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Mann, lass Dich doch beraten!

Männer sind leider in Kleiderfragen oft beratungsresistent, allerdings kaum je zu ihrem Vorteil. Woher kommt diese Ignoranz gegenüber der eigenen Erscheinung, fragt sich Jeroen van Rooijen.
Jeroen van rooijen
Jero­en van Rooi­jen

Ich mache dann und wann Per­so­nal Shop­ping, also Ein­kaufs­be­glei­tung mit Män­nern. Von Mann zu Mann. Denn in 30 Jah­ren haupt­be­ruf­li­cher Beschäf­ti­gung mit Klei­dung hat sich ein Erfah­rungs­schatz ange­häuft, den man gut und ger­ne mit ande­ren tei­len kann. Dabei stel­le ich oft fest, dass selbst Män­ner, die sonst in Fra­gen der Lebens­art eini­ger­ma­ßen beschla­gen sind, in Bezug auf ihren Klei­der­schrank ziem­li­che Green­horns sind. Sie haben es nie gelernt, sich mit die­sem The­ma zu beschäf­ti­gen. Klei­dung ist ein blin­der Fleck in einer sonst schil­lern­den Vita.

Dies steht in einem eigen­ar­ti­gen Gegen­satz zu der sonst in fast allen Bran­chen mun­ter auf­schäu­men­den Con­sul­ting-Flut. Da neh­men – nicht nur, aber vor allem – Män­ner ger­ne gan­ze Heer­scha­ren von Bera­tern in Anspruch: Fit­ness- und Ernäh­rungs­be­ra­ter, Steu­er- und Ver­mö­gens­be­ra­ter, Gesund­heits-Coa­ches, Unter­neh­mens­be­ra­ter, Head­hun­ter und Talent Scouts. Fast alle Aspek­te des Lebens wer­den mit irgend­ei­nem Bera­ter erör­tert. Nur die Gar­de­ro­be nicht.

Dar­um stol­pern die Her­ren dann recht unsi­cher bis kom­plett hilf­los durch die Geschäf­te – unfä­hig, zwi­schen Qua­li­tät und Ramsch zu unter­schei­den, unge­schult in Fra­gen der Pro­por­ti­on und Far­ben­leh­re und immun bezüg­lich modi­scher Aktua­li­tät. Sie ken­nen zwar die Grund­for­men – Pull­over, Hose, Jackett, Jeans, Hemd, Man­tel –, doch sie sind kaum je in der Lage, inner­halb die­ser Kate­go­rien einen trau­ri­gen Basic von einem raf­fi­nier­ten Invest­ment Pie­ce zu unter­schei­den.

War­um? Sie haben es eben nie gelernt. Klei­der­fra­gen sind weder in der Grund- oder Mit­tel­schu­le je ein The­ma, auch im Gym­na­si­um oder wäh­rend des Stu­di­ums kom­men sol­che The­men nicht vor. Mit etwas Glück hören Män­ner im Ver­lauf ihres Erwach­sen­wer­dens irgend­wo mal einen Vor­trag oder spre­chen mit einem mode­be­wuss­ten Onkel, der ein Flämm­chen ent­zün­det – doch pro­fun­de Kennt­nis ent­steht dadurch nicht, eher nur recht vage Teil-Ahnung.

Fachlich gute Beratung ist selten geworden. Vielerorts hat das Verkaufs-Personal nur noch die Funktion von Kassierern oder Lageristen. Da kann man ja gleich bei Amazon einkaufen gehen.

Weil Män­ner zwar oft ein biss­chen igno­rant, aber nicht dumm sind und um ihre Defi­zi­te wis­sen, ent­wi­ckeln sie mit der Zeit eine fast schon ritu­el­le, dog­ma­ti­sche Ableh­nung jeder modi­schen Beflis­sen­heit. Als wäre Klei­dung nicht eine kul­tu­rel­le Errun­gen­schaft, son­dern die Fol­ge einer fal­schen Prio­ri­tä­ten­set­zung. In alt-macho-mäßi­ger Manier wird Mode­be­wusst­sein dann als „Wei­ber­zeugs“ abge­tan – für sol­che Neben­säch­lich­kei­ten nimmt man sich doch kei­ne Zeit!

So erle­be ich es oft, dass auch Her­ren, die es im Leben durch­aus zu etwas gebracht haben und auf der Kar­rie­re­lei­ter eini­ge stei­le Stu­fen geklet­tert sind, betref­fend Klei­der­fra­gen ahnungs­lo­se Stüm­per sind. Wenn sie ein­kau­fen gehen, tun sie zwar ger­ne so, als wüss­ten sie schon alles – dies aber nur, um ihre Unkennt­nis zu tar­nen. Die meis­ten ent­schei­den sich aber, sol­che Her­aus­for­de­run­gen ganz zu mei­den und gehen gar nicht ein­kau­fen. Sie dele­gie­ren ihre Optik an die Gat­tin – oder neu­mo­disch an eine App, die sie mit­tels Algo­rith­mus ein­klei­det.

Das Ergeb­nis ist in bei­den Fäl­len nicht groß­ar­tig: Die Gat­tin ver­mei­det es in der Regel (bewusst oder unbe­wusst?), den Herrn Gemahl all­zu fan­cy aus­zu­stat­ten (womög­lich damit er nicht ande­ren Damen ins Visier gerät…). Und der App-Algo­rith­mus klei­det sei­nen User meis­tens nur mit den aller-banals­ten Basics der Mar­ke Num­mer Sicher. Es geht ja dar­um, zu ver­mei­den, dass all­zu viel Ware retour­niert wird.

So viel Poten­zi­al, so wenig Ambi­ti­on! Der Han­del wäre gut bera­ten, die hilf­lo­sen Her­ren dis­kret bei der Hand zu neh­men und sie behut­sam in die Kunst der Klei­dung ein­zu­füh­ren. Doch genau da krankt das Sys­tem: In den letz­ten Jah­ren wur­de viel Kom­pe­tenz abge­baut, fach­lich gute Bera­tung ist sel­ten gewor­den. Vie­ler­orts hat das Ver­kaufs-Per­so­nal nur noch die Funk­ti­on von Kas­sie­rern oder Lage­ris­ten. Da kann man ja gleich bei Ama­zon ein­kau­fen gehen.

Und den Her­ren möch­te man zuru­fen: Suchen Sie sich einen fähi­gen Mode­be­ra­ter! Das kann dau­ern – zum tolls­ten Steu­er­ex­per­ten oder Fach­arzt muss man sich auch müh­sam durch­fra­gen. Wenn Sie den Pro­fi dann aber gefun­den haben, beloh­nen sie ihn mit Ihrer Treue. Es wird sich etwas ent­wi­ckeln, was Män­ner in der Regel über alles schät­zen: Ein freund­schaft­li­cher Bund, der bei­den einen Vor­teil ver­schafft. Man spart Zeit und Ner­ven. Geld eher nicht. Aber dar­um darf es bei Klei­dung auch nicht pri­mär gehen.