Lange hat keine Nachricht die Branche so in Wallung versetzt wie der Umzug der Modemessen von Berlin nach Frankfurt. „Die Welt hat sich verändert, auch wir müssen uns verändern“, so Premium-Gründerin Anita Tillmann. "Man kommt nicht sofort auf Frankfurt, aber es ist der perfekte Ort."
Die zwiespältigen Reaktionen auf die Verlegung zeigen, dass das längst nicht jeder so sieht. Mit Einzugsgebiet, Infrastruktur und Verkehrsanbindung hatte seinerzeit schon Düsseldorf gegen Berlin argumentiert. Bekanntlich vergeblich. Auch heute würde einem als deutsche Berlin-Alternative spontan eher die Modestadt am Rhein oder vielleicht sogar München einfallen als die Mainmetropole.
Der Umzugsbeschluss ist zunächst und vor allem ein Coup für die Messe Frankfurt. Sie wird den Premium-Mehrheitsgesellschafter Clarion Events von den Vorzügen eines Ortswechsels überzeugt haben, den die Minderheitsgesellschafterin Anita Tillmann (“German Efficiency trifft Creativity“) nun tapfer verkauft. Die Gelegenheit war günstig: am Gleisdreieck ist man nach dem Verkauf der Station im vergangenen Jahr nur noch zur Miete, und nach der Panorama-Pleite gibt es in Berlin keine Messealternative mehr, die die Industrie zum Bleiben verleiten könnte. Die Frankfurter sind seit Jahren in der Hauptstadt als Veranstalter aktiv – im Prinzip eine andauernde Demütigung der Berliner Messe, die in der eigenen Stadt lediglich als zeitweiser Vermieter der Panorama eine Rolle spielte. Mit der Neonyt hat der weltgrößte Textilmessen-Ausrichter nicht nur das Zukunftsthema Sustainability frühzeitig besetzt und entwickelt, sondern damit zugleich einen Fuß ins Modemessen-Geschäft bekommen. Die letzte Neonyt in Tempelhof zeigte, welches Potenzial in dem Thema steckt.
Dass diese Erfolgsgeschichte jetzt am Main fortgeschrieben werden soll, wird auch mit den Herausforderungen zusammenhängen, die eine Messe Frankfurt zurzeit hat. Die Corona-Pandemie hat das Messe-Geschäft in diesem Jahr global weitgehend zum Erliegen gebracht. Der Weggang der IAA nach München wird ein weiteres Loch in die Kasse reißen. Zugleich ist klar, dass eine Neonyt am Main allein nicht funktionieren würde, sondern es für einen Erfolg einen großen Wurf braucht: Die Frankfurt Fashion Week ist mithin eine Flucht nach vorne. Bei alledem werden die lokalen Interessen der Gesellschafter – die Stadt Frankfurt und das Land Hessen – die entscheidende Rolle gespielt haben. Messestädte profitieren nicht nur von vermieteten Quadratmetern. 120 Millionen Euro haben die Modemessen Berlin zusätzlich eingebracht, pro Saison.
Dieses Geld ist nun nicht das Einzige, was an der Spree fehlt. Der „Modehauptstadt“ wurde das Herz entrissen.
„Berlin“ blieb für viele Beobachter bis zuletzt ein Versprechen. Im Vergleich zu den internationalen Modemetropolen konnte die deutsche Hauptstadt ihre Provinzialität nie ganz ablegen. Dieser Vergleich mit Mailand und Paris war stets irreführend. Aber er war letztlich auch irrelevant: Die Stadt funktionierte zweimal im Jahr sehr gut als Bühne für alle, die eine Botschaft an ihre Zielgruppe bringen wollen – Markenanbieter, Designer, Celebrities, Medien, Politiker. Berlin lieferte mit seinen großartigen Locations, den unzähligen Hinterhoflabels, dem interessanten Einzelhandel, der Kunst- und Subkultur die perfekte Kulisse für diese Botschaften. Die Messen waren dabei nur ein Kommunikationsformat neben anderen. Die Profis brachten Frequenz. Vor allem aber verschaffte die Business Community Berlin als Modestadt die Glaubwürdigkeit. Das wird ein künstliches B2C-Event wie die MBFW niemals hinbekommen. Es war nicht zuletzt für die Wahrnehmung der deutschen Mode im In- und Ausland gut, die Kräfte zu bündeln. Auch wenn der Fashion Council Germany sich sofort neutral positioniert hat („Wir glauben an neue und zukunftsweisende Formate, die kompromisslos auf unsere Mission einzahlen“) – man verbindet diese Initiative einfach mit Berlin.
Kann Frankfurt diese Kommunikationsfunktion übernehmen?
Eher nicht. Der Einwurf des hessischen Wirtschaftsministers Tarek Al-Wazir, dass in Frankfurt „nicht nur Platz für bad banks, sondern auch für good fashion“ sei, ist ja noch ganz witzig. Aber wenn der Wirtschaftsdezernent der Stadt davon redet, den Eisernen Steg zum schönsten Laufsteg Europas und die Zeil zur längsten Modemeile zu machen, stellen sich Modeprofis die Nackenhaare auf. Frankfurt ist eine spannende, internationale und lebenswerte Stadt. Ich habe dort 20 Jahre lang gewohnt. Aber Kreativität beschränkt sich am Main auf die Entwicklung von Steuersparmodellen in Bankentürmen, und am Einzelhandel ist allein die hohe Dichte chemischer Hemdenreinigungen bemerkenswert. Es ist besser, man versucht erst gar nicht, Frankfurt als Modemetropole zu verkaufen.
All das heißt nicht, dass eine Modemesse am Main nicht funktionieren kann. Es wird nur eine ganz andere Veranstaltung und sehr darauf ankommen, was sich die Macher inhaltlich einfallen lassen. Warten wir es ab. Nicht zu unterschätzen ist zudem die Mobilisierungspower einer global aufgestellten Organisation wie der Messe Frankfurt mit ihren 30 Tochtergesellschaften und 56 Sales Partnern in 190 Ländern und dem Budget eines öffentlich geförderten 700 Millionen-Unternehmens – Resourcen, die die privat geführten Messen in Berlin niemals hatten.
Bei aller Aufregung um Berlin und Frankfurt darf man nicht vergessen, dass sich auf den Modemessen nur ein Teil des Marktes trifft. Und zwar ein tendenziell immer noch schrumpfender. Die Konzentration, die Virtualisierung, die Digitalisierung – das sind alles Entwicklungen, die gegen die Messen laufen. Berlin? Frankfurt? Zara und Amazon ist das egal. Sie gehen nicht hin.