„Zeit zum Handeln“ ist das doppelsinnige Motto des Handelskongress Deutschland, der zurzeit gerade in Berlin stattfindet. Hybrid mit einigen Hundert Viewern am Bildschirm und 2G+ für die rund 200 Teilnehmer vor Ort.
„Wir wehren uns mit aller Macht gegen stumpfe Maßnahmen“, so Josef Sanktjohanser. „Noch ein Lockdown und es sterben Unternehmen. Und es kostet uns alle Substanz, die wir für Zukunftsinvestitionen brauchen.“
„Die große Koalition hat vieles behindert. Nicht immer stand da die Sache im Vordergrund“, so Stefan Genth. Der HDE-Hauptgeschäftsführer möchte diese Kritik auch als Aufforderung an die neue Regierung verstanden wissen. „Wir brauchen keinen weiteren Lockdown.“ Selbst 2G sei für das normale Einkaufen nicht erforderlich. „Wenn wir 2G umsetzen, dann werden wir einen Frequenz- und Umsatz-Rückgang haben, den in diesem Winter viele Unternehmen nicht überleben werden.“ Der Handel werde seine Kampagne „Leben im Lockdown“, bei der sich über 141.000 Kunden haben impfen lassen, noch einmal intensivieren. Genth ist im Übrigen zuversichtlich, dass die neue Regierung umsichtig entscheiden werde. „Bei den Koalitionsgesprächen dringt in der Tat nichts nach Außen. Aber die Ampel-Koalitionäre rufen an und fragen nach. Das finde ich gut.“
Janine Wissler (Die Linke): „Ich fürchte, die aktuellen Maßnahmen werden nicht reichen, wenn die Intensivstationen sich derart füllen. Wir brauchen 2G+.“
Manfred Todtenhausen (FDP): „2G+ wäre für den Einzelhandel fatal. Künftig werden das die Gesundheitsämter vor Ort entscheiden.“
Armin Laschet teilte Beruhigungspillen aus: „Die Rechtsgrundlage, den Handel zu schließen, ist ab dem 25. November nicht mehr gegeben.“ Im Übrigen werde man im Lebensmittelhandel kaum 2G einführen können und Ungeimpften damit den Zugang zu Lebensmitteln verwehren.
Mechthild Möllenkamp (HDE-Vizepräsidentin): „Testen, Testen, Testen – Wie setzen wir das in den Betrieben rechtssicher und praktikabel um? Wer bezahlt das? Machen die Mitarbeiter das vor oder während der Arbeitszeit?“
Die ganzen Diskussionen um Mindestlöhne und Arbeitnehmerrechte sind für Michael Radau (SuperBioMarkt) aktuell nicht relevant. „Wir haben einen extremen Arbeitnehmermarkt. Wir sind froh, wenn wir überhaupt Mitarbeiter finden. Die sagen uns, was sie verdienen möchten. Wir werden einen Teufel tun und uns nicht um gute Rahmenbedingungen bemühen.“
„Ein Großteil der Verbraucher hat sein Konsumverhalten in der Pandemie geändert“, erklärte Michael Müller (GfK). Angesichts von 78% Online-Wachstum bei Omnichannelhändlern und gleichzeitig massiven Frequenz- und Umsatzrückgängen müsse sich das Geschäft vor Ort schneller als gedacht neu erfinden.“
Thalia habe in der Corona-Krise 60 bis 65 Millionen Euro Ergebnis verloren, so CEO Michael Busch. Der Online-Anteil ist von 25 auf 40 Prozent gestiegen. „Jetzt zahlt sich aus, dass wir frühzeitig in Digitalisierung investiert haben.“
Bei Deichmann habe sich der Online-Umsatz während der Pandemie fast verdoppelt, sagt Heinrich Deichmann. „Aber wichtig wird sein, dass die Läden wieder funktionieren.“ Aktuell liefen die Fachmarktlagen besser als die Stores in Innenstädten und Einkaufszentren. Deichmann wünscht sich jetzt zielgerichtete Maßnahmen. „Die Politik hat im Sommer ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Das ist schwer zu begreifen.“
„Unsere Kunden sind Stationär-Käufer“, sagt Patrick Zahn. In den 2800 deutschen Kik-Filialen liege der Durchschnittspreis bei 2,15 Euro. Das lässt sich online nicht profitabel abbilden. „Wir sind seit zwei Jahren im Dauer-Krisenmodus. Der Restart ist gut gelaufen. Aber ich möchte keine Wette abgeben, wie es in vier, fünf Wochen aussieht.“
Auch bei Douglas war die Pandemie der Katalysator für Digitalisierung: 50 Prozent Plus in zwölf Monaten, so CDO Vanessa Stützle. „Wir erwirtschaften inzwischen1,2 Milliarden online.“
„Wenn wir von einer Verdopplung der Online-Umsätze sprechen, haben uns trotzdem die Hälfte unserer Umsätze gefehlt“, so Andreas Bartmann (Globetrotter). Wenigstens werde jetzt ernsthaft über die Zukunft der Innenstädte geredet. „Über Jahre lag das Flächenwachstum im Handel über dem Umsatzwachstum. Es musste an den Punkt kommen, wo das bricht.“ Bartmann sieht eine echte Chance, dass man jetzt zu Lösungen kommt.
„Den Abgesang auf den stationären Enzelhandel teilen wir nicht“, so NKD-CEO Ulrich Hanfeld. „Aber das einfache Leistungsversprechen ‚Geld gegen Ware‘, das reicht heute nicht mehr.“
„Noch nie in der Geschichte waren wir als Unternehmen so sehr gefordert, Teil der Gesellschaft zu sein wie heute“, so Otto Group-CEO Alexander Birken. „Wenn wir das nicht tun, verlieren wir unsere ‚license to operate‘.“ Der Handel müsse sich seiner Rolle zwischen Herstellern und Verbrauchern klar sein und Verantwortung wahrnehmen. „Gerade in diesen Zeiten werden Haltung und Werteorientierung sich auszahlen.“