schöne Buchungszahlen. Diese Woche gab es sogar mal wieder Stauwarnungen wegen der morgen beginnenden Pfingstferien. Wenn die Impfkampagne weiter so flott vorankommt, werden wir bald jede Gelegenheit nutzen, unter Leute zu gehen. Das Event Business sollte schnell wieder florieren, Familienfeiern nachgeholt werden. Und auch die Restaurants dürfen auf ausgehungerte Gäste hoffen. In München, wo die Außengastronomie seit letzter Woche wieder geöffnet hat, sind Tische vielfach Mangelware, und das bei eher widriger Witterung. Oder sagt man neuerdings „Wettergeschehen“?

Die gute Nachricht: Geld ist da. Die Sparquote ist in den vergangenen zwölf Monaten massiv nach oben gegangen, nicht weil die Menschen das Geld vorsorglich unters Kopfkissen gelegt hätten, sondern mangels Ausgabemöglichkeiten. Statt Pauschalurlaub in Mallorca zu buchen, haben die in Gelddingen traditionell konservativen Deutschen sogar angefangen, Aktien zu kaufen und mit Bitcoin zu spekulieren. Oder sich einen Hund zugelegt. Jetzt werden sie wieder verstärkt konsumieren, und weil von einer erhöhten Ausgabebereitschaft auszugehen ist, werden die Preise steigen. Preistreibend wirken zudem die Kostensteigerungen in der Beschaffung: etliche Branchen melden Nachschubprobleme, Lieferketten sind pandemiebedingt unterbrochen worden, Rohstoffe verteuern sich, Transportkosten steigen massiv. Prompt ist die Inflationsrate im April auf zwei Prozent gestiegen, und auch für die kommenden Monate gehen die Experten von Preissteigerungen aus.

Was bedeutet das alles fürs Modebusiness?

Zunächst wäre zu wünschen, dass die Konsumlust sich auch in den Kassen des Textilhandels niederschlägt. Gut möglich auch, dass die Menschen jogginghosenmüde sind und sich wieder aufbrezeln wollen. Anbieter von Anlassmode, zumindest jene, die die Ausgangssperren überlebt haben, können sich Hoffnung auf eine kleine Sonderkonjunktur machen. Zur steigenden Inflation wird der Modehandel indes eher nicht beitragen. Denn die Ladenöffnungen fallen in eine Saisonphase, in der die Preise traditionell fallen. Angesichts der Warenmassen im Markt und der Liquiditätsnöte vieler Händler steht zu befürchten, dass der Preisverhau in den kommenden Monaten sogar besonders krass ausfällt. Wenn die Preise fürs Wohnen, für Energie und Lebensmittel steigen, bleibt zudem weniger Budget für schöne, aber nicht lebensnotwendige Dinge wie Mode übrig. Hinzu kommt, dass die Branche ebenso wie andere Bereiche der Wirtschaft von massiven Preissteigerungen in der Supply Chain betroffen ist. All das zusammengenommen macht das Geldverdienen nicht einfacher. „Es wird jetzt um Pri­cing-Power gehen“, so Peter Schöffel neulich im Gespräch mit profashionals. „Wer ist in der Lage, Prei­se zu erhö­hen? Wer das nicht kann, wird kein Geld mehr verdienen.“

Pricing-Power entsteht, wo Produkte Mehrwert versprechen. Darin war die Modebranche eigentlich immer gut. Deren Produkte sind gemessen an den Kosten für Material und Produktion häufig nicht ihr Geld wert. Aber für das angesagte Teil, die begehrte Marke, die gute Adresse waren die Menschen seit jeher bereit, mehr zu bezahlen. Echte Modemarken sind immer auch Statuslieferanten. So wie Apple, der nicht die besten Handys, aber trotzdem eine unschlagbare Umsatzrendite hat. Oder Porsche, der in der Automobilindustrie den höchsten Gewinn pro Fahrzeug erzielt. Oder Tesla, dessen E‑Autos die Leute trotz Ladenöten kaufen.

Wenn übrigens nahezu die gesamte Branche jetzt von Sustainability spricht, dann geht es zu einem gewissen Teil auch darum, einen neuen Mehrwert für die aufgeklärte Kundschaft zu generieren. Eine glaubwürdige grüne Profilierung dürfte jenseits von Armedangels und Hessnatur allerdings eher schwierig werden. Die Bekleidungsindustrie gilt mehrheitlich als Teil des Problems und nicht der Lösung. Für das Gros der Anbieter wird es deshalb darum gehen, Angriffsflächen zu minimieren. Denn so wie der Verbrennungsmotor als Auslaufmodell gilt, wird früher oder später auch das Fast Fashion-Geschäftsmodell diskreditiert sein. Jedenfalls wenn die Unternehmen soziale und ökologische Implikationen ihres Handelns weiterhin ignorieren.

Auch wenn wir während der Pandemie Zeit hatten, über unsere Konsumgewohnheiten nachzudenken, ist dieser Sustainability Shift bei Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller freilich noch nicht angekommen. Darauf hat auch Carl Tillessen an dieser Stelle bereits hingewiesen. Und ob die Kunden jemals höhere Preise für „saubere“ Kleidung akzeptieren, steht erst recht in den Sternen. Der größte Aufsteiger im Markt ist zurzeit Shein mit seiner Hyperbillig-Superfast Fashion, und in den Fußgängerzonen bilden sich die längsten Schlangen bei H&M und Zara.

Was nach der Pandemie bleiben wird, ist der Online Shift. Das Netz hat sich als Einkaufsalternative für viele Menschen endgültig etabliert. Den Stationärhandel deswegen abzuschreiben, wäre allerdings verfrüht. Wenn die Läden eines Tages wieder offen sind, werden auch die Online Retailer nicht mehr so leichtes Spiel und entsprechend abflachende Wachstumskurven haben.