Mit der kürzlichen Anzeige im Manager-Magazin „Wieder ein Invest fürn Arsch“ hat Mey für Furore gesorgt. Ihr macht seit einigen Jahren mutige, humorvolle, mitunter provokante Werbung, die auch polarisiert. Wie war die Reaktion auf diese Kampagne?
Matthias Mey: (lacht) Tatsächlich habe ich seit langem nicht mehr so viel Resonanz bekommen wie auf diese Werbung. Es handelte sich um eine Produktkampagne im Herrenbereich zum Thema Innovation, in Verbindung mit einem provokanten Slogan. Wir fanden die Idee origineller als ein klassisches Model in Wäsche zu zeigen, und es hat ja auch funktioniert. Das ist das Schöne an dieser Art von Werbung, sie schafft eine Energie, die uns jedes Mal auf irgendeine Art und Weise weiterbringt.
Damit seid Ihr nicht nur in der Wäsche‑, sondern auch im Modemarkt ziemlich allein auf weiter Flur. Es gibt nicht viele, die sich so was trauen.
Jean-Remy von Matt von Jung von Matt hat einmal zu mir gesagt: Wer arm ist, muss mutig sein. Dieser Satz hat sich bei mir eingeprägt. Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne bei Werbung liegt bei sechs Sekunden. In diesen sechs Sekunden muss eine starke Botschaft gesendet werden, die auch gleichzeitig überraschend ist. Wenn das nicht gelingt, bleibt nichts hängen, und ich muss meine Werbeausgaben in Frage stellen.
Inwieweit hat sich Werbung in den letzten Jahren verändert?
Tatsächlich beobachte ich seit geraumer Zeit, dass Werbung zunehmend langweilig wird. Durch gesellschaftliche Themen wie Me-too, Gender und Body Positivity haben immer mehr Unternehmen Angst, etwas falsch zu machen und einen Shitstorm auszulösen. Ich verstehe, dass unter diesen Voraussetzungen keiner der Verantwortlichen in einem Konzern oder börsennotierten Unternehmen sich einen Fehler erlauben möchte. Wir spielen in unserer Werbung immer gerne mit Humor, aber das ist ein ganz schmaler Grat. Mit einer Werbung wie der Anzeige im Manager-Magazin ist man definitiv angreifbar.
Trotzdem erweckt Eure Werbung den Eindruck, dass Mey bewusst an Grenzen geht. Steckt dahinter das Prinzip „Schwarz-Weiß ist besser als Grau“?
Unsere Kampagnenansätze sind durchaus unterschiedlich. Nach Corona war unsere Message „Fancy for Future“. Da ging es uns darum, Mey als Lifestyle-Marke zu präsentieren und mit starken Charakteren optimistisch in die Zukunft zu blicken. Ein bisschen „drüber“ und „von allem ein bisschen mehr“, das war unser Fokus, mit Bildern und einem Witz, der beim Betrachter hängen bleibt, ohne zu beleidigen oder zu diskriminieren.
"Der erste Fehler ist schon, dass ich als mitteleuropäischer weißer Mann mit Ende 40 auf diesem Stuhl sitze. Erst vor kurzem wollte eine Kundin, dass ich mich bei ihr entschuldige, da ich als Mann an der Spitze einer Dessousmarke stehe."
Gab es einmal die Situation des „too much“?
2015 hatten wir zum Thema Nachhaltigkeit eine Kampagne entwickelt mit dem Slogan: „Ihr Sportwagen kommt ja auch nicht aus Bangladesch“. Der Ursprung unseres Gedankens war, darauf hinzuweisen, darüber nachzudenken, wo die Teile, die man so anzieht, eigentlich produziert werden. Wir wollten niemals Bangladesch als Produktionsstandort diffamieren, doch in diesem Moment kam es bei vielen so an. Mit dieser Werbung haben wir einen Höllen-Shitstorm ausgelöst. Daraus haben wir viel gelernt.
Gerade in der Wäsche kann man heute besonders schnell ins Fettnäpfchen treten, oder?
(lacht). Der erste Fehler ist schon, dass ich als mitteleuropäischer weißer Mann mit Ende 40 auf diesem Stuhl sitze. Erst vor kurzem wollte eine Kundin, dass ich mich bei ihr entschuldige, da ich als Mann an der Spitze einer Dessousmarke stehe. Was wir heute alles an Kritik bekommen ist unglaublich. Die einen fragen, ob wir auch mit unserer Wäsche auch Bordelle beliefern? Andere werfen uns vor, dass wir in unserem Online-Shop immer noch in die Kategorien Frauen und Männer-Produkte trennen, weil das unter Gender-Aspekten nicht mehr zeitgemäß ist. Dann wiederum werden wir gefragt, wie bunt wir bei der Wahl unserer Models noch werden wollen. Als Marke ist man heute schnell am Pranger. Trotzdem halte ich daran fest, dass man vor lauter Vorsicht nicht jede Message verwischen sollte.
Ist die Strategie aufgegangen? Habt Ihr dadurch eine neue, modischere Zielgruppe erschlossen?
Tatsächlich kann ich sagen, dass wir heute als Body- und Lifestylemarke und nicht mehr nur als Wäschelieferant wahrgenommen zu werden und mittlerweile auch im gehobenen Genre vertreten sind. Das war vor acht Jahren, als ich Mey übernommen habe, noch undenkbar. Unser Vorteil ist, dass wir mit Nachtwäsche und Dessous unverwechselbare Looks schaffen, die uns am Markt momentan einzigartig machen. Das öffnet uns aktuell vor allem international viele Türen. Der Erfolg gibt uns recht. Wir haben in den letzten acht Jahren unseren Umsatz fast verdoppelt.
Wie schafft man den Spagat zwischen der Bestandskundin, die bei Mey den guten weißen Schlüpfer sucht und der Neukundin, die über modische Dessous gewonnen werden soll?
Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Wir bilden bei Mey vom Langbeinschlüpfer bis zum hocherotischen Dessous alles ab. Auf der einen Seite sind wir Bodywear- und Lifestylemarke, auf der anderen Seite Produktspezialist. Wir haben allein 10.000 SKUs auf Lager, das ist eine immense Breite, die es nicht immer leicht macht, modische Akzente zu setzen. Hier hat es die Mode deutlich einfacher, Akzente zu setzen.
Inwiefern?
Der hohe NOS-Anteil im Wäschebereich mit einem Großteil in Schwarz, Weiß und Nude kann die Positionierung einer Marke durchaus verwässern. Wenn eine Kundin durch unsere Werbung auf die Idee kommt, eine Mey-Wäschefläche im Handel aufzusuchen, kann es sein, dass sie vor lauter NOS-Artikel den Mode-Part gar nicht findet und dann enttäuscht ist. Da legen wir einen ziemlichen Spagat hin.
"Ich glaube an keinen Handel so sehr wie an den Wäsche-Fachhandel, weil nirgends Passformberatung so gedankt wird wie hier"
Ist es möglicherweise sogar einfacher, die modische Kompetenz online zu spielen?
Das würde ich so pauschal nicht sagen. In unseren eigenen Stores zum Beispiel spielen wir Mey auf höchstem modischen Level. Viele klassische Produkte gibt es dort nur noch auf Bestellung. Aber wir haben auch viele tolle Kunden wie zum Beispiel Breuninger, Garhammer, L&T oder Engelhorn, die mit uns den Weg der Modernisierung gegangen sind und erkannt haben, dass auch eine Wäscheabteilung kuratiert werden muss. Ich glaube an keinen Handel so sehr wie an den Wäschefachhandel, weil nirgends Passformberatung so gedankt wird wie hier.
In der Mode sprechen alle immer von der jungen Kundin, die man in Zukunft ansprechen möchte. Wie sieht das in der Wäsche aus?
Natürlich freuen auch wir uns, wenn jüngere Kundinnen uns über Social Media entdecken. Die Frage ist, wie viele Kundinnen können oder wollen sich mit Mitte 20 einen BH für 70 Euro leisten? Diese kaufen verstärkt bei vertikalen Anbietern. Allerdings haben wir dann einen Wettbewerbsvorteil, wenn das Thema Passform ins Spiel kommt, vor allem was den Tragekomfort angeht oder auch zum Beispiel bei einer sehr großen Brust.
Im stationären Handel reden alle von Entertainment und kuratierten Lifestylesortimenten. Ist die Kooperation mit Greenglam und das Handelskonzept Mes Amis ein Schritt in diese Richtung?
Auch im Wäschehandel müssen wir an dem Thema Modernisierung arbeiten. Was Mes Amis angeht, bin ich dazu wie die Jungfrau zum Kind gekommen, weil einer unserer Kunden sein Geschäft aufgeben wollte und wir es kurzfristig übernommen haben. In diesem Zusammenhang bin ich auf die Kooperation mit der Organic Beauty-Plattform Greenglam gestoßen. Inzwischen betreiben wir drei Mes Amis Geschäfte, wo wir neben Mey auch andere Wäsche- und Dessousmarken sowie ausgewählte Naturkosmetikprodukte führen. In Aschaffenburg haben wir sogar eine Kosmetikerin und eine Kabine für kosmetische Behandlungen. Die Idee ist, sich einen Wellness-Vormittag zu gönnen, und ein extrem hochwertiges, modisch kuratiertes Sortiment zu bieten.
Mey war bereits zum zweiten Mal Kooperationspartner von Kilian Kerner zur Berlin Fashion Week. Sind solche Aktivitäten ein Versuch, ein anderes Bewusstsein für die Marke zu schaffen?
Die Kooperation mit Kilian Kerner ist eine tolle Zusammenarbeit, weil er uns wirklich in seine Looks einbindet, und der Trend uns in den letzten zwei Saisons auch sehr entgegengekommen ist. Die Präsenz in Berlin war ganz stark auf PR ausgelegt, und das hat sehr gut funktioniert und uns Reichweite gebracht, nicht zuletzt auch durch die Kooperation mit Nina Süß, die zur Show für ein paar Stunden unseren Instagram-Kanal bespielt hat.
Apropos Instagram. Welche Rolle spielt Instagram und das Business mit Influencern bei Mey?
Tatsächlich bin ich etwas Instagram und Influencer-müde bzw. stelle immer mehr die Relevanz in Frage. Wir versuchen auch dort unsere eigenen Wege zu gehen und als Marke gute Botschaften zu senden. Aber wir brauchen vielleicht nicht mehr unbedingt die ganz großen Influencer in der Zusammenarbeit, sondern diejenigen, die authentisch und glaubwürdig sind, was die Themen Nachhaltigkeit, Fashion und Body Positivity anbelangt und zu uns als Marke passen.
"Verkaufen über Instagram ist keine Option, weil die meisten Influencer per Rabattcode verkaufen. Und über den Preis verkaufen ist einfach. Dafür brauche ich keine Influencer."
Das heißt, Verkaufen über Instagram ist keine Option?
Nein, weil die meisten Influencer per Rabattcode verkaufen. Und über den Preis verkaufen ist einfach. Dafür brauche ich keine Influencer.
Das heißt eine Kooperation mit einer Influencerin ist eher keine Option, aber wäre eine Kooperation oder Caspsule Collection mit einer Designer*in denkbar?
Grundsätzlich sind wir nach allen Seiten offen. Im Moment sehe ich diese Option weniger mit einem Influencer als mit einer großen internationalen Brand, um vor allem im Ausland eine andere Wahrnehmung zu erreichen.
Welche Rolle spielen Messen noch als Marketing-Plattform?
Ich bin nach wie vor ein großer Fan von Messen, und leider haben wir es in Deutschland versäumt, eine gute Messelandschaft aufrechtzuerhalten so wie die Italiener, die unbeirrt ihren Pitti machen. Dabei sind Messen als Plattform so wichtig und können auch so inspirierend sein. Nirgendwo kann man sich so schnell einen Überblick verschaffen und sehen, wer einen guten Job macht. Für uns als Marken ist dies auch ein gutes Tool, um sich mit anderen Brands zu messen. Schade, dass wir es nicht schaffen, die Menschen zusammenzubringen und zu begeistern.
Noch ein Wort zu Eurem Logo. Das Markenlogo zu verändern gilt als Heiligtum und wird in der Regel behutsam verändert, so dass es die Verbraucher am besten gar nicht merken. Ihr habt es quasi einmal neu erfunden. Warum?
Ich war immer schon sehr kritisch unserem Logo gegenüber, weil ich das alte farbige Logo immer mit Maschinenbau in Verbindung gebracht habe. Das alte Logo hat uns in der Modernisierung der Marke immer ausgebremst, und eine Internationalisierung wäre damit nicht möglich gewesen.
Du hast wiederholt das Thema Internationalisierung erwähnt. Ist das eines der konkreten Zukunftsthemen für Mey?
Als ich vor acht Jahren die Unternehmensleitung übernommen habe, lag der Exportanteil bei 20 Prozent. Das steigern wir kontinuierlich. Man kann auch sagen: Da ist noch Potenzial nach oben.