Es gibt sie noch, die guten Nachrichten aus dem Einzelhandel. Zum Beispiel von Breuninger.
CEO Holger Blecker gab diese Woche im Handelsblatt ein paar Einblicke in den Geschäftsverlauf. Das Unternehmen ist 2022 um 20 Prozent gewachsen, auf 1,4 Milliarden Euro. Die Häuser konnten sogar 30 Prozent zulegen. Deutlich über die Hälfte des Umsatzes lieferte das Online Business. Das habe sich zwar weniger dynamisch entwickelt, mit einem hohen einstelligen Plus, so Blecker. Angesichts der Tatsache, dass der Online Retail in Deutschland insgesamt 2022 kräftig Minus schrieb, ist auch das bemerkenswert. Im ersten Quartal 2023 (wo sich gefühlt die halbe Branche unter dem Schutzschirm drängelt) habe Breuninger erneut zweistellig zugelegt. "Ich erwarte ein gutes Plus in diesem Jahr", so Blecker.
Vielleicht sollte man mal aufhören, immer nur auf die Krisenfälle zu starren, sondern sich auch mal den Gewinnern und deren Erfolgsrezepten zuwenden. Und da haben die Stuttgarter in der vergangenen Jahren mehr richtig als falsch gemacht. Angefangen bei einer konsequenten Formatstrategie und einer Fokussierung von Sortiment und Auftritt auf Premium und Luxury über eine kluge Personalpolitik bis hin zu einer professionellen Umsetzung von Omnichannel, einer Thematik, über die alle reden, die aber die wenigsten beherrschen. BWL-Seminaren sei Breuninger als Case für erfolgreiche digitale Transformation im stationären Einzelhandel empfohlen.
Breuninger hat seinen Umsatz damit in zehn Jahren mehr als verdoppelt. Laut Bundesanzeiger hat die BSG Beteiligungs-GmbH, in der der Konzern die wesentlichen Handels- und Immobiliengesellschaften bündelt, ihre Erlöse zwischen 2011 und 2021 von 508 Millionen auf etwas über eine Milliarde Euro gesteigert. In diese Phase fielen u.a. die große Eröffnung in Düsseldorf und die Übernahmen von Konen in München und Bram in Luxemburg. Vor allem aber gelang es Breuninger, am Online-Boom zu partizipieren. Spätestens mit der Pandemie hat sich der Webshop als Glücksfall erwiesen.
Hinter dem Erfolg von Breuninger stehen Inhaberfamilien, die für Kontinuität im Management gesorgt haben und die vor allem in hohem Maße investitionsbereit waren und sind. Man gab nicht nur viel Geld für neue Häuser aus (zu denen sich demnächst auch ein Department Store in Hamburg gesellt) oder für ein städtebauliches Projekt wie das Dorotheen Quartier, mit dem das Stuttgarter Stammhaus buchstäblich in eine bessere Lage versetzt wurde. Sondern man machte auch 150 Millionen Euro für ein neues 130.000 m² großes Logistikzentrum locker, das auch auf die Anforderungen des Internet-Vertriebs zugeschnitten ist.
Die Transformation zeigt sich indes in den Bilanzen. Die Gewinnentwicklung der E. Breuninger GmbH & Co. als größter Tochtergesellschaft blieb hinter der Umsatzentwicklung zurück: 2021 verdiente der Multichannel-Departmentstore laut Bundesanzeiger 23,9 Mio. Euro. 2011 waren es bei bedeutend weniger Umsatz 18,4 Millionen, 2017 auch schon mal 49,3 Millionen.
Die Umsatzrentabilität des Konzerns ist gegenüber 2011 gesunken; die Kennziffer lag 2021 bei lediglich 1,2 Prozent, die EBITDA-Marge bei 8,5 Prozent. Zehn Jahre davor, als das Online-Geschäft eine sehr viel geringere Rolle spielte, waren es 1,7 Prozent bzw. 11,3 Prozent. Die Eigenkapitalquote des Konzerns sank seit 2011 von 40 auf 29 Prozent. 2019, vor Corona, lag sie bei 32 Prozent. Die Rohertragsquote hat sich mit 48,9 Prozent (2021) gegenüber 49,3 Prozent (2011) kaum verändert. Die Bestände gemessen am Umsatz haben sich von 8,7 Prozent auf 15,2 Prozent kräftig erhöht, was mit dem Ausbau des Online-Geschäfts zusammenhängen mag.
Andererseits: Was wäre Breuninger ohne dieses Online-Geschäft?
Fritz Knapp mag manchen Digital-Evangelisten vorgekommen sein wie der Autofahrer, der im Radio die Verkehrswarnung vor einem Geisterfahrer hört und ruft: ‚Einer? Hunderte!‘
Vielleicht ertragreicher, würde Fritz Knapp sagen. Der New Yorker-Inhaber ist bekennender Online-Verächter. „Für mich ist E‑Commerce die Wette auf eine Zukunft, die nie eintreffen wird“, sagte er vor Jahren mal der TW. Das könne sich nie und nimmer rechnen, und an den sinkenden Margen von zum Beispiel Inditex und H&M ließe sich das ja auch deutlich erkennen. „H&M hat mittlerweile so niedrige Margen wie ein Lebensmittelhändler.“ Überall schlummerten riesige Mengen an unverkäuflicher Ware, die meisten Bilanzen der Unternehmen seien doch geschönt. „Wenn Online-Händler mal eine richtige Inventur machen würden, dann wäre das Geschäftsmodell nicht mehr zu halten.“
Die aktuelle Entwicklung scheint Knapp zu bestätigen. Die Wachstumsriesen aus dem Internet sind bekanntermaßen Renditezwerge. Aktuell laborieren viele an zu optimistisch geplanten Beständen. About You hat gestern gerade Jahresergebnisse vorgelegt; am schnellsten wachsen dort die Verluste. Die Zinswende markiert eine Zeitenwende für die einstigen Startups: für die Kapitalgeber geht es nicht mehr primär nur um Wachstum, sondern um Profitabilität. Da könnte der eine oder andere Investor noch die Lust verlieren.
Die 2021er-Ergebnisse, die New Yorker Mitte April im Bundesanzeiger veröffentlicht hat, stützen Knapps Argumentation erst recht. Der Filialist schaffte 2021 ein Umsatzplus von 18 Prozent auf 2,033 Milliarden Euro, die Vorsteuerrendite liegt bei sensationellen 24,7 Prozent (H&M zum Vergleich: 3,2 Prozent), die Eigenkapitalquote beträgt 66,5 Prozent. New Yorker hat seinen Umsatz in den zehn Jahren seit 2011 zwar nur um gut 40 Prozent gesteigert, der Jahresüberschuss hat sich in dieser Zeit aber fast verdreifacht: Der Konzern verdiente 2021 nach Steuern 339 Millionen Euro.
Fritz Knapp mag manchen Digital-Evangelisten vorgekommen sein wie der Autofahrer, der im Radio die Verkehrswarnung vor einem Geisterfahrer hört und ruft: ‚Einer? Hunderte!‘. Aber die Fokussierung auf das Filialgeschäft und der Verzicht auf kostentreibende Omnichannel-Komplexität sind dem Unternehmen zweifellos gut bekommen.
Es macht aus Knapps Sicht auch Sinn. Zum einen wären die Warenkörbe in einem New Yorker-Webshop bei den niedrigpreisigen Artikeln nicht so, als dass sich das Versand- und Retouren-Handling rechnete. Man darf gespannt sein, wie TK Maxx das Thema löst – der Offprice-Gigant hat seinen deutschen Webshop diese Woche gelauncht.
Aber auch die Kunden scheinen New Yorker als Einkaufsadresse im Netz nicht zu vermissen. Die junge Zielgruppe ist zwar digital native, die Kids sind anders als junge Familien oder Senioren aber nach wie vor häufiger in den Fußgängerzonen unterwegs, zum Socializen und zum Shoppen. Die Teenies geben zudem das Geld der Eltern und Großeltern aus und haben häufig noch gar keine Kreditkarte oder ein Girokonto, was es für den Einkauf im Webshop braucht. New Yorker hat übrigens auch so 1,1 Millionen Follower in Instagram, sechsmal mehr als der dort viel aktivere Breuninger.
Die große Frage ist, wo New Yorker in zehn Jahren stehen wird. Wenn noch mehr Geschäft ins Internet abwandert und der Kuchen für Stationär schrumpft. Wenn die Frequenzen in Einkaufszentren und Fußgängerzonen rückläufig bleiben. Wenn Shein und Konsorten dem Young Fashion-Filialisten mit noch aggressiveren Preisen die Kunden abspenstig machen. Ob der Inhaber, der vergangene Woche 72 Jahre alt wurde, anders agieren würde, wenn er als Unternehmer noch eine 30 Jahre-Perspektive hätte?
Möglicherweise nicht. Denn vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass am Markt verschiedene Modelle ihre Berechtigung haben – Pure Player, Omnichannel-Anbieter und rein Stationäre – sofern sie ihr Geschäft verstehen und ihrer Zielgruppe bieten, was diese sucht.