Markenmaskottchen-Debatte: Stefan Gessulat antwortet Siems Luckwaldt

Siems Luckwaldts Auftritt auf dem Luxury Business Day hat zwar keinen Shitstorm, aber doch gehörig Wellen verursacht. Er selbst hat seine Kritik an den Fashion Bloggern ("die neuen Modemarkenmaskottchen") auf seinem Blog Nahtlos noch einmal vertieft und bekräftigt. Stefan Gessulat - ehemaliger Chefredakteur von Playboy, Für Sie und Maxim und heute Mitinhaber der Kreativ-Agentur Gessulat/Gessulat - hat Luckwaldt in München live erlebt. Und fühlte sich zu einer Replik berufen.

Gessulat n e

“Jour­na­lis­ten regen sich ger­ne über Blog­ger auf. Ich kann das ver­ste­hen. Plötz­lich tau­chen da Leu­te auf, die man nicht kennt, die mit­re­den wol­len, die auch irgend­wie Leser haben und die sogar zu Moden­schau­en und ande­ren Events ein­ge­la­den wer­den. Das löst zuerst mal Fut­ter­neid aus. Denn der Kuchen wird ja nicht grö­ßer son­dern nur neu ver­teilt. Und die Blog­ger wol­len jetzt auch ihr Stück vom Kuchen abha­ben. Dank­bar­keit dür­fen sie dafür nicht erwar­ten. Im Gegen­teil. Man beschimpft sie als Schma­rot­zer, so wie Siems Luck­waldt es jetzt mehr oder weni­ger deut­lich getan hat.

Den Blog­gern ist das total egal. Der befürch­te­te Shit­s­torm wird aus­blei­ben. Blog­ger füh­ren ein Eigen­le­ben. Man könn­te auch sagen: Sie machen ihr Ding.

Sich über Blog­ger auf­zu­re­gen ist ziem­lich leicht. Natür­lich genü­gen die meis­ten nicht den Stan­dards, die für Qua­li­täts-Jour­na­lis­mus gel­ten. Aber geht es dar­um über­haupt? Natür­lich nicht! Blog­ger haben eine völ­lig neue Medi­en-Kate­go­rie begrün­det, die sich mit unse­ren bis­he­ri­gen Maß­stä­ben kaum mes­sen oder beur­tei­len lässt. Das müs­sen wir ertra­gen – auch wenn es man­chem schwer fällt. Der klas­si­sche Rück­schluss ana­lo­ger Medi­en „viel Text = viel Qua­li­tät“ taugt hier gar nichts. Das ist klar.

Dar­über wird immer noch zu oft über­se­hen, was Blogs eigent­lich leis­ten. Vor allem demo­kra­ti­sie­ren sie den Mei­nungs­bil­dungs­pro­zess, weil sie jeden, der sich für Mode inter­es­siert dazu ermäch­ti­gen, sei­ne Mei­nung zu ver­brei­ten. Das hat durch­aus etwas Eman­zi­pa­to­ri­sches, wenn nicht  sogar etwas Anar­chis­ti­sches – auch wenn es nicht unbe­dingt so aus­sieht. Die Deu­tungs­ho­heit zum The­ma Mode liegt damit nicht mehr nur bei Jour­na­lis­ten son­dern sie liegt bei jedem der sich beru­fen fühlt. Alte Instan­zen und Auto­ri­tä­ten wer­den durch Blog­ger bedroht.

Im Rah­men die­ses Demo­kra­ti­sie­rungs­pro­zes­ses leis­ten Blog­ger etwas ganz Wich­ti­ges: Sie haben erst­mals eine brei­te Büh­ne geschaf­fen für güns­ti­ge Mode, die von klas­si­schen Medi­en bis­her hart­nä­ckig igno­riert wur­de, von der man ein­fach so tat, als gäbe es sie gar nicht. Pri­mark ist so ein Bei­spiel.

Und letzt­lich ermög­li­chen Blog­ger einen neu­en, ande­ren, direk­te­ren Blick auf Mode. Auf Blogs sieht man Mode nicht mehr pro­fes­sio­nell gestylt am Kör­per eines Models foto­gra­fiert vor gla­mou­rö­ser Kulis­se son­dern mehr oder weni­ger nor­ma­le Out­fits an nor­ma­len Mäd­chen foto­gra­fiert auf Bür­ger­stei­gen, Park­plät­zen, in Stadt­parks. Das erzeugt eine Authen­ti­zi­tät, die man­chen ver­stört aber durch aus ihren Wert hat. Alles, was wir an groß­ar­ti­gen Foto­gra­fen wie Jür­gen Tel­ler, Ter­ry Richard­son und letzt­lich auch Wolf­gang Til­m­ans schät­zen, die­ses Direk­te, Unge­fil­ter­te, Ech­te, Unmit­tel­ba­re fin­det sich auch hier wie­der – wenn auch nur in kleins­ten Dosen. Aber es ist zu erken­nen. Wenn wir uns die Mühe machen, hin­zu sehen. Das alles kann gut gemacht redak­tio­nel­le Edi­to­ri­als natür­lich nicht erset­zen. Aber es ist eine gute Ergän­zung.”

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