Als jemand, der in frühen Jahren seiner Karriere sich selbst an zahllosen Event-Teppichen die Füße wund stehen musste, war mein erster Impuls: Ungefähr so dringend wie Adidas die vielen Container voller Yeezy-Sneaker. So spaßig sind blaue Flecken von den Ellenbogen der um O‑Töne kämpfenden Kollegen nun wieder nicht, und auf den Tinnitus vom Fotografengebrüll kann man ja auch ganz gut verzichten. Und dann das 30-Sekunden-Gesülze vor laufender Kamera, die immer gleichen Fragen wie „Who are you wearing?“ und „Was bedeutet Glück für Sie?“, das hysterische Dauergrinsen von Jäger und Beute …
Auf der anderen Seite, und damit kämen wir dann von der inhaltlichen zur oberflächlichen Ebene des Showbiz-Schaulaufens auf von Seilen gesäumter Auslegeware, sind und bleiben die red carpets von Premieren, Festspielen und Preisverleihungen natürlich ein notwendiges, manchmal vielleicht gar willkommenes Übel für Schauspieler, Regisseure und andere Bewegtbild-Kreative. Nicht zu vergessen: die sie einkleidenden Designer und Label, schminkenden Make-up-Künstler und in Form spritzenden Dermatologen. Gerade in einer sozial-medial zersplitterten Öffentlichkeit fungieren globale Großveranstaltungen wie die Oscars nebst ihrem Pre-Show-Spektakel auf dem Hollywood Boulevard als ungemein effizientes Brennglas für unsere Aufmerksamkeit. Für Stunden bis Tage arbeitet sich die Welt daran kommunikativ ab, werden Outfits bekrittelt, Liftings gedisst, Gewinner beklatscht, Zehntausende Bilder mit „XY trug Z“ versehen und zur Promotion von Kollektionen fleißig geteilt. Das schafft kein Caro-Dauer-Post. Notfalls taugt auch die „Worsed Dressed“-Liste noch zur Eigen-PR. Clipping ist Clipping. Schlimmer als der textile Griff ins vergoldete Klo ist schließlich Stillschweigen.
Mir hat mal ein Paparazzo gesagt: „Auf dem roten Teppich siehst du genau, welcher Star gute, enge Freunde hat.“ Denn die, so der Profiknipser, würden den jeweiligen Star vermutlich davor bewahren, in allzu grässlicher Klamotte ins Scheinwerferlicht zu treten. Vielleicht mal drauf achten bei den diesjährigen Academy Awards. Ich werde beim Klicken durch die Web-Galerien am nächsten Morgen – die Nächte schlage ich mir mit Steven Gätjen wirklich nicht mehr um die Ohren, sorry – sicherlich wieder oft an ein selbstironisches Zitat von Dolly Parton denken müssen, mit dem sie früher hater abkanzelte: „Honey it costs a lot of money looking this cheap.“
Tja, und in diesem Jahr dürfte dem Einmarsch der Entertainment-Gladiatoren noch ein weiterer wichtiger Job zukommen. Bei rückläufigen Besucherzahlen in den Kinos hält sich das Interesse an den nominierten Werke nämlich arg in Grenzen, von Blockbustern wie „Top Gun: Maverick“ oder „Avatar 2: Wir sind immer noch blau“ abgesehen. Selbst viele stimmberechtigte Mitglieder der Academy werden mehr Filmminuten auf der Couch gestreamt als im Multiplex abgesessen haben. Ein Trend, der das System Hollywood und seine Dresscode-Spektakel tiefer in die Sinnkrise stürzen könnte. Mal schauen, wie tapfer das Publikum im Dolby Theatre dieser ominösen Entwicklung entgegen strahlt. See you at the movies.
Siems Luckwaldt ist seit rund 20 Jahren ein Experte für die Welt der schönen Dinge und ein Kenner der Menschen, die diese Welt möglich machen. Ob in seinem aktuellen Job als Lifestyle Director von Capital und Business Punk, für Lufthansa Exclusive, ROBB Report oder das legendäre Financial Times-Supplement How To Spend It.
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