Ich mache dann und wann Personal Shopping, also Einkaufsbegleitung mit Männern. Von Mann zu Mann. Denn in 30 Jahren hauptberuflicher Beschäftigung mit Kleidung hat sich ein Erfahrungsschatz angehäuft, den man gut und gerne mit anderen teilen kann. Dabei stelle ich oft fest, dass selbst Männer, die sonst in Fragen der Lebensart einigermaßen beschlagen sind, in Bezug auf ihren Kleiderschrank ziemliche Greenhorns sind. Sie haben es nie gelernt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Kleidung ist ein blinder Fleck in einer sonst schillernden Vita.
Dies steht in einem eigenartigen Gegensatz zu der sonst in fast allen Branchen munter aufschäumenden Consulting-Flut. Da nehmen – nicht nur, aber vor allem – Männer gerne ganze Heerscharen von Beratern in Anspruch: Fitness- und Ernährungsberater, Steuer- und Vermögensberater, Gesundheits-Coaches, Unternehmensberater, Headhunter und Talent Scouts. Fast alle Aspekte des Lebens werden mit irgendeinem Berater erörtert. Nur die Garderobe nicht.
Darum stolpern die Herren dann recht unsicher bis komplett hilflos durch die Geschäfte – unfähig, zwischen Qualität und Ramsch zu unterscheiden, ungeschult in Fragen der Proportion und Farbenlehre und immun bezüglich modischer Aktualität. Sie kennen zwar die Grundformen – Pullover, Hose, Jackett, Jeans, Hemd, Mantel –, doch sie sind kaum je in der Lage, innerhalb dieser Kategorien einen traurigen Basic von einem raffinierten Investment Piece zu unterscheiden.
Warum? Sie haben es eben nie gelernt. Kleiderfragen sind weder in der Grund- oder Mittelschule je ein Thema, auch im Gymnasium oder während des Studiums kommen solche Themen nicht vor. Mit etwas Glück hören Männer im Verlauf ihres Erwachsenwerdens irgendwo mal einen Vortrag oder sprechen mit einem modebewussten Onkel, der ein Flämmchen entzündet – doch profunde Kenntnis entsteht dadurch nicht, eher nur recht vage Teil-Ahnung.
Fachlich gute Beratung ist selten geworden. Vielerorts hat das Verkaufs-Personal nur noch die Funktion von Kassierern oder Lageristen. Da kann man ja gleich bei Amazon einkaufen gehen.
Weil Männer zwar oft ein bisschen ignorant, aber nicht dumm sind und um ihre Defizite wissen, entwickeln sie mit der Zeit eine fast schon rituelle, dogmatische Ablehnung jeder modischen Beflissenheit. Als wäre Kleidung nicht eine kulturelle Errungenschaft, sondern die Folge einer falschen Prioritätensetzung. In alt-macho-mäßiger Manier wird Modebewusstsein dann als „Weiberzeugs“ abgetan – für solche Nebensächlichkeiten nimmt man sich doch keine Zeit!
So erlebe ich es oft, dass auch Herren, die es im Leben durchaus zu etwas gebracht haben und auf der Karriereleiter einige steile Stufen geklettert sind, betreffend Kleiderfragen ahnungslose Stümper sind. Wenn sie einkaufen gehen, tun sie zwar gerne so, als wüssten sie schon alles – dies aber nur, um ihre Unkenntnis zu tarnen. Die meisten entscheiden sich aber, solche Herausforderungen ganz zu meiden und gehen gar nicht einkaufen. Sie delegieren ihre Optik an die Gattin – oder neumodisch an eine App, die sie mittels Algorithmus einkleidet.
Das Ergebnis ist in beiden Fällen nicht großartig: Die Gattin vermeidet es in der Regel (bewusst oder unbewusst?), den Herrn Gemahl allzu fancy auszustatten (womöglich damit er nicht anderen Damen ins Visier gerät…). Und der App-Algorithmus kleidet seinen User meistens nur mit den aller-banalsten Basics der Marke Nummer Sicher. Es geht ja darum, zu vermeiden, dass allzu viel Ware retourniert wird.
So viel Potenzial, so wenig Ambition! Der Handel wäre gut beraten, die hilflosen Herren diskret bei der Hand zu nehmen und sie behutsam in die Kunst der Kleidung einzuführen. Doch genau da krankt das System: In den letzten Jahren wurde viel Kompetenz abgebaut, fachlich gute Beratung ist selten geworden. Vielerorts hat das Verkaufs-Personal nur noch die Funktion von Kassierern oder Lageristen. Da kann man ja gleich bei Amazon einkaufen gehen.
Und den Herren möchte man zurufen: Suchen Sie sich einen fähigen Modeberater! Das kann dauern – zum tollsten Steuerexperten oder Facharzt muss man sich auch mühsam durchfragen. Wenn Sie den Profi dann aber gefunden haben, belohnen sie ihn mit Ihrer Treue. Es wird sich etwas entwickeln, was Männer in der Regel über alles schätzen: Ein freundschaftlicher Bund, der beiden einen Vorteil verschafft. Man spart Zeit und Nerven. Geld eher nicht. Aber darum darf es bei Kleidung auch nicht primär gehen.