Passiert large

Wenn die Lieferkette reißt

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Jür­gen Mül­ler

Bis vor kur­zem wuss­te der Han­del nicht wohin mit der Ware. Jetzt weiß er nicht mehr, woher er sie neh­men soll. Die Pan­de­mie mag hier­zu­lan­de abschwel­len, aber die Coro­na-Kri­se ist lan­ge nicht vor­bei. Lie­fer­pro­ble­me in nie gekann­tem Aus­maß belas­ten das Geschäft – Lock­downs in wich­ti­gen Pro­duk­ti­ons­län­dern wie Viet­nam, Hafen­schlie­ßun­gen in Chi­na, Eng­päs­se und Ver­spä­tun­gen in der Logis­tik, mas­siv gestie­ge­ne Con­tai­nerprei­se. Dazu kom­men extre­me Preis­an­stie­ge bei Ener­gie und Roh­stof­fen. Dass die Infla­ti­on seit eini­gen Mona­ten nach oben schnellt, ist ungut für das Beklei­dungs­busi­ness. Denn wenn die all­ge­mei­ne Lebens­hal­tung teu­rer wird, bleibt weni­ger Geld für schö­ne, aber nicht lebens­not­wen­di­ge Sachen wie die Mode. Dass der Preis­an­stieg für Beklei­dung mit zuletzt 3% hin­ter der Infla­ti­ons­ra­te von 4,1% zurück­blieb, ist ein Indiz, dass der Wett­be­werb eigent­lich not­wen­di­ge Preis­er­hö­hun­gen nicht mal eben so zulässt.

Das wird ins­be­son­de­re für alle ein Pro­blem, deren USP der Preis ist, also für das Dis­count-Seg­ment. Aber auch den Mul­ti­la­bel-Fach­han­del trifft die Ent­wick­lung, wenn bestell­te Ware nicht im Laden ankommt. Nichts has­sen Kauf­leu­te mehr als ent­gan­ge­ne Umsät­ze. Dass im Lock­down vie­le Ein­zel­händ­ler ihre Vor­or­der in der Erwar­tung kurz­fris­ti­ger Nach­or­der­mög­lich­kei­ten her­un­ter­ge­schraubt haben, ver­stärkt das Pro­blem. Nach den Covid-Kata­stro­phen­mo­na­ten braucht es jetzt jeden Euro in der Kas­se.

Ande­rer­seits sind vie­ler­orts immer noch die Kel­ler voll mit Alt­wa­re. So bie­tet sich jetzt für man­chen Händ­ler die Chan­ce, LUG und Kapi­tal­bin­dung zu opti­mie­ren. „Wenn ein Dicker mal drei Tage nix zu essen bekommt, tut ihm das auch ganz gut“, mein­te neu­lich ein Gesprächs­part­ner etwas zynisch. Und wenn Win­ter­ja­cken erst ankom­men, wenn es wirk­lich kalt ist, kom­men wir einem „nor­ma­len“ Sai­son­rhyth­mus womög­lich näher.

Doch im Ernst: Para­do­xer­wei­se trifft die Lie­fer­ket­ten­stö­rung die­je­ni­gen beson­ders, die ihre Sup­p­ly Chain für gewöhn­lich gut im Griff haben, also die Ver­ti­ka­len. Und natür­lich gibt es rie­si­ge Unter­schie­de in den Cate­go­ries. Groß sind die Eng­päs­se bei Out­door und im Sport­seg­ment. Weil Viet­nam in wei­ten Tei­len aus­fällt, ist die Schuh­in­dus­trie beson­ders hart getrof­fen. Gra­vie­ren­der noch als für Retail­er ist die Situa­ti­on für die Who­le­sa­ler. Im Früh­jahr muss­te die Indus­trie mit weni­ger Vor­or­ders klar­kom­men, jetzt sor­gen die Lie­fer­ver­zö­ge­run­gen dafür, dass erst spä­ter fak­tu­riert wer­den kann. Oder gar nicht, weil man­cher gro­ßer Han­dels­kun­de die Ware zur Unzeit nicht mehr anneh­men wird wol­len. Das könn­te dazu füh­ren, dass der Preis­ver­hau in den betrof­fe­nen Cate­go­ries beson­ders dra­ma­tisch wird.

Über kurz oder lang wird der Markt wie­der ins Gleich­ge­wicht kom­men. Bis dahin wer­den die Unter­neh­men zusätz­li­che Sicher­heits­puf­fer ein­bau­en und frü­her mit ihren Pla­nun­gen star­ten. Das läuft der Ver­kür­zung von Leadt­i­mes, wie sie über­all auf der Agen­da steht, zuwi­der und wird die Digi­ta­li­sie­rung von Pro­dukt­ent­wick­lungs- und Beschaf­fungs­pro­zes­sen umso dring­li­cher erschei­nen las­sen. Man­che reden bereits von einem Rück­zug der Pro­duk­ti­on aus Asi­en. Ins­be­son­de­re die gro­ße Abhän­gig­keit von Chi­na erscheint man­chem ange­sichts der zuneh­men­den staat­li­chen Ein­grif­fe dort und der sich anbah­nen­den welt­po­li­ti­schen Kon­flik­te als unge­sund.

Ein Rück­bau der Glo­ba­li­sie­rung, die von der Tex­til- und Beklei­dungs­in­dus­trie vor Jahr­zehn­ten ja maß­geb­lich vor­an­ge­trie­ben wur­de, ist trotz­dem unrea­lis­tisch. Kurz- und mit­tel­fris­tig wer­den nähe­re Pro­duk­ti­ons­stand­or­te – die Tür­kei, Por­tu­gal – sicher pro­fi­tie­ren. Vor allem aber wird es zu einem ande­ren Sourcing-Mix kom­men. Bei der Plat­zie­rung von Pro­duk­ti­ons­auf­trä­gen ist der nied­rigs­te Preis allein nicht mehr maß­geb­lich. Auch Nach­hal­tig­keit wird als Kri­te­ri­um zuneh­mend wich­tig. Und mehr denn je dürf­ten jetzt auch Lie­fer­si­cher­heit und Risi­ko­streu­ung rele­van­te Fak­to­ren sein.

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Und sonst?

…taxiert die TW die Zalan­do-Grün­der auf 1,16 Mil­li­ar­den Euro, 1,03 Mil­li­ar­den ist allein ihre 5,17% Betei­li­gung an Zalan­do wert. Damit haben David Schnei­der und Robert Gentz, glaubt man dem Mana­ger-Maga­zin, sogar Fami­lie Clop­pen­burg über­holt, die dann doch ein paar Jah­re län­ger im Geschäft ist. Vor weni­gen Wochen war das Akti­en­pa­ket übri­gens noch ein gutes Drit­tel mehr wert. Die­ser Kurs­ver­fall ist nicht schön. Aber wer­den die bei­den sich jetzt wirk­lich ärmer füh­len?

…ver­pack­ten die Händ­ler auf dem Wuzhong-Markt in Shang­hai ver­gan­ge­ne Woche ihr Gemü­se mit Papier und Tüten im Pra­da-Design. Die Gue­ril­la-Mar­ke­ting-Akti­on der ita­lie­ni­schen Mode­mar­ke (#feels­like­pra­da) rief in Social Media gemisch­te Reak­tio­nen her­vor: “Es ist das Ein­zi­ge von Pra­da, das ich mir leis­ten kann.”

…beschäf­tig­te sich die Wis­sen­schafts­re­dak­ti­on der SZ mit der Kul­tur­ge­schich­te der Klei­dung (Pay­wall). Bereits vor 100.000 Jah­ren fer­tig­ten die Men­schen Klei­dungs­stü­cke an, um sich zu schüt­zen und – dar­an hat sich bis heu­te nichts geän­dert – um sich zu schmü­cken. „Wir sind die ein­zi­ge Spe­zi­es, die in der Lage war, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gien zu ent­wi­ckeln, die mit dem Kör­per ver­knüpft sind, um eine Viel­zahl von Infor­ma­tio­nen über uns und unse­re Fähig­kei­ten zu über­mit­teln“, zitiert der SZ-Autor den Archäo­lo­gen Fran­ces­co d’Errico. Was die IT heu­te macht, beherrscht die Mode­indus­trie dem­nach schon lan­ge.

…flog Cap­tain Kirk ins All, zum ers­ten Mal nach 90 Jah­ren. “Beam me up, Jeff!”

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