Ja, klar, Effizienz ist das neue Schwarz. Automatisierung und künstliche Intelligenz statt manueller Excel-Listen und E‑Mails. Logisch. Und dass viele Eck-Büros mit ihren Analyse-Apparaten jeden Stein nach Einsparpotenzialen umdrehen, ist nachvollziehbar. Vom Pricing-Papst Hermann Simon in seinem Buch „Preisheiten” durchgeführte Modellrechnungen zeigen, dass eine Reduzierung der Fixkosten um 5% zu 15% mehr Gewinn in der GuV führen kann. Das will man mitnehmen.
Und während die ganze Firma stöhnend die Fixkosten-Reduzierung hebt, geben die KollegInnen in Marketing, Sales oder Merchandising fleißig Rabatte. 15% für die Newsletter-Anmeldung, 30% Sonder-Sale, 50% auf alles außer Tiernahrung. Die Abschriftenquote dürfte bei vielen Mode-Firmen nicht selten bei 20 bis 30% liegen. Echte Abschriften werden von oben vielleicht noch freigegeben. Marketing-Rabatte kommen aber aus einem großen, anderen Topf, den man an anderer Stelle eingeplant hat. Also machen die Teams munter drauf los.
Warum ist das ein Problem und was hat das mit Effizienz zu tun?
Die wenigsten sind sich im Klaren, wie stark der Preis-Hebel auf das Firmen-Ergebnis wirkt. Sonst würden CEOs nicht die wirkungsfreien Out-of-Home Motive höchstpersönlich absegnen, sondern die Preisreduzierungen. Verkauft man einen Artikel zum Beispiel für 80 statt 100 EUR, reduziert sich bei gleichem Absatz das Ergebnis nicht um 20%, nach Prof. Simons Musterrechnung halbiert es sich. Ja, der Gewinn halbiert sich! Um auch nur denselben Gewinn wie zu vollem Preis zu machen, müsste sich der Absatz verdoppeln. Ja, verdoppeln. Wie oft hat man aber eine Verdoppelung des Absatzes bei einer 20%-Rabatt-Aktion gesehen?
Der dramatisch starke Hebel des Preises auf die GuV wirkt natürlich in beide Richtungen. Eine Verbesserung der Preise um 5% führt in derselben Modellrechnung zu 50% mehr Gewinn – während die Teams an der Reduzierung der Fixkosten um 5% für 15% mehr Ergebnis arbeiten. Der realisierte Preis ist also der stärkste Hebel auf das Ergebnis einer Firma. Das sollte man vor Augen haben, wenn man Prioritäten für die Verbesserung des Ergebnisses diskutiert. Das Teuerste ist nicht selten, was man nicht macht.
Mit zwei Lösungsansätzen zum Thema Preis sollte man sich beschäftigen: erstens mit intelligenter Preissetzung und zweitens an der Erhöhung der Zahlungsbereitschaft.
Bei intelligenter Preissetzung oder ‘Dynamic Pricing’ kommt Technologie zum Einsatz, die einen optimalen Preis bestimmt. Wochentag, Uhrzeit, Wetter, Aktionen des Wettbewerbs – Unterschiedlichstes wird im Modell berücksichtigt. Primus Amazon ändert mutmaßlich jeden Tag ca. 250 Millionen, im Schnitt alle 10 Minuten je Artikel.
Die reflexartige Reaktion vieler Anbieter ist, dass konsistente Preise über alle Touchpoints Teil einer sorgfältigen Markenführung sind. Das ist nicht zwangsläufig so.
So selbstverständlich Dynamic Pricing für digitale Händler ist, so sehr fremdeln tradierte Händler und Marken mit dem Konzept. Dabei wundern sich die Preisverantwortlichen in den Firmen nach der Einführung intelligenten Pricings nicht selten über mehr Umsatz bei zeitgleich höheren Deckungsbeiträgen.
Bei Commodity-Sortimenten lässt sich durch Dynamic Pricing automatisiert sicherstellen, dass der eigene Shop wettbewerbsfähig preist – in gesetzten Leitplanken und Grenzen. Wettbewerbsfähigkeit klingt vielleicht nicht besonders spannend, bei austauschbaren Sortimenten geht es aber nun einmal genau darum. Zugegeben spannender ist intelligente Preissetzung bei eigenen, nicht austauschbaren Produkten. Auch hier helfen Algorithmen, einen besseren Schwarz-Preis zu bestimmen und kontinuierlich den optimalen Preis zu setzen. Und zwar optimal mit Hinblick auf definierte Ziele – von Absatz, Umsatz, Deckungsbeitrag bis Bestandsreduzierung oder einem gewichteten Mix aus all dem.
Die reflexartige Reaktion vor allem vieler Hersteller, ist, dass konsistente Preise über alle Touchpoints Teil einer sorgfältigen Markenführung sind. Und so bietet man Ware in den stationären Läden, an allen Standorten, im eigenen Online-Shop und auf allen Plattformen zum selben Preis an. Omnichannel eben. Der Wholesale macht zwar parallel, was er möchte. Geschenkt. Abgerundet wird der Ansatz dann wiederum mit unterschiedlichen Sale-Phasen und ‑Inhalten, in denen die immer zu hohen Reste mit hohen Rabatten in den Markt gedrückt werden. Omnichannel eben. Was sagt eigentlich die Markenführung dazu?
Insgesamt ist dies also ein teurer Reflex hinter dem Feigenblatt von Omnichannel, zu dem sich keine belastbaren Daten zur betriebswirtschaftlichen Validierung finden lassen. Alternativ ließe sich die Zahlungsbereitschaft je Kanal, Touchpoint und Plattform individuell optimal ausschöpfen. Zur Erinnerung: Nur 5% durchschnittliche Preis-Verbesserung führen im Modell bereits zu 50% mehr Gewinn. Wenn die Zahlungsbereitschaft in Köln für ihre Produkte oder Services höher ist als in München, warum dann entweder Deckungsbeitrag in Köln liegen lassen oder in München auf den Beständen sitzen bleiben? Oder wenn die Zahlungsbereitschaft auf Zalando höher ist als im eigenen Shop, warum auf diesen Deckungsbeitrag verzichten? Ist das Omnichannel?
Während intelligentes Pricing die vorhandene Zahlungsbereitschaft besser ausschöpft, ist die Steigerung der Zahlungsbereitschaft als solches ein weiterer, viel zu selten diskutierter Hebel.
Während intelligentes Pricing also die vorhandene Zahlungsbereitschaft besser ausschöpft, ist die Steigerung der Zahlungsbereitschaft als solches ein weiterer, viel zu selten diskutierter Hebel. In Perfektion kann man dies bei Luxus-Marken sehen. Letztlich ist aber in jeder Kategorie und in jedem Preissegment der Grad der Bedeutung und Belohnung entscheidend für die Bereitschaft, mehr zu zahlen.
Handelsübliches Wasser in Weißblechdosen zu hohen Preisen? Das klingt mehr nach einem Scherz als einer guten Geschäftsidee. Wenn aber die richtigen Influencer das Ganze ‘Liquid Death’ nennen und damit eine Marke mit viel Projektionsfläche für ihre Zielgruppe aufladen, so entsteht über Nacht eine vom Warenwert völlig entkoppelte Zahlungsbereitschaft und dreistellige Millionen-Umsätze. Apples Kunden sind bereit, 200 EUR für einen Bluetooth-Kopfhörer zu zahlen. Und zwar geschätzte 100 Millionen mal letztes Jahr. Das macht einen Jahresumsatz von ca. 20 Mrd. EUR. Nur mit AirPods. Rabatte? Fehlanzeige. Entspricht der Verkaufspreis dem Warenwert? Nein. Es geht eben um Zahlungsbereitschaft.
Aber auch auf der taktischen Ebene wird Zahlungsbereitschaft beeinflusst. Die Appetit machende Inszenierung des Produkts oder des Services, die anregende Qualität der Fotografie, die aktivierende Beschreibung der Eigenschaften des Produkts und welchen Mehrwert diese verleihen, wie sie Kunden bei ihrer Mission helfen. Das alles sind Hebel, durch Bedeutung und Belohnung Zahlungsbereitschaft jenseits vom Verkaufspreis zu kreieren. Auch in Zeiten insgesamt schwächerer Nachfrage.
Die Kunst ist die inhaltliche Dekonstruktion des abstrakten Phänomens der Zahlungsbereitschaft und die konsequente Arbeit daran. Das ist eine grundlegende Aufgabe der Markenführung und eine lohnende Aufgabe für die Marketing- und Produkt-Teams und allen voran der C‑Suite auf der Suche nach (noch mehr) Effizienz. Auch wenn es nicht alles kurzfristig wirkt, die Größe des Hebels spielt auch eine Rolle: Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die zweitbeste Zeit ist jetzt.
Stefan Wenzel ist seit mehr als 20 Jahren im digitalen Handel und einer der profiliertesten Köpfe der Branche. Seine Vita beinhaltet unter anderem Stationen als Geschäftsführer für Unternehmen wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tailor Digital. Stefan Wenzel unterstützt Firmen, Gründer und Geschäftsführer als digitaler Beirat, ist regelmäßiger Sprecher auf Fachkonferenzen, Interview- und Podcast-Gast. www.stefanwenzel.com