Seit Monaten sehen wir Models und Designer, die sich vor Greenscreens und unsichtbarem Publikum verbeugen. „Thank you guys, stay safe.“ Manchmal laufen die Mädels und Jungs auch schnurstracks durch postapokalyptisch menschenleere Landschaften, an Orten, wohin niemand reisen kann. Die Kollektionen packen uns warm ein oder regen zum stilvollen Entblättern unter Palmen an. Tja, etwas schwierig umzusetzen gerade. Von steuerflüchtigen Doofluencern im Auftrag Ihrer Majestät von Dubai und Jägermeister-umnebelten Mallorca-Touristen einmal abgesehen.
Und die Ateliers so? Statt einen Stubenhocker-Chic zu entwerfen beschwören sie lieber den Status Quo anno 2019 herauf, beharren gebetsmühlenartigen auf „Bald ist alles wieder wie immer, trust us“. Und Shoppen nicht vergessen! Nun ist das mit dem Wörtchen „bald“ so eine Sache, darunter versteht jeder etwas anderes. Keine Angst, dies wird keine „Gloom ‘n’ Doom“-Kolumne, in der ich meinen Homeoffice-Blues weit über Zimmerlautstärke hinaus aufdrehe. Ich wundere mich bloß, wie wenig Modemarken der Premium- und Luxusklasse versuchen, Brücken zu bauen in unsere tatsächliche Lebenswelt der letzten zwölf Monate. Sicher, für einen kleinen elitären Kreis ihrer Klientel startet immer irgendwo ein Privatjet, legt eine Yacht ab aufs azurblaue Meer, buhlen exotische Eilande darum, von einer Kardashianesken Clique wund gefeiert zu werden. Doch da Eskapismus deluxe mitunter unerwünschte Shitstorm-Folgen hat, filmt sich selbst Hollywoods #glamsquad lieber beim Gärtnern oder mit allen manikürten Fingern im Sauerteig. Bis auf ein paar Millionen im Depot, zig Wohnfläche-Quadratmeter und plastische Eingriffe waren uns die Schönen, Reichen und perfekt Gekleideten nie zuvor so nah. Für wen also die ganze Fashion-Scharade?
Statt nach außen empfiehlt sich der Blick nach drinnen. Und da, liebe Designer, brauchen wir euren Rat und eure Kreativität viel dringender als im Kleiderschrank. Auch an euch, liebe Marketingstrategen und Controller die herzliche Einladung: Mi casa es su casa, und bei mir sind noch reichlich (Werbe-)Flächen frei. Wie wär‘s mit einem Schulterschluss von Runway und Reihenhaus, Off White und weißer Ware, Couture und Tofu-Curry? Richtet! Mich! Ein!
Bitte mehr Stay Home Collections: Omnisensual ist das neue Omnichannel
Früher war mehr Gemütlichkeit, oder? Da gab es herrlich peppige Ausreißer fürs Heim, statt dem unsäglichen „Irgendwie alles Beige“-Brei der meisten Home Collections. Stilistisch von Asien nach Skandinavien pendelnd, und voller reichlich überteuerter Handtücher und Badvorleger. Als Gegenbeispiel sind mir besonders die kunterbunten Küchengeräte von Dolce & Gabbana mit Smeg im Gedächtnis geblieben, die es 2016 und 2018 gab. Optisch irgendwo zwischen italienischer und russischer Folklore angelegt, quasi Forte dei Marmi trifft lackierte Matrjoschka-Puppen. Was noch? Die Hermès Objets, natürlich, das geht kaum besser. Oder kostspieliger. Vielleicht noch die teils recht coolen Zegna Toys und Virgil Abloh für Ikea. Und Supreme klebt sein Zahnpasta-Logo eh überall darauf.
Aber sonst? Fehlanzeige. Selbst Justin Biebers neue Lieblings-Crocs passen besser zum aktuellen Lockdown vibe als manche Prêt-à-Porter-Präsentation. Stattdessen haufenweise Mode-Kunst-Projekte mit diversen Museen. Nicht verkehrt natürlich, weil zugängliche Kulturstätten aktuell Mangelware sind. Ich aber will modisch mitreißende Eierkocher, Grasharken, Waffeleisen, Lautsprecher, Sofabezüge, Weingläser, Hundenäpfe, Abzugshauben, Yogamatten und Brotbackautomaten. Gern auch Gewürze passend zum Mood Board der S/S 2021. Omnisensual, liebe Leute, ist das neue Omnichannel. Und bitte keine Designer-Smartphones mehr, das war meist ästhetischer Käse.
Dann lieber – nur mal so in den Raum geworfen – Sofas von Ralph Lauren und Rolf Benz, ein WaterRower-Rudergerät von Thom Browne, der Westwood-Toaster oder Grillzangen von Yamamoto. Und weitere, sicher noch bessere Ideen aus der Kategorie High Fashion trifft Haushalt. Das unerschrockene Duo hinter dem Instagram-Account Diet Prada legte dazu kürzlich ein hilfreiches visuelles Mantra vor, dank der Kooperation mit einer Firma für Deko-Neonröhren: „Prada or Nada“ und „Bellissima“ steht in glühenden Lettern an der Wand des geneigten Käufers. Ja, so in etwa stelle ich mir das vor.
Wenn unser Zuhause dort ist, wo das Herz seine Heimat findet, ein hochemotionaler Ort, dann gebieten es alle Sales-Regeln, der jeweiligen Klientel genau dort ein Produktangebot zu unterbreiten. Wenn wir unsere Virus-Trutzburg nicht in Richtung einer Shopping-Mall verlassen, ist ein Hausbesuch fantasievoller Label angebracht. Wir lassen bitten. Kann doch nicht sein, dass Schauspielerin Drew Barrymore gemeinsam mit Walmart die Einzige ist, die mit ihrer pastellgrünen Linie von Küchenhelfern die Gunst der Stunde nutzt, oder? Schon ein wenig peinlich für die Creative Directors und Brand Manager der Luxuskonzerne. Das könnt ihr besser, liebe Mode und mehr-Schöpfer, oder? Falls ihr mich sucht, ich bin zu Hause.
Siems Luckwaldt ist seit rund 20 Jahren ein Experte für die Welt der schönen Dinge und ein Kenner der Menschen, die diese Welt möglich machen. Ob in seinem aktuellen Job als Lifestyle Director von Capital und Business Punk, für Lufthansa Exclusive, ROBB Report oder das legendäre Financial Times-Supplement How To Spend It.
Oder seinem eigenen Medium LuxusProbleme. Alle zwei Wochen in Ihrer Inbox: seine Sicht auf News und Trends der Branche, aufs moderne Arbeitsleben und Phänomene der Popkultur. Wortgewaltig, pointiert, höchstpersönlich. Und das zu einem gar nicht luxuriösen Preis, nämlich ab 4 Euro pro Monat. Werden Sie jetzt Teil einer extrem attraktiven, hochbegabten Community. Hier geht es direkt zum Abo.