Es dürften nicht in erster Linie wirtschaftliche Überlegungen gewesen sein, die Christian Greiner dazu bewogen haben, Wöhrl zu übernehmen. Es gibt zurzeit wahrscheinlich bessere Anlagemöglichkeiten. Eine Rolle wird freilich gespielt haben, dass Wöhrl Mieter in etlichen Lagen der Immobiliengesellschaft Tetris ist, die Gerhard und Hans Rudolf Wöhrl gehört. Bei einem externen Investor hätten sich die Brüder auf harte Diskussionen einstellen müssen.
15 Millionen Euro will der Sohn von Hans Rudolf Wöhrl auf den Tisch legen, die Gläubiger müssen wie es aussieht auf viele Millionen verzichten. Es war höchste Zeit für einen Deal. Mitten in der laufenden Orderrunde war es wichtig, ein Signal zu setzen, dass es in Nürnberg weitergeht. Das wird die Lieferanten erstmal freuen und die 2000 Mitarbeiter sowieso.
Letztlich geht es den traditionsbewußten Wöhrls vor allem um die Bewahrung des Familienerbes. „Bei soviel Herzblut kann man nicht einfach zusehen, wie das alles den Bach hinunter geht“, so Hans Rudolf Wöhrl zur SZ. Sein 2010 mit 96 Jahren gestorbener Vater Rudolf hatte die Firma 1933 gegründet. Die Söhne sind 1970 eingestiegen und haben die Geschäfte seither geführt. Zu sagen, dass dies nicht immer konfliktfrei verlief, wäre untertrieben. Wöhrl-Mitarbeiter können eine Menge Geschichten dazu erzählen.
Bei einem Interview, das ich 2008 anlässlich des 75jährigen Jubiläums von Wöhrl mit den beiden Brüdern führen durfte, nahmen die beiden denn auch kein Blatt vor den Mund. „Wir hatten schon von Kindesbeinen an sehr unterschiedliche Interessen“, so der drei Jahre ältere Gerhard. Der Vater habe die Rivalität „spitzbübisch wie er ist“, bewusst geschürt, ergänzte Hans Rudolf. „Er war nicht unbedingt auf Konsens aus.“
So führten die beiden Brüder das Unternehmen über mehr als 40 Jahre, in wechselnden Konstellationen. „Wenn das Wöhrl-Geschäft (nach der Übernahme der Geschäftsführung durch Gerhard) explodiert wäre, hätte ich wahrscheinlich Depressionen bekommen“, so Hans Rudolf, „wenn Wöhrl untergegangen wäre, sicher auch.“ „Wir streiten und versöhnen uns“, meinte Gerhard, in diesem Punkt ausnahmsweise einig mit Hans Rudolf: „Wir haben eine positive Streitkultur. Am Ende des Tages muss man das Tuch glatt ziehen.“
2011, ein Jahr nach dem Tod des Vaters gingen die Brüder, damals 63- und 66-jährig, getrennte Wege. Hans Rudolf, der gerne die Mehrheit übernommen hätte, was Gerhard nicht zuließ, verkaufte seine Anteile. Dass sein Sohn jetzt der neue starke Mann im Familienunternehmen wird, erfüllt ihn sicherlich mit einiger Genugtuung. Er hat ihn seit jeher in dieser Position gesehen. „Ich behaupte mit einem Augenzwinkern, Christian ist der Einzige, der in der Familie wirklich etwas von Mode versteht“, sagte Hans Rudolf Wöhrl in besagtem Interview.
Christian Greiner verdiente sich seine ersten Sporen im Handel mit der Konzeption der jungen Wöhrl-Abteilung U1. Seit 2010 fungiert er als Vorstandsvorsitzender von Ludwig Beck. Im vergangenen Jahr übernahm der 38jährige zudem die 15 Filialen von Wormland. An ihm ist es jetzt, Wöhrl zukunftsfähig zu machen.
Eine solche Neuausrichtung wäre schon in einem kerngesunden Unternehmen keine leichte Aufgabe. Die Marktentwicklung spricht nicht für die Multilabel-Formate. Noch vor 20 Jahren war dies hierzulande das dominierende Geschäftsmodell. Seitdem haben die schnelleren und profitableren vertikalen Ketten den klassischen Fachhändlern in puncto modischer Kompetenz den Rang abgelaufen. Branchenfremde Food-Retailer und Discounter haben mit ihren Preisangeboten weite Teile des textilen Brot-und-Butter-Geschäfts übernommen. Und neuerdings ziehen auch noch Online-Player wie Amazon und Zalando mit Riesen-Auswahl und Convenience massiv Marktanteile ab.
Auf der anderen Seite finden viele lokale Platzhirsche, aber auch Department Store-Ketten wie die KadeWe-Group oder Breuninger nach wie erfolgreich vor ihre Kunden. Gut gemachte, spannende Multilabel-Häuser sind für viele anspruchsvollere Konsumenten immer noch attraktiver als die überall gleichen Ketten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist es so, dass im Multilabel-Segment die Solitäre sogar im Vorteil sind gegenüber den Filialisten. Heute zählen Kundennähe, Individualität und kurze Wege nämlich mehr als Größenvorteile im Einkauf, die zudem in aller Regel mit teurer und langsamer Komplexität einhergehen.
Die Herausforderung für Filialbetriebe ist, Größe im Einkauf mit Stärke im Verkauf zu verbinden. Das sind simpel gesagt die beiden Fronten, an denen Wöhrl kämpft. Eine Liaison mit Ludwig Beck und Wormland wäre womöglich eine sinnvolle Option, um Einkaufsvorteile zu generieren, ebenso die Fortsetzung der Kooperation mit der Katag. Wichtiger noch ist die Arbeit an einem zugkräftigen Sortiments- und Verkaufskonzept, das den Kunden Gründe liefert, wieder mehr bei Wöhrl zu kaufen.
Im Gespräch mit der SZ riet Hans Rudolf Wöhrl neulich zur Rückbesinnung auf die Stärken, die das Unternehmen einst groß gemacht haben. Vielleicht ist es tatsächlich so einfach: „Gute Qualität. Starke, echte Marken, die tatsächlich einen Mehrwert bieten. Große Auswahl. Kompetenter Service. Faire, ehrliche Preise statt der heute üblichen Rabattschlachten, bei denen der Kunde jeden Überblick verliert.“ Und das stationär oder Online. „Wer auf beiden Schienen fährt, wird zweimal nur Halbprofi sein.“