Mode ist Kommunikation. Mit Kleidung teilt man sich seinem Gegenüber ohne Worte mit. Man erzählt mit einem Outfit von seinen Vorlieben und Gewohnheiten, aber auch von seinen Überzeugungen und Idealen. Insofern ist Kleidung immer eine Message – deswegen haben sowohl die großen Friedens- und Protestbewegungen der jüngeren Geschichte, aber auch die großen Despoten und Diktatoren der Welt Mode als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ideen genutzt.
Was also sagt uns das aktuelle, umstrittene Cover der amerikanischen Vogue, auf dem die neue US-Vizepräsidentin Kamala Harris zu sehen ist, die erste farbige Frau in diesem hohen Amt? Darüber wird online und in den Stilgazetten heftig debattiert. Den einen ist Mrs. Harris’ selbst gewählter Look zu salopp und beiläufig, also des Amtes nicht würdig; den anderen ist ihre Hautfarbe zu weißgetüncht, wieder andere finden die im Hintergrund aufgehängten Deko-Stoffe schlimmste Amateurliga der Porträtfotografie. Die Aufregung um das Foto war so groß, dass die Vogue am Dienstag vor Harris’ Amtseinführung angekündigt hat, nachzubessern. Was diese Aufregung zugleich ein wenig länger köcheln lässt.
Bleiben wir aber, bevor wir uns selbst ein Urteil bilden, kurz bei den bekannten Fakten: Auf dem Cover der wichtigsten Modezeitschrift der Welt ist eine entspannt wirkende Frau mittleren Alters zu sehen, die frontal vor dem Betrachter steht und ein bisschen verblüfft lächelt, die Hände vor dem Bauch wie zum Gebet verschränkt. Im Hintergrund ist ein apfelgrüner Brokat aufgespannt, davor «plätschert» lachsrosa Taft herab und legt sich unter die Füße der Abgebildeten.
An den Füßen trägt diese schwarze Stoff-Turnschuhe des Typs Chuck Taylor All Star Low Top, offenbar eine Art Markenzeichen von Kamala Harris. Die schwarzen Jeans sind schmal, das weiße T‑Shirt sehr basic, der knapp hüftlange, kaffeebraune Blazer kastig. Er soll von einem befreundeten Designer namens Donald Deal sein (ist der Name nicht eine Art Witz!?). Als Schmuck trägt die Vizepräsidentin eine Art Perlenkette und am linken Handgelenk eine Uhr.
So beiläufig das Outfit, so bewußt ist das Bild des Fotografen Tyler Mitchell komponiert: Die Farben der Stoffe im Hintergrund verweisen auf die afroamerikanisch geprägte Studenten-Schwesternschaft Alpha Kappa Alpha, welche 1908 an der Howard University gegründet wurde und der Kamala Harris angehörte. Wenn man das weiß, mag man das Signal schätzen – wenn nicht, dann sieht es einfach nach einem hässlichen Theatervorhang aus, den die Setdesignerin Julia Wagner im Studio hochgezogen hat.
Die Aufregung um das mittelprächtige Foto kam zustande, weil bekannt wurde, dass es ein zweites und auf den ersten Blick wesentlich präsidialeres Foto gab, das aber nicht als Vogue-Cover zum Einsatz kam, sondern nur im Innenteil des Magazins. Scheinbar, so wird nun kolportiert, haben sowohl der Fotograf wie die Porträtierte von der US-Vogue die Zusicherung bekommen, dass dieses Bild, welches Kamala Harris in einem himmelblauen Anzug (von Michael Kors) mit vor der Brust verschränkten Armen zeigt, als Titelfoto gebraucht werden soll.
Dann aber habe Anna Wintour, Chefin der US-Vogue, das Bild ohne Absprache ausgetauscht und die beiden reingelegt, was der bösen Frau Wintour nun als Akt der rassistisch motivierten Unterwanderung der neuen Vizepräsidentin und ihres Porträt-Fotografen angedichtet wird. Die Wellen schlugen so hoch, dass die Vogue zähneknirschend einknickte: Kurz vor dem Inaugurationstermin in Washington verkündete der Verlag Condé Nast, dass das andere, «bessere» Foto «wegen enormen Interesses» doch als Cover erhältlich sein wird – allerdings nur auf Bestellung, nicht im Einzelverkauf am Kiosk.
Anna Wintour mag im Laufe ihrer Karriere nicht die progressivste Verfechterin von kultureller und ethnischer Diversität gewesen sein – aber dass sie damit heimlich einen Ball ins Trump-Lager gespielt habe, ist doch arg an den Haaren herbeigezogen. Sie hat einfach einen schlechten Entscheid gefällt, als sie in der Redaktion vor der Pinwand mit den beiden Cover-Varianten stand – that’s it. Und sie hat diese Entscheidung, wie sie es gewohnt ist, ohne Rücksicht auf die Betroffenen gefällt. Mrs. Wintour agiert nun mal so: Allein, autokratisch, absolut. Dumm gelaufen –hinterher weiß man es besser, auch wenn Mighty Anna dies nie zugeben würde.
Bleibt der Vorwurf des Whitewashings, also der Weißtünchung der im echten Leben doch eine deutliche Nuance dunkleren Hautfarbe von Kamala Harris. Diese hätte ja der Fotograf zu verantworten, der das final retuschierte Bild druckfertig an die Redaktion liefert. Es ist nicht wahrscheinlich, dass der 26-jährige Tyler Mitchell, selbst afroamerikanischer Abstammung und ein wichtiger Dokumentalist der Black-Lives-Matter-Bewegung, dies bewusst getan hat. Vielmehr, so analysieren Fachleute, die sich mit Bildbearbeitung auskennen, hätte der Fotograf das ganze Bild etwas entsättigt, also die Farben zurückgenommen und aufgehellt.
Ob das wiederum eine gute Idee war? Im Hinblick auf den Auftraggeber, also die Vogue, mag man es nachvollziehen können, aber angesichts des Motivs und Moments, hat auch Mitchell einen schweren Fehler gemacht und sich zu sehr angebiedert. Ein solches Foto – von einer solch epochalen Person! – hätte doch eigentlich gar nicht satt und lebendig genug sein dürfen.