Ein bisschen Studio 54, ein bisschen Rockstar-Ambiente, etwas Jerry Hall Mitte der 70er und ein vergessener Film von Claude Chabrol über die Bourgeoisie: Das sind die Zutaten der Erstkollektion des jungen deutschen Designers Georg Lux für das Pariser Modehaus Leonard. Im prachtvollen Showroom mit goldenen Wandvertäfelungen stehen ganz in diesem Sinne Roben mit glänzendem Lurex, tiefen Rückenausschnitten, ebenso gewagten Ausschnitten vorne, dazu opulente Schleifen und viel Pariser Eleganz. „Wir müssen versuchen, die Lebensfreude zurück zu bringen“, seufzt Lux und fasst mit einem Satz zusammen, welche Idee hinter seiner Kreation steht: „Wir wollen doch alle nur eines: Endlich mal wieder ausgehen!“ Auch seine Chefin, Nathalie Tribouillard, CEO von Leonard ist überzeugt: „Die Leute haben genug von der Jogginghose.“
Ist das wirklich so? Oder anders gefragt: Können wir denn, wenn die neue Wintermode 2021/22 in den Handel kommt, also im kommenden Sommer, überhaupt ausgehen? Angesichts ständig aufpoppender Mutanten des Virus und neuer Lockdown-Diskussionen scheint das eher ein frommer Wunsch. Als die aktuellen Kollektionen entworfen wurden, verbreiteten die Forschungserfolge bei den Impfstoffen noch eine gewisse Euphorie, dass wir dem Ende der Pandemie nahe sind. Doch bereits heute sieht die Lage anders aus und morgen wird sie sich womöglich erneut geändert haben.
Konkrete Vorhersagen sind zurzeit besonders schwierig. Die Modeindustrie, die ansonsten den Zeitgeist widerspiegelt, ist vor die Herausforderung gestellt, dass sich dieser Zeitgeist von Woche zu Woche ändern kann. Wann also werden wir wirklich wieder ausgehen? Und was tragen wir dann? Ist der Casual-Look dann so hoffähig geworden, dass wir im Drei-Sterne-Restaurant mit einer Kaschmir-Pants zu Luxus-Sneakern passend angezogen sind? Oder gibt es dann Hybrid-Looks aus Jogging mit High Heels oder Trainingshosen zum Sakko? Vielleicht lassen wir es auch dann modisch wieder so richtig krachen – mit Glitzer, Glimmer und bodenlangen Abendroben? Im Büro, das wir nur noch sporadisch aufsuchen, punkten wir in formeller Businessmode mit Krawatte, Dreiteiler und Damenkostüm statt Casual-Friday-Outfits? Oder kaufen wir dann nur noch Vintage, weil uns nach monatelanger Kurzarbeit die finanziellen Mittel fehlen oder weil das Geld eher in einen Urlaub auf den Malediven statt in Designer-Handtaschen fließt?
Alles reine Spekulationen. Daher gleicht die Situation in der Mode aktuell gerade dem Handel an der Rohstoffbörse. Die Designer setzen auf Kuschel-Garderobe contra Glamour-Show-off, Minimalismus contra Opulenz und Business contra Casual. Doch genauso wie an der Rohstoffbörse birgt dieses Geschäft hohe Risiken. Setzt man alles auf eine Karte, kann dies entweder zu hohen Gewinnen oder starken Verlusten führen. So macht es Leonard mit seiner Kollektion für elegante Partygänger. Oder auch Brunello Cucinelli, der mit seiner gelungenen Luxusversion von Homewear auf eine Fortsetzung der Pandemie setzt. Und auch Dolce & Gabbana, die mit einer kunterbunten Edel-Sportswear unseren Hunger nach Exzentrik befriedigen. Die eigentlich charmante Idee einer konkreten Inspiration, die zur Kollektion eine Geschichte erzählt, wird in dieser Zeit zu einem hochspekulativen Optionsschein. DAs birgt das Risiko, auf den Kreationen sitzen zu bleiben, weil sie bei Auslieferung eben nicht mehr dem aktuellen Zeitgeist entsprechen.
Wie an der Börse fährt man als Einkäufer vielleicht besser mit einer Risikostreuung und setzt auf Kollektionen, die sowohl die Wünsche der Jogginghosenträger wie der Glamourfraktion befriedigen. Etro, Isabel Marant, Gabriella Hearst, Proenza Schouler und allen voran Louis Vuitton ist dieser modische Spagat gelungen. Diese Kollektionen liefern Teile für jede Gelegenheit: das Wohlfühl-Sweater in XXL fürs Sofa, das enganliegende Partykleid und das schlichte Outfit für die nächste Business-Live-Konferenz.
Wie lange diese Design-Strategie erfolgsversprechend ist? Darauf kann man nun spekulieren. Oder auch nicht.