Aufatmen? Leider nein. Der Alptraum geht munter weiter. Zumindest für jene, die im Bereich der Lifestyle-Zeitschriften tätig sind. Denn Corona war nicht die Ursache für die jüngste Misere, sondern ihr Verstärker. Die Probleme waren alle bereits da – nun sind sie unübersehbar, und für die meisten wohl auch nicht zu bewältigen. Einige Schlagzeilen der letzten Monate:
Personeller Kahlschlag bei Condé Nast Germany: Das Münchner Zeitschriftenhaus will 50 Stellen in Redaktion und Verlag streichen (Meedia, Juni 2021). Risikokapital: Der Hamburger Bauer-Verlag verkauft die Madame, Deutschlands ältestes Modemagazin, an eine junge PR-Agentur (Süddeutsche, Oktober 2020). Ringier Axel Springer Schweiz will bei den Publikumszeitschriften sparen und baut 35 Stellen ab, das Mode- und Lifestyle-Magazin Style wird eingestellt (Republik, August 2020). Luxusmagazine in Not: Massiver Einbruch im Vermarktungsgeschäft (W&V, Juli 2020). Verlage suchen Sparpotenzial statt neuer Finanzierungsmodelle – Bei den deutschen Medienhäusern sinken die Werbeeinnahmen rapide (Handelsblatt, Juni 2020). Magazine in der Krise: Der alte Luxus ist tot (Zeit, Mai 2020). Und gerade diese Woche die Nachricht aus den Niederlanden. Dort streicht das Verlagshaus Hearst sieben Lizenztitel auf einen Schlag, darunter Vogue, Glamour und Esquire. Condé Nast will neue Partner für diese Ausgaben finden. Wer es sein könnte? Nicht klar.
Klar ist: Die Luxus- und Lifestyle-Verlagsbranche steht mit dem Rücken zur Wand. Die Erträge sind eingebrochen, die Auflagen erodiert, die Leserzahlen im freien Fall. Das setzt eine Abwärtsspirale in Gang: Wo weniger gedruckt und gelesen wird, bekommt man weniger Geld pro Anzeige. Die Parfum-Hersteller und Modehäuser bekommen die Seiten daher zum Spottpreis. So behält ein Titel wenigstens die Kunden, auch wenn nicht mehr viel in der Verlagskasse bleibt. Und deshalb spart man dann überall, wo es nur geht. Meistens bei der redaktionellen Eigenleistung, also: Beim Team, das die Magazine macht.
Zum “perfekten Sturm” kommt ein Strukturwandel: Die Digitalisierung der Information hat eine Armada von leistungsbereiten Youngsters auf den Plan gerufen, welche die etablierten Redaktionen und Meinungsmacher teilweise alt aussehen lassen. Auch wenn es jüngst im Bereich der Blogs und Influencer eine (überfällige) Flurbereinigung gegeben hat, so bleiben diese Akteure ein relevanter Faktor. Gute Lifestyle-Information gibt‘s heute oft umsonst, überall und jederzeit – im Netz. Diese Stimmen sind oft unbedarft, manchmal aber auch originell und sicherlich unbefangener als die der alten Garde.
“Die Haupt-Informationsquelle zum Thema Lifestyle und Mode werden diese Magazine nie mehr sein"
Vielleicht ist auch Teil des Problems, dass viele der traditionsreichen Lifestyle-Titel nicht mehr frisch klingen. Stephan Meyer, der lange Jahre als Style-Chef der GQ (Condé Nast) tätig war und heute als freier Consultant und Stylist in Berlin lebt, sagt: “Vielen Magazinen fehlt die Aura des Neuen und des Modernen – allein schon ihre Namen klingen alt, Vogue, Elle, Madame, Gentlemen‘s Quarterly…“ Meyer glaubt deshalb nicht daran, dass diese Titel jemals noch ihre einstige Bedeutung zurückbekommen: “Die Haupt-Informationsquelle zum Thema Lifestyle und Mode werden diese Magazine nie mehr sein.“
Meyer empfiehlt der Branche deshalb ein “Gesundschrumpfen zum Nischenprodukt“: “Es würde für die meisten reichen, zwei Mal im Jahr eine Art Trend-Heft zu machen, wie es etwa Gentlewoman oder Fantastic Man es tun, mit Styling-Optionen und Interpretationen.“ Solche Hefte haben saisonalen Charakter, behalten eine gewisse Gültigkeit und taugen zum Collectible, also zum Sammlerobjekt, das vielleicht eines Tages sogar eine historische Relevanz hat und sich in der Bücherwand gut macht.
Relevanz ist ein weiteres Stichwort, über das nachzudenken sich lohnen könnte. “Was fehlt, sind nicht nur Anzeigenerträge, sondern Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Offenheit und Tiefe“, so Alfons Kaiser, Macher der Magazin-Beilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er nennt ein Beispiel, das ihm jüngst auffiel: “Im März erschien ein Porträt der Chanel-Chefdesignerin in der deutschen Vogue, das die Firma Chanel selbst nicht schöner hätte formulieren können. Wer soll so etwas denn ernst nehmen?“
“Fake News in Mode‑, Design‑, Beauty‑, Reisegeschichten erkennt heute jeder Teenager“
Nötig wäre mehr journalistische Distanz, also “Zwischentöne oder ein analytischer Zugriff, nicht nur Lobhudelei“, so Kaiser. Er befürchtet allerdings, dass diesbezüglich der Tiefpunkt noch nicht erreicht ist: “Mit der zentralisierten angloamerikanischen Führung im Condé-Nast-Verlag wird das künftig nicht besser.“ Auch wenn Lifestyle-Medien selbst ein wichtiger Teil der Glamour-Bubble sind, wäre es wichtig, “den schönen Schein zu hinterfragen“, sagt Alfons Kaiser, denn: “Fake News in Mode‑, Design‑, Beauty‑, Reisegeschichten erkennt heute jeder Teenager.“
Wo geht die Reise also hin? Die Budgets der Redaktionen betragen heute noch etwa einen Drittel dessen, was sie einst waren – Statt 900 Euro darf eine Seite heute noch etwa 300 Euro kosten. Das bedeutet, dass mehr Inhalt über Kooperationen und Übernahmen aus anderen internationalen Titeln generiert wird. Origineller werden die Blätter dadurch nicht. Dennoch sagt sich mancher Verleger: Lieber eine tolle Fotostrecke von anderswo kaufen als schlecht etwas selbst zu basteln. Lieber einen starken Text übersetzen lassen als zu riskieren, dass sich die Praktikanten die Finger wund saugen. Sie gehen davon aus, dass die Leser es oft gar nicht merken werden, wenn eine Story von anderswo ”geborgt” wurde.
Die Verleger machen einen zweiten schweren Denkfehler: Sie imaginieren die Zukunft ihrer Produkte aus der Perspektive der Macher und vergessen, an die Nutzer zu denken. So sieht es etwa Margit J. Mayer, eine der scharfsinnigsten Medienmacherinnen Deutschlands, Herausgeberin der neuen Wochenendausgabe der Berliner Zeitung und ebendort Chefredakteurin Magazine. “Die Frage, an der sich eine gute Zeitschrift reiben sollte, ist doch die: Welche Rolle hat Mode gerade in der Gesellschaft? Wozu ist sie gut?“, sagt Mayer. Das setze voraus, dass man verstehe, was Mode einmal war und heute ist. Margit J. Mayer: “Modezeitschriften kommen aus einer Zeit, als Mode noch ein elitäres Projekt war. Das ist sie heute nicht mehr, sie ist das Gegenteil, ein sehr vielstimmiges, demokratisches Geschehen, an dem sich gerade jene stark beteiligen, die vom Modesystem zuvor marginalisiert wurden.“
"Frisurentipps und Diät-Rezepte für Frauen oder Auto- und Uhren-News für Männer, das wirkt mittlerweile extrem lebensfern“
Die Jugend von jetzt lebt im Netz, auf dem Handy, über Instagram, Tiktok oder Youtube. Dort gibt es Information und Inspiration umsonst und im Überfluss. Warum also sollten sie jemals Modezeitschriften kaufen? Die einzige Antwort kann sein: weil sie hervorragend gemacht sind. Weil die klugen Köpfe, die diese Blätter machen, es schaffen, die Dinge nicht nur darzustellen, sondern einzuordnen und weiterzudenken. Weil eine Zeitschrift die wachsten und neuesten Akteure thematisiert, statt nur den alten Verbündeten zu hofieren. “Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es auch in Zukunft wieder gedruckte Medien gibt, die für eine gewisse Zeit oder Zielgruppe bedeutend sind“, sagt auch Margit J. Mayer, “wenn sie es denn schaffen, zu einer gesellschaftlichen Entwicklung ihre Stimme zu erheben, diese anzuschieben und zu begleiten.“
Weg vom General-Interest-Magazin für Frauen/Männer, hin zu spezifischen Angeboten für ganz bestimmte Zielgruppen – das sagt auch Stylistin Julia Freitag, die lange Jahre für ebendiese Titel gearbeitet hat und heute mit Styleproofed digital auf eigene Faust tätig ist: “Die klassische Zielgruppen-Definition, wie wir sie von früher kennen, gibt es nicht mehr.“ Magazine für Männer, Titel nur für Frauen – ein alter Zopf! “Frisurentipps und Diät-Rezepte für Frauen oder Auto- und Uhren-News für Männer, das wirkt auf mich mittlerweile extrem lebensfern“, so Freitag. Diesbezüglich hängen die meisten Lifestyle-Titel noch in der Vergangenheit fest: “Es fehlt am Verständnis für die ganz vielen, sehr individuellen Zielgruppen“, stellt Julia Freitag fest.
Die besten Autoren, die besten Fotografen, die besten Themen: das gibt es auch heute nicht umsonst. Die Zukunft zu planen hieße also, zu investieren. Das tun die allermeisten Verleger aber gerade nicht, sie sind eher mit dem Gegenteil beschäftigt. Man kann daraus nur schließen, dass sie zwar an ihre eigene Erfolgsbilanz denken, an der Zukunft der Verlagshäuser, für welche sie tätig sind, aber gar nicht interessiert sind.
Mehr dazu? Bitte lesen Sie "Krähen gegen Pfauen: Die Modemedien-Revolution geht weiter"