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Die großen Luxusmarken haben ihre Produkte in nur fünf Jahren 33 Prozent teurer gemacht. Im Durchschnitt. Ihre bekanntesten Handtaschenmodelle sogar über 90 Prozent. Die beiden Mega-Luxuskonzerne LVMH und Kering verzeichneten im dritten Quartal des letzten Jahres einen Umsatzrückgang von 5 beziehungsweise 16 Prozent. Seitdem wird allerorts einfach so dahergesagt und dahingeschrieben, die Luxusmarken seien mit ihren Preiserhöhungen krachend gescheitert („luxury downturn“) und die Menschen hätten sowieso die Nase voll von Luxus („luxury fatigue“). Beides ist vollkommener Blödsinn.
Erstens: Die erfolgsverwöhnte Luxusbranche jammert auf allerhöchstem Niveau. Nach derzeitiger Einschätzung hat sie in den kommenden Jahren keine Umsatzrückgänge zu fürchten, sondern lediglich ein etwas langsameres Wachstum von jährlich 1 bis 3 statt der gewohnten 5 Prozent.
Zweitens: Die Preiserhöhungen der letzten fünf Jahre sind für die Luxusanbieter keineswegs als Misserfolg zu verbuchen. Im Gegenteil: Ihre Gewinne haben sich in diesen fünf Jahren verdreifacht. Es ist ihnen gelungen, einen Veblen-Effekt auszulösen, wie er im Buche steht. Das heißt: Die Nachfrage nach ihren Produkten hat nicht ab‑, sondern zugenommen, weil sich mit ihren Preisen auch der mit ihrem Besitz verbundene Status erhöht hat.
Drittens: Beim Veblen-Effekt kommt die Nachfragesteigerung in Folge einer Preissteigerung nicht daher, dass die bestehende Klientel mehr kauft. Es ist vielmehr so, dass man einen Teil seiner bestehenden Klientel verliert, dafür aber eine neue, zahlungskräftigere Klientel für sich gewinnt. Man darf die Luxusmarken nicht unterschätzen und kann davon ausgehen, dass sie bei ihren letzten radikalen Preiserhöhungen eine gewisse „Erstverschlimmerung“ eingeplant und zu Gunsten langfristiger Gewinne in Kauf genommen haben.
Viertens: Das Geschäft mit Kundinnen und Kunden aus China macht fast ein Fünftel des Gesamtvolumens des Luxusmarktes aus. Insbesondere wegen dieser immer wichtigeren Zielgruppe hatten die großen Marken ihre Preise immer weiter erhöht. Denn den reichen Chinesinnen und Chinesen konnte es gar nicht teuer genug sein. Wenn diese Kundinnen und Kunden jetzt weniger europäische Luxusgüter kaufen, dann liegt das also eher nicht daran, dass ausgerechnet ihnen die Preise zu hoch sind. Vielmehr liegt es unter anderem daran, dass die großangelegte Anti-Europa-Kampagne greift, mit der die chinesische Regierung das Geld ihrer Bürgerinnen und Bürger im Land halten will.
Fünftens: Im Gegensatz zu Häusern, Autos und Yachten sind Handtaschen, Gürtel und Schuhe relativ erschwingliche Statussymbole. Ihr Preis war bis zuletzt so angesiedelt, dass auch Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen ihn sich irgendwie abknapsen konnten. Und das taten sie auch zunehmend. Denn seit man auf Instagram, Tiktok und Co. ohne Unterlass vorgegaukelt bekommt, dass alle anderen in Luxus leben, will man natürlich auch seinen Anteil daran haben.
Die „Demokratisierung von Luxus“ ist ein Widerspruch in sich. Denn „exklusiv“ kommt von „ausschließen“. Luxus muss Menschen ausschließen. Nur wenn die meisten ihn sich nicht leisten können, schätzt man sich glücklich, zu den Wenigen zu gehören, die ihn sich leisten können.
Leider war diese vorübergehende „Demokratisierung von Luxus“ aber ein Widerspruch in sich. Denn „exklusiv“ kommt von „ausschließen“. Luxus muss Menschen ausschließen. Nur wenn die meisten ihn sich nicht leisten können, schätzt man sich glücklich, zu den Wenigen zu gehören, die ihn sich leisten können. Durch ihre jüngsten Preiserhöhungen haben die Luxusmarken ersten Schätzungen zufolge weltweit rund 50 Millionen Kunden ausgeschlossen. Das ist bitter. Für die Kunden. Nicht für die Luxusmarken. Sie mussten es, sie wollten es.
Die Langzeitbetrachtung des Luxusmarktes bestätigt, dass die Marken am High End des Preisspektrums sich seit Jahren am besten entwickeln. Vor allem erweisen sie sich immer wieder als besonders krisenfest. So auch jetzt, in dem aktuellen „luxury slowdown“: Als im ersten Quartal 2024 den anderen Luxusmarken ihre Chinaumsätze wegbrachen, sprangen sie bei Hermès ganze 17 Prozent nach oben. Ein halbes Jahr später, als LVMH und Kering die eingangs bereits erwähnten Umsatzrückgänge von 5 bzw. 16 Prozent eingestehen mussten, konnte Hermès einen satten Umsatzzuwachs von 11 Prozent verkünden. Der Online-Umsatz von The Row lag im September des vergangenen Jahres 175 Prozent über dem Vorjahr. Im Quartal darauf trumpfte Brunello Cucinelli mit einem Umsatzplus von fast 12 Prozent auf, dem „absolut betrachtet besten Ergebnis aller Zeiten“.
Kein Wunder also, dass plötzlich alle in dieser Liga mitspielen wollen. Alle wollen jetzt wie Hermès werden. Theoretisch ist das zwar ein guter Plan. Praktisch wird es den meisten von ihnen aber nicht gelingen, weil sie gar nicht das Zeug dazu haben.
Bis zu einer gewissen Preislage genügen eine clevere Idee und das richtige Label. Ab einer gewissen Preislage jedoch erwarten die Kundinnen und Kunden auch kostbares Material.
Erstens: Alle wollen jetzt Marke für Superreiche werden. Keiner will mehr Marke für Möchtegern-Reiche sein. Diesen sogenannten „Aspirational Luxury Consumers“ verdankten die Luxusmarken laut einer McKinsey-Studie zuletzt aber die Hälfte ihrer Umsätze. Wenn das der Durchschnittswert ist und es zahlreiche Luxusmarken wie zum Beispiel Loro Piana gibt, die ihre Umsätze fast ausschließlich mit den wirklich Reichen machen, dann heißt das, dass es auf der anderen Seite auch zahlreiche Luxusmarken gibt, die ihre Umsätze fast ausschließlich mit Aspirational Luxury Consumers machen. Wenn solche Marken jetzt ihre Preise außer Reichweite dieser Aspirational Luxury Consumers bringen, müssen sie mit Entsetzen feststellen, dass die Möchtegern-Reichen, die sie damit ausschließen, ihre Hauptkunden waren und dass sie genau deshalb bei den Superreichen nicht landen können.
Zweitens: Ob es gelingt, die drastische Preiserhöhungen durchzusetzen, hängt auch davon ab, ob Marken und ihre Produkte als zeitlos wahrgenommen werden. Auch Luxuskundinnen und Kunden setzten den Anschaffungspreis ins Verhältnis zur geschätzten Nutzungsdauer. Bei langlebigen Investment-Pieces wie einer Kelly Bag oder Chanel-Ballerinas sind sie deshalb deutlich weniger preissensibel als bei kurzfristigen Hype-Produkten wie der Rodeo Bag von Balenciaga oder den Glitzer-Ballerinas von Alaïa.
Drittens: Überteuerte Canvas-Logotaschen von Gucci, überteuerte Gummistiefel von Bottega Veneta, überteuerte Basic-T-Shirts von Dior… bis zu einer gewissen Preislage genügen eine clevere Idee und das richtige Label. Ab einer gewissen Preislage jedoch erwarten die Kundinnen und Kunden auch kostbares Material. Deshalb kann eine Marke wie Loro Piana, die Kaschmirpullover und Lammfelljacken anbietet, leichter Preiserhöhungen durchsetzen als eine Marke wie Balenciaga, die Baumwoll-Hoodies und Moon-Wash-Jeans anbietet. Gerade wurde eine Birkin Bag aus einem besonders seltenen Krokoleder für 1,2 Millionen Euro versteigert. So weit wird es ein Nylonrucksack von Prada trotz allem nie bringen.
Viertens: Luxusmode wird zwar immer teurer verkauft, aber immer billiger hergestellt. In Italien mussten allein in den ersten neun Monaten des letzten Jahres zweitausend Produktionsstätten schließen, weil so viele Luxusmodemarken ihre Produktion in Billiglohnländer verlegen. Während die Produktionsbedingungen dieser Marken immer obskurer werden, investieren Hermès, Brunello Cucinelli und Zegna in ihre gläsernen Vorzeigemanufakturen. Die „Ateliers Hermès“, die „Humanistic Enterprise“ in Solomeo und die „Oasi Zegna“ können sich sehen lassen. Dort werden im Herzen Europas mit weltweit einzigartigem Savoir-faire feinste französische Leder und italienische Stoffe in kunstvoller Handarbeit zu Meisterstücken verarbeitet. Das ist es, was anspruchsvolle Kundinnen und Kunden hören und sehen wollen. Nur wenn sie einer Marke diese Geschichte abkaufen, kaufen sie ihr auch astronomisch teure Handtaschen und Kaschmirmäntel ab.
Das gilt insbesondere für chinesische Kundinnen und Kunden. Wenn europäische Luxusmarken, um Kosten zu sparen, die Fertigung ihrer Kleidung von Frankreich und Italien nach China verlagern (Celine, Balenciaga, Dolce & Gabbana und so weiter) oder ihre Handtaschen unter haarsträubenden Bedingungen in chinesischen Sweatshops in Prato zusammenschustern lassen (Dior, Armani, Gucci und so weiter), dann brauchen sie sich nicht darüber zu wundern, dass die chinesischen Luxuskundinnen und ‑kunden sich von ihnen abwenden.
Luxusmarken, die bereit sind, nicht nur ihre Preise, sondern auch ihre Produkt- und Unternehmenskultur auf ein Luxusniveau zu bringen, werden irgendwann ebenfalls wirkliche Luxuspreise aufrufen können.
Fünftens: Wer dem Künstlerischen Leiter von Hermès, Pierre-Alexis Dumas, oder Brunello Cucinelli selbst lang genug zuhört, erkennt: Diese Menschen tun nicht nur so, als wären sie etwas Besonderes, sie denken wirklich anders.
In einem aktuellen Interview fragt eine Journalistin Dumas, wie man an eine Hermès Tasche kommt. Die Antwort: “You have to be patient. It’s a long process. You have to wait. Eventually it’s going to happen.” Die Journalistin ist fassungslos: “But you know the world we live in, right? You know that if somebody has the funds and they want the bag, they want the bag now?” Dumas ungerührt: “Yes, I have children too.” Und dann: “Maybe there is another form of relation to the world which is linked to patience, to taking the time of making things right.” Die Journalistin kann es immer noch nicht glauben und hakt noch einmal nach: “There is no way of speeding it up and keeping the quality?” Die Antwort ist eindeutig und endgültig: „You cannot compress time without compromising on quality.”
Währenddessen hat Loewe seine 3000-Euro-Puzzle Bag vereinfacht, damit sie sich schneller und damit kostengünstiger herstellen lässt. Das Revers des 3000-Euro-Amiri-Anzugs ist verbügelt – vermutlich im Akkord. Das 1500-Euro-Prada-Polo fängt nach kürzester Zeit an zu pillen, weil kurzstapelige Baumwolle verstrickt wurde. “Expensive is a product which is not delivering what it’s supposed to deliver. But you’ve paid quite a large amount of money for it, and then it betrays you”, so Dumas. “Hermès is not expensive, it’s costly. The cost is the actual price of making an object properly with the required level of attention so that you have an object of quality.” Selbstverständlich denken auch Hermès und Brunello Cucinelli den ganzen Tag darüber nach, wie sie ihre Marge verbessern können. Aber sie tun dies unter gar keinen Umständen jemals auf Kosten der Qualität ihrer Produkte.
Die großen Luxusmarken haben in nur fünf Jahren ihre Produkte 33 Prozent teurer gemacht. Selbstverständlich stößt der Veblen-Effekt irgendwann an seine Grenzen. Marken wie Hermès können ihre Preise über diese Grenzen hinaus erhöhen, weil bei ihnen der Halo-Effekt hinzukommt. Sie sind in den Augen der Kunden über jeden Zweifel erhaben. Einen solchen Heiligenschein muss man sich verdienen. Luxusmarken, die bereit sind, nicht nur ihre Preise, sondern auch ihre Produkt- und Unternehmenskultur auf ein solches Niveau zu bringen, werden irgendwann ebenfalls solche Preise aufrufen können.
Luxusmarken hingegen, die glauben, sie könnten sich all das sparen – im übertragenen wie im wörtlichen Sinne – und High-End-Preise würden genügen, um die Welt glauben zu machen, sie seien High-End, stellen fest, dass man ihnen das einfach nicht abkauft – im übertragenen wie im wörtlichen Sinne. Eine kostspielige Erfahrung, die sie sich besser erspart hätten. Denn selbst wenn diese Marken zurückrudern und doch wieder Einstiegsluxuspreislagen anbieten, werden alte Marken wie Coach und neue Marken wie Jacquemus bereits die Lücke geschlossen haben, die sie hinterlassen hatten.
Carl Tillessen ist Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts. Sein Buch “Konsum” geht der Frage nach, wie, wo und vor allem warum wir kaufen. www.carltillessen.com