Amazon schließt ca. 70 POS, nämlich Amazon Books, ihre sogenannten 4‑Sterne-Stores sowie ihre Pop-Up Stores. Und sie tun das, um sich laut eigener Aussage auf die strategische Bereiche Lebensmittel (Whole Foods, Amazon Fresh) und Fashion (mit ihrem jüngsten Piloten Amazon Style) zu fokussieren.
Das klingt vor allem in Zeiten reduzierter Wachstumsdynamik nachvollziehbar, wobei man die Sinnhaftigkeit und den Erfolg von Amazons Stationär-Aktivitäten an sich durchaus kritisch sehen kann: Whole Foods ist bislang keine Erfolgsgeschichte und das schwächste Segment im Amazon Portfolio, Fresh fliegt noch nicht und Quick Commerce hat man komplett verschlafen. Fashion liegt da thematisch anders. Zwar ist Amazon nach Volumen Marktführer in Bekleidung, ist aber denkbar weit entfernt vom Relevant-Set für Mode, sowohl auf der Konsumenten- als auch auf der Marken-Seite. Ein Schicksal, das Amazon mit allen ‚Gemischtwaren-Plattformen‘ teilt.
Die Ergebnisse der nun beendeten Retail-Projekte werden für Amazons Standards nicht gut genug gewesen sein, um als eigene Aktivität zu bestehen – wenn das überhaupt je das Ziel war. Vielleicht wurde der technische Proof-of-Concept für einzelne Komponenten oder Prozesse aber auch schlicht abgeschlossen und die Erkenntnisse an anderer, größerer Stelle integriert. Denn mit einem Ex-Amazon Cloud Services-Chef an der Spitze wäre es nicht überraschend, wenn der Online-Riese – analog zu Services wie Marktplatz, Werbung, Fulfillment und AWS – auch Retail-Tech als B2B-Produkt skaliert. Und wer weiß, vielleicht gibt es dann ein Wiedersehen mit dem 4‑Sterne-Merchandising als optionales Feature für Nutzer der ‚Amazon Retail-Tech‘-Services?
Nicht minder spannend ist aber der an diesem Beispiel sehr sichtbare, fundamentale Unterschied zwischen digitalen und analogen Firmen. Und der liegt nicht im Medium, sondern im Mindset: Digitale Firmen haben zum einen die Fähigkeit, Medien-agnostisch auf die Welt zu schauen. Alles dreht sich darum zu verstehen, welche Wirkung auf Kunden-Gewinnung und Kunden-Aktivierung durch welche Maßnahmen entstehen. Online, offline, hybrid, verzahnt, isoliert. B2C, B2B, P2P. Es laufen permanent Batterien an Tests auf der Suche nach dem skalierbaren Treffer – nail it, scale it. Viele Wetten gehen nicht auf, ein paar gute reichen aber durchaus.
Zugleich sind digitale Firmen aber auch konsequent, nicht-erfolgreiche Tests und nicht-performante Aktivitäten wieder zu beenden. Man hängt nicht am Medium, sondern am Effekt. Genau das darf man Amazon hier auch unterstellen.
Insofern sind Amazons Anpassungen kein sensationeller Vorgang, sondern eine Erinnerung, sich nicht schicksalhaft an ein rückläufiges Ankermedium zu klammern. Besser ist es, Medien-agnostisch auf gewünschte Effekte zu optimieren.
Seit mehr als 20 Jahren im Digitalen Handel und einer der profiliertesten Köpfe der Branche. Seine Vita beinhaltet unter anderem Stationen als Geschäftsführer für Unternehmen wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tailor Digital. Stefan Wenzel unterstützt Firmen, Gründer und Geschäftsführer als digitaler Beirat, ist regelmäßiger Sprecher auf Fachkonferenzen, Interview- und Podcast-Gast. www.stefanwenzel.com