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Bad Banks für die Modebranche?

Die Corona-Krise lässt die Probleme der Branche zutage treten: Sie sitzt auf zu viel unverkäuflicher Ware. Und das nicht erst seit diesem März, meint Arndt Brockmann.

AbDie Mode­bran­che trifft Coro­na ähn­lich wie den Men­schen: betrof­fen sind alle, jeder spürt Aus­wir­kun­gen. Bedroh­lich wird es für die, die sich bereits mit Vor­er­kran­kun­gen durch­schlep­pen. Nicht uner­heb­li­che Tei­le des Ein­zel­han­dels sind liqui­di­täts­schwach und haben Mühe, ihre Kos­ten zu erwirt­schaf­ten, wäh­rend sie ver­su­chen, den ohne­hin lau­fen­den Struk­tur­wan­del und die damit ver­bun­de­ne Rei­he von Her­aus­for­de­run­gen zu ver­ar­bei­ten: Pro­fes­sio­na­li­sie­rung und ver­än­der­tes Preis/Leistungsgefüge durch die Ver­ti­ka­len, Neu­ver­tei­lung der Fre­quenz durch mas­si­ven Zubau von Shop­ping-Cen­ter-Flä­chen, Con­ve­ni­ence-Vor­tei­le für Online Retail­er.

In Deutsch­land ist der Sta­tio­när­han­del – stär­ker als in ande­ren Märk­ten – von zwei gro­ßen Fix­kos­ten-Blö­cken geprägt: Per­so­nal und Mie­te. Für die Per­so­nal­kos­ten hat die Regie­rung in der aktu­el­len Situa­ti­on Abfe­de­rung ange­bo­ten (Kurz­ar­beit). Für die Mie­ten haben gro­ße Kon­zer­ne die Fes­tung ein­ge­ris­sen, die insti­tu­tio­nel­le Groß-Ver­mie­ter mit ihrem Man­tra „natür­lich sind die Mie­ten zu zah­len“ und Ver­weis auf Ver­trä­ge ver­sucht haben, zu ver­tei­di­gen. Und da Nach­fra­ge und Ange­bot den Markt­preis bil­den, dürf­te das Miet­ni­veau nach den zahl­rei­chen Insol­ven­zen sich wohl anders ein­pen­deln.

Also alles unter Kon­trol­le? Lei­der nein, das Kern-Pro­blem liegt anders­wo: In Han­del wie auch der Indus­trie sind zahl­rei­che Zom­bies unter­wegs – Unter­neh­men, die ihre Exis­tenz einer Rei­he lebens­er­hal­ten­der Maß­nah­men ver­dan­ken. Ob durch zu hoch bewer­te­te Lager­be­stän­de (damit Kre­di­te oder Invests nicht faul wer­den?). Ob durch Mas­sen an Kom­mis­si­ons­wa­re, groß­zü­gi­gen Waren­tausch und „Lager-Spü­lun­gen“ (damit es scheint, dass Plan­um­sät­ze im Ein­ver­kauf geschafft wer­den?). In den meis­ten Fäl­len sind jeden­falls weder Per­so­nal noch Mie­te der Sarg­na­gel, son­dern die Über­lä­ger.

Out­let-Cen­ter und Shop­ping-Clubs freu­en sich. Gen­re­über­grei­fend haben sie Zugriff auf rie­si­ge Men­gen attrak­ti­ver Ware. Frü­her waren die Ver­klap­pungs­märk­te euro­päi­scher Mar­ken Ost­eu­ro­pa und Afri­ka. Mit Asi­en als Trei­ber im Luxus-Seg­ment: Was pas­siert mit den Waren-Mas­sen, die gera­de in tau­sen­den, seit Wochen geschlos­se­nen Mar­ken-Bou­ti­quen in Hong­kong, Shang­hai und den wei­te­ren Mil­lio­nen-Städ­ten lagern? Betriebs­wirt­schaft­lich sinn­voll scheint mir die Abschleu­sung nach Euro­pa, mit sei­nem dich­ten Netz an wer­ti­gen Out­let-Cen­tern, die man­che Innen­stadt und man­ches Shop­ping­cen­ter alt aus­se­hen las­sen.

Aktu­ell wird ver­sucht, Hoff­nung zu ver­brei­ten, die „Kri­se als Chan­ce“ zu sehen. Die ver­pass­te Ver­kaufs­zeit soll ein­fach hin­ten ange­hängt wer­den und damit gleich noch die viel kri­ti­sier­te Sai­son­ver­schie­bung kor­ri­giert wer­den. Schön gedacht – und zugleich irgend­wo zwi­schen naiv und schein­hei­lig: Online wird das Geschäft bereits mit Aktio­nen und Pro­mos befeu­ert, auch von den Online-Kanä­len der Anbie­ter, die „ruhi­ge Hand“ und „Soli­da­ri­tät“ pro­pa­gie­ren. Die­se Ware in Wochen bzw. Mona­ten im Rah­men einer ver­län­ger­ten Voll­preis-Peri­ode zu ver­kau­fen, wäh­rend schon die Lie­fer­ter­mi­ne April und Mai drü­cken… ein Gedan­ke, den man gar nicht wei­ter­den­ken muss.

Wenn in der Bran­che aner­kann­te und respek­tier­te Köp­fe zuge­ste­hen müs­sen, dass ihr worst case sich inner­halb kur­zer Zeit zum best case ver­wan­delt hat, offen­bart das viel­leicht etwas Grund­le­gen­des: Als Bran­che ver­kau­fen wir Schön­heit, Opti­mis­mus, Hoff­nung. Ein skep­ti­scher Blick fällt uns schwer, umso mehr, wenn er har­te Ent­schei­dun­gen zwin­gend nach sich zie­hen müss­te. Noch heu­te gehen vie­le worst case Sze­na­ri­en von einer Eröff­nung der Läden zwi­schen dem 1.Mai-Wochenende und Pfings­ten aus. Das dürf­te – auch nach den neu­en Ent­wick­lun­gen in Öster­reich – nah am best case sein, da wir bereits wis­sen, dass vor dem 20. April kei­ne Erleich­te­rung in Deutsch­land kommt. Einem ech­ten worst case, den schlimms­ten Fall will man sich nicht ein­mal gedank­lich stel­len.

Was erwar­tet uns nach der Wie­der­eröff­nung? Wer­den Fre­quen­zen und Umsät­ze hoch­ge­hen? Der Blick nach Osten, Chi­na, zeigt: Läden offen – wei­ter­hin zwei­stel­li­ges Minus.

Wer soll shop­pen gehen? Ins­be­son­de­re, wenn wie in Deutsch­land die kauf­kräf­tigs­te Ziel­grup­pe die­je­ni­ge ist, die am meis­ten von Coro­na gefähr­det ist? Zwei­stel­li­ge Ein­bu­ßen dürf­ten Nor­ma­li­tät sein, so lan­ge kein Impf­stoff da ist oder Her­den­im­mu­ni­tät erreicht ist.

Das Pro­blem ist nicht die Schlie­ßung – das Kern­pro­blem sind Angst und Ver­un­si­che­rung, die Erz­fein­de von unbe­schwer­tem Kon­sum. Bei Zwei­feln hier­an genügt der Blick nach Wes­ten, in die USA: hier schlie­ßen vie­le Händ­ler Ihre Läden frei­wil­lig, weil nicht genug Kun­den kom­men.

Ganz unab­hän­gig davon: Mar­ken­an­bie­ter und Fach­händ­ler beto­nen der­zeit, den Kon­su­men­ten eine nach­hal­ti­ge Alter­na­ti­ve zur kurz­le­bi­gen Weg­werf­mo­de bie­ten zu wol­len. Ist das Selbst­täu­schung oder besteht hier ein Glaub­wür­dig­keits­pro­blem? Von der Mit­te des Markts über Pre­mi­um- bis hin zu den Luxus­mar­ken sind die meis­ten Pro­duk­te mit einem Ablauf­da­tum ver­se­hen: Spä­tes­tens am Ende der Sai­son sind Abschlä­ge von 30, 50 und mehr Pro­zen­ten kom­plett vor­her­seh­bar. Wor­in soll hier die Nach­hal­tig­keit bestehen – in der Ent­wer­tung nach vier statt nach zwei Mona­ten?

Die Coro­na-Zwangs­pau­se dürf­te lang genug sein, neue Gewohn­hei­ten nicht nur bei Geschäfts­rei­sen, vir­tu­el­len Yoga-Ses­si­ons und Abend­essen zu ver­an­kern. Wofür Geld aus­ge­ge­ben wird, wird jeden Tag neu jus­tiert: Deut­scher Spar­gel auf den Ham­bur­ger Wochen­märk­ten ver­kauft sich die­ser Tage gut, bei 15 Euro das Kilo und zwei Metern Abstand in der Schlan­ge. Online-Mode­an­bie­ter, bis­her stets min­des­tens zwei­stel­li­ge Zuwachs­ra­ten gewohnt, ver­zeich­nen deut­li­che Ein­brü­che, obwohl sie bereits redu­zie­ren und der­zeit die ein­zi­ge Opti­on zum Shop­pen sind. Fashion ist gera­de nicht wich­tig.

Von Zom­bies war die Rede im Zusam­men­hang mit Ban­ken, die fau­le Kre­di­te zum vol­len Wert in den Bilan­zen hiel­ten, um sich selbst am Leben zu erhal­ten. In Han­del wie auch Indus­trie gibt es die­ses Phä­no­men auch: Unter­neh­men bestehen noch, weil nie­mand über­prüft, ob die Ware in ihren Lägern noch gut genug ist, ihre Kre­di­te zu decken. Wenn der nüch­ter­ne Blick nicht mehr ver­meid­bar ist, kommt es schnell zu unan­ge­neh­men Über­ra­schun­gen – für Bei­spie­le sie­he die täg­li­chen Head­lines in der TW.

Für die Sub Prime-Pro­ble­ma­tik der Zom­bie-Ban­ken gab es eine effek­ti­ve Lösung: die Bad Banks. Fau­le Kre­di­te wur­den abge­kop­pelt, so dass sau­ber beur­teilt wer­den konn­te, wer und was noch lebens­fä­hig war. Die Lösung des so aku­ten Pro­blems (nicht durch Coro­na aus­ge­löst, aller­dings ver­schärft sicht­bar gemacht) liegt also eigent­lich auf der Hand – Hun­dert­tau­sen­de nicht mehr ver­käuf­li­cher Tei­le, die der­zeit in Lägern bei Her­stel­lern und Händ­lern lie­gen, müss­ten kon­trol­liert aus dem Markt genom­men wer­den.

Kri­se ist nicht zwin­gend eine Chan­ce. Sie kann aller­dings sicher neue Mög­lich­kei­ten bie­ten. Die Fra­ge ist, wer die­se Mög­lich­kei­ten nutzt. Viel­leicht kann es die Bun­des­re­gie­rung, ggf. gemein­sam mit euro­päi­schen Regie­run­gen und der EZB, indem sie gemein­sam mit Ver­bän­den sowie star­ken, über­le­bens­fä­hi­gen Part­nern aus Han­del und Indus­trie Initia­ti­ven ansetzt, um kon­trol­liert Druck aus dem Kes­sel abzu­las­sen, bevor die nächs­te Bla­se platzt.

Als ein­fa­che­re und wahr­schein­lich rea­lis­ti­sche­re Alter­na­ti­ve bie­ten sich – zur Freu­de der Ver­brau­cher – sicher auch TK Maxx & Co an – solan­ge der Preis passt. Pro Kilo, ver­steht sich…

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Wei­te­re Autoren­bei­trä­ge in Pro­fa­shio­nals:

Jan Wilm­king: Was wür­de Elon tun?

Jür­gen Wolf: Ich hat­te ein Erleb­nis am Point of Sale

Jero­en van Rooi­jen: Eine Lan­ze für den Ein­zel­han­del

Ste­fan Gessu­lat ant­wor­tet Siems Luck­waldt

Roland Schweins ant­wor­tet Ste­fan Gessu­lat

Arndt Brock­mann, auf­ge­wach­sen mit und im Ein­zel­han­del, hat in Top-Posi­tio­nen der Bran­che an Ren­ta­bi­li­tät und Resi­li­enz gear­bei­tet. Heu­te unter­stützt er Men­schen und Mar­ken ver­schie­de­ner Bran­chen dabei, eine trag­fä­hi­ge Zukunft zu fin­den.