Man mag es nicht mehr hören, das Klagen über zu viel Ware im Markt, über die Rabattschlachten und das verfehlte Saisontiming der Branche. Das wird immer dann besonders laut, wenn das Wetter mal wieder nicht so mitspielt wie geplant. Also eigentlich ständig. Gesprächsrunden zu diesem Thema sind trotzdem sinnlos, Appelle an Handel und Industrie wohlfeil. Es wird sich nichts ändern, so lange der Markt ist wie er ist: Überflutet mit Ware, die keiner braucht. Von zu vielen Playern, die sich einen mörderischen Verdrängungskampf liefern. Die mit ihren Rotpreisen das Produkt in den Augen der Verbraucher entwerten, auf dass die Abwärtsspirale sich noch schneller dreht. Von negativen Begleiterscheinungen wie der Ausbeutung und den Umweltschäden in den Produktionsländern mal ganz abgesehen.
Dass es so weit gekommen ist, ist die unvermeidliche Folge des Modesystems, wie wir es kennen. Das hat sich aus einer historisch gewachsenen Arbeitsteilung von Branchen wie der Textilindustrie, der Bekleidungsindustrie und dem Einzelhandel als Distributionskanal mit ganz vielen zwischengeschalteten Funktionen wie zum Beispiel den Messen, Agenten und Handelsvertretern herausgebildet. Hinter der Vertikalisierung, die wir in Deutschland in den vergangenen beiden Jahrzehnten erlebt haben, steckte die Idee, die Prozesse innerhalb dieser sogenannten textilen Pipeline effizienter zu machen, teure Zwischenstufen ausschalten zu können, dadurch Preisvorteile gewinnen und Trends schneller an den POS bringen zu können. H&M und Inditex hat dieses Modell zu den größten Bekleidungsanbietern der Welt gemacht. Mittlerweile stößt aber auch dieses Geschäftsmodell an seine Grenzen, was insbesondere H&M zurzeit leidlich erfahren muss.
Die Vertikalen haben den Markt aufgemischt, in dem sie das Modesystem optimiert haben. An der grundlegenden Industrie-Logik haben sie nicht gerüttelt. Und jetzt sitzen wir alle in der System-Falle, wie Hans-Peter Hiemer von der Unternehmensberatung Business4Brands diese Woche auf der Patterns X.0‑Konferenz in München postulierte. „Wir machen uns alle etwas vor, was das Thema Speed angeht.“ Die Branche täusche Geschwindigkeit nur vor und produziere doch nur mit Volldampf ins Lager. So gehe es jedenfalls nicht weiter. Die große Frage sei, so Hiemer: „Schaffen wir als Branche es selbst, Lösungen zu entwickeln? Oder werden es Player von Außen sein, die das bisherige Modesystem sprengen?“
Die Patterns-Konferenz gab eine Antwort auf diese Frage. Jan Wilmking zeigte, wie man bei zLabels auf das Modegeschäft blickt. Nämlich radikal anders als der Rest der Industrie. Zalando hat die Eigenmarkenentwicklung vor sieben Jahren angeschoben, seit fünf Jahren ist Wilmking Chef von zLabels, ein Business, das mit ca. 500 Millionen Euro Umsatz größer als das der meisten deutschen Modeanbieter ist. „Wenn man mal ehrlich ist, sind auch wir noch ein ziemlich analoges Unternehmen“, sagt der ehemalige McKinsey- und Rocket Internet-Manager. „Auch wir produzieren letztlich mehr, als wir verkaufen. Auch wir verschwenden in unserer Organisation zu viel Zeit, Geld und physische Resourcen.“ Deshalb hat man bei zLabels den kompletten Prozess von Planung, Produktentwicklung, Beschaffung und Verkauf neu gedacht. Das Geschäftsmodell wird letztlich von einem Push-System zu einem Pull-Modell weiterentwickelt und in letzter Konsequenz eine individualisierte Massenproduktion ermöglichen. „Die Zukunft heißt für uns MOQ=1“, sagt Wilmking. Es müsse eine Mindestbestellmenge von 1 möglich sein, eine streng bedarfsorientierte Produktion, „Fashion without waste“.
Dass dies keine unmögliche Vision ist, machte Wilmking überzeugend deutlich. Angefangen bei detaillierten Kundendaten-Analysen, perfektem Forecasting und in realtime permanent aktualisierter Planung über die in hohem Maße automatisierte Produktentwicklung und individuelle Kundenansprache bis hin zur extrem flexiblen Supply Chain setzt zLabels dabei wo es nur geht auf Technologien und Tools, die es größtenteils schon gibt und die man nur entsprechend einsetzen muss. Für Wilmking steht völlig außer Frage, dass sich dieses Modell umsetzen lässt.
In letzter Konsequenz geht es um die größtmögliche Automatisierung der Prozesse zwischen Konsumenten und Produzenten. Wobei der Kundenbedarf der Ausgangs‑, Dreh- und Angelpunkt ist. In Wilmkings Modell braucht es weder Designer noch Einkäufer, zumindest braucht es deutlich wenigere und die haben andere Aufgaben. Es braucht eine extrem starke vertikale Integration mit wenigen Produzenten, was auf beiden Seiten Größe bedingt. Es braucht eine völlig veränderte Marketingkommunikation, die die Kunden individuell und nicht in der Masse anspricht. Läden stören womöglich, weil sie zusätzliche Komplexität bringen. Wegen der notwendigen Data Insights ist zurzeit jedenfalls nur ein Onlinehändler in der Lage, dieses neue Modesystem zu adaptieren.
Zukünftig werde das Produkt vom Konsumenten bestimmt, so Hans-Peter Hiemer, und der Prozess vom Produkt. Entsprechend müssten auch alle Unternehmensabläufe aus der Perspektive der Verbraucher ausgerichtet sein. Das neue Modesystem macht Ernst mit „Consumer first“.