Ich habe die fetten Jahre in den Mode-Medien nie erlebt. Damals, als einzig die Fantasie und nicht das Budget die Grenze für das bildete, was in Fotostrecken inszeniert wurde. Als man Designer in ihrem Privatjet, auf einer Yacht in der Ägäis oder im summer home in den Hamptons interviewte. Als freitags ab Mittag der Champagner floss und ein Magazincover ohne die Kreativität beflügelnde Pulverlinien keinesfalls abgesegnet werden konnte. Als Chefredakteure in der Konferenz für die nächste Ausgabe „Blau“ als Thema vorgaben, und sich dann bis zum Druck nach Sylt verzogen. Das zumindest berichten Kollegen mit verklärtem Blick von jener mystischen Zeit in den 80er und 90er Jahren, die es, vielleicht, exakt so gar nicht gegeben hat. Die Erinnerung ist schließlich ein ziemlich schlampig programmierter Algorithmus.
Warum ich das erzähle? Nicht, weil ich Mitleid für (m)eine Karriere brauche, die mit Sparrunden statt Schampusorgien begann, in der Geiz schon immer geil war. Vielmehr weil ich vermute, dass auch mancher Modemacher oder CEO einer Luxusmarke solche wehmütigen Momente erlebt. Angeregt durch Lookbooks oder Kampagnenmotive von einst, Pressestorys, Notizen im Kalender. Schnappschüsse aus einer (Konsum-)Welt, in der Exzess und Exotenleder keine Tabus waren, man beim Funkeln eines Edelsteins noch keine Bilder versklavter Minenarbeiter vor Augen hatte. Als die Absatzhöhe wichtiger war als der Carbon Foot Print und Werbebotschaften provozieren durften, ohne einen #shitstorm auszulösen. Recycelt wurden höchstens Magnumflaschen und nachhaltig war einzig der Kater nach einem Gelage im Tantris. Vernunft, Zurückhaltung und Minimalismus, das waren tröstliche Konzepte für jene, die sich etwas Besseres eben nicht leisten konnten. Erstrebenswerter: die „Ich gönn mir das einfach, basta“-Attitüde.
Sicher, das ist überspitzt und komprimiert. Und trifft doch ein umsatzsteigerndes Lebensgefühl, das uns heute Lichtjahre entfernt scheint. Jetzt übertrumpfen sich die Konzerne mit ihren Sustainability Reports, retten Denkmäler und die Meere, umgarnen junge Zielgruppen mit wahnwitzig teurer Streetwear, geben sich divers, mitunter auch reumütig und wollen sich als Musterbürger profilieren. Sign of the times, alles top.
Doch wie gelingt einer Industrie, die im Kern auf verzichtbaren Produkten beruht – Luxus ist schließlich das Gegenteil von Notwendigkeit – dieser Schwenk zur Generation Greta ohne Persönlichkeitsspaltung? Wie gut können und sollten ihre goods werden, und welche besondere Aura wird diese zukünftig umwehen? Eine faire, grüne, politisch korrekte? Luxus ist ohne Emotion nämlich nicht verkaufbar.
Dass wir uns nicht falsch verstehen: Mir fehlen weder der Hummer (das Schalentier), der Hummer (der Proll-Panzer) noch ungezügelter Hedonismus bis zum Blackout. Dafür definitiv die Toleranz für die frenetisch verehrten Miranda Priestleys, Gordon Gekkos, die Gurus und Ikonen der Branche, denen ihre „Genialität“ als Deckmantel für asoziales Benehmen und zweifelhafte Entscheidungen für Mensch und Umwelt dient. Auch Sentimentalität à la „Früher war mehr Glamour“ finde ich reichlich nervtötend.
„Wir haben als Branche den Luxus, uns mehr Gedanken machen zu dürfen“
Insofern ist es eher intellektuelles und markenstrategisches Interesse, darüber nachzugrübeln, wie sich zukünftig Luxusgüter von Premium- und Mainstream-Offerten abgrenzen werden. Vom Preis abgesehen. Jetzt, wo alle Segmente zunehmend die gleichen Hashtags posten. Bis vor wenigen Jahren lag ein Unterschied darin, dass sich Luxus gern jeglicher Vernunft verweigerte. Jetzt siegen Ratio und Verantwortung, bei Boss wie bei Bottega, bei Hermès wie bei H&M. Alles dringend notwendig, wie gesagt. Applaus, Applaus, keine Frage. Nur was tritt an die Stelle des ehemals berauschenden schlechten Gewissens, welche neue Markenmagie entfaltet sich, wenn der Freitag einzig der Future gehört?
Für mich liegt eine Antwort dort, wo die Herrschaft der Excel-Tabellen endet. In einem extrem menschlichen, fast esoterischen Bereich. Keine Angst, die Tarotkarten bleiben in der Box. Stattdessen gehören die Mitarbeiter hinter den Marken ins Spotlight, die rein auf der Gefühlsebene davon profitieren dürften, wenn der Chef oder der Hedgefonds zur Abwechslung Slogans wie „positive luxury“ ernst meinen und konsequent umsetzen. Ohne Greenwashing, ohne frisierte Umweltbilanz, ohne Augenwischerei. Stattdessen ehrlich, wie die Handwerkskunst im Atelier. Schluss mit der hochglänzenden Fassade, die fragwürdige Lieferketten, Arbeitsverträge, Gleichberechtigungsmängel und, ja, Fatalismus und Zynismus versteckt. Außen hui, innen pfui, sowas verzeiht eine social Öffentlichkeit nicht länger. Sollte sie auch nicht. Motivierender für Geist und Seele im Team wie am POS – und, by the way, nachweislich produktiver und lukrativer! – ist ganzheitlich konstruktives, authentisches Agieren nach bestem Wissen und Gewissen. So einfach, so schwer, so alternativlos. Nicht zuletzt auch als employer branding im Kampf um die besten Kräfte. Und mal ganz fernab aller Sachargumente: Wer möchte nicht lieber für eine (ziemlich) gute Marke arbeiten? Anderen von ihr erzählen? Ihre Produkte kaufen? Ohne schlechtes Gewissen und Teufelchen auf der Schulter.
Mir gefallen in dem Kontext nachdenkliche Sätze wie dieser von Chris Grainger-Herr, der die Geschicke von IWC Schaffhausen lenkt: „Wir haben als Branche den Luxus, uns mehr Gedanken machen zu dürfen.“ Man könnte auch Chance oder Pflicht formulieren. Ist also das der Sternenstaub, der die Branche zukünftig umflirrt? Vielleicht. Marken wie beste Freunde, denen man vertraut, die inspirieren, die Vorbilder sind. Eine Bereicherung im Leben, nicht bloß Ablenkung für die Reichen.
Luxus rettet die Welt. Das klingt doch nach einer zeitgemäßen, geradezu aufregenden Botschaft.
Siems Luckwaldt ist seit rund 20 Jahren ein Experte für die Welt der schönen Dinge und ein Kenner der Menschen, die diese Welt möglich machen. Ob in seinem aktuellen Job als Lifestyle Director von Capital und Business Punk, für Lufthansa Exclusive, ROBB Report oder das legendäre Financial Times-Supplement How To Spend It.
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