Montag, 4. Mai. Die Friseursalons öffnen wieder. Ausgerechnet an dem Wochentag, an dem die meisten normalerweise geschlossen haben. Aber es sind halt auch keine normalen Zeiten. Die Sonntagszeitung machte sich gestern noch über die derangierten Frisuren der Politiker lustig. Das Bundesfinanzministerium selbst hatte auf Instagram die missratenen Koteletten seines Hausherren aufgespießt. Das eigentlich Überraschende an der Nachricht war, dass an Scholz‘ „Haarschnitt“ üblicherweise tatsächlich ein Friseur beteiligt zu sein scheint. "Haare schneiden" wurde in den vergangenen Wochen gegoogelt wie nie zuvor, auf Instagram gibt es bald 6000 Beiträge unter dem Hashtag #coronahaircut. Dass Männer andere um ihre Glatze beneideten, war in Vor-Corona-Zeiten noch eher die Ausnahme.
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„Mir stand das Wasser bis zum Hals“, klagt eine Kundin im Westfälischen Anzeiger. In drei Läden wurde sie coronabedingt abgewiesen, schließlich verrichtete sie ihr Geschäft auf einem Parkplatz. Bauordnungsrechtlich seien Toiletten erst ab einer Gesamtfläche von 2000 m² vorzuhalten, erklärt der Bericht dazu, und die dürften ja nicht öffnen. Geschichten, die die Krise schreibt….
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Dienstag, 5. Mai. In Berlin öffnet das KadeWe wieder. Mit seinen 60.000 m² stellt das Warenhaus die größtmögliche Abweichung von der bislang geltenden 800 m²-Grenze dar. Diese Limitierung hat der Einzelhandel als Willkür empfunden, was es auch war, ebenso wie die Sonderregeln für Autohäuser und Buchläden. Überregional agierende Filialisten hat der föderale Hickhack vor enorme organisatorische Herausforderungen gestellt. In der vergangenen Woche waren bereits eine Reihe von Bundesländern ausgeschert und haben die generelle Ladenöffnung angekündigt. In Berlin hat das Verwaltungsgericht einem entsprechenden Eilantrag von Signa Retail und KadeWe Group stattgegeben. Der Andrang im größten Department Store auf dem Kontinent war der Lokalpresse zufolge am Dienstag überschaubar.
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76% Minus meldet die TW für den April – „Die Katastrophe in Zahlen“, so der lakonische Kommentar eines Einzelhändlers. Die Frequenz, zitiert die TW aus einer Studie, hat sich vergangene Woche im Vorjahresvergleich mehr als halbiert. Hugo Boss meldet minus 16% für die ersten drei Monate, Adler minus 26%. Wir werden uns fürs Erste an solche Zahlen gewöhnen müssen. Positiv gesehen: Es kann in den kommenden Wochen nur aufwärts gehen. Sofern es bei den Lockerungsübungen bleibt.
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Mittwoch, 6. Mai. Zalando prognostiziert ein zweistelliges Wachstum für 2020. Auch dank vieler Neukunden, die davor nicht dort eingekauft haben. Die Aktie steuert auf ein Rekordhoch zu. Nach dem Shutdown-Absturz haben sich die Berliner schnell wieder berappelt. Zumindest an der Börse hat Zalando ein blitzsauberes V hingelegt, während der Rest der Branche bestenfalls ein U und im schlimmsten Fall ein L zu erwarten hat.
Auch Amazon hat seinen Aktienkurs seit Mitte März um bald 50% gesteigert, untermauert von glänzenden Quartalszahlen: das 26% Umsatzplus und auch der Löwenanteil des 4 Milliarden-Betriebsgewinns ist zwar auf AWS zurückzuführen. Aber diese Quersubventionierungsoption macht Jeff Bezos erst recht zu einem furchterregenden Konkurrenten von allen, die ihr Geld allein mit Handel verdienen müssen.
Die größte Gefahr droht Amazon zurzeit wohl aus den eigenen Reihen. Statt in der Krise etwas für das ramponierte Image zu tun, macht das Unternehmen mit einer harten Linie gegenüber unzufriedenen Mitarbeitern und einer schlechten Informationspolitik gegenüber Handelspartnern anhaltend Negativschlagzeilen. Aber die Geschäfte laufen offensichtlich ja auch so.
Im Höhenflug der Digital-Aktien spiegelt sich die Erwartung wider, dass diese als Gewinner aus der Krise hervorgehen werden. Die Stationären mögen sich mit spürbar höheren Conversion Rates in ihren Läden trösten. Womöglich ist das aber auch nur ein Indiz dafür, dass die Konsumenten weniger spontan und vermehrt bedarfsorientiert kaufen. Was wiederum vor allem den Digitalen in die Hände spielen würde.