Wie sehr sich der Textileinzelhandel in Deutschland verändert, zeigt Jahr für Jahr die Größtenliste der Textilwirtschaft. Das Ranking ist gestern zum 31. Mal erschienen und zeigt die Machtverhältnisse in einem Markt, der umsatzmäßig seit 20 Jahren mehr oder weniger stagniert, trotz eines Flächenwachstums von 30% und einer gleichzeitigen Verdoppelung des Distanzhandels-Marktanteils im selben Zeitraum. Online- und Katalogversender schnappen sich mittlerweile 21% der 62 Milliarden, die laut BTE 2015 für Textilien in Deutschland ausgegeben wurden. Auch die Konzentration schreitet voran. Fast jeder dritte Euro landete im vergangenen Jahr in den Kassen der Top Ten.
Die wahre Dramatik des Wandels zeigt sich indes, wenn man die aktuelle Liste etwa mit der von vor zehn Jahren vergleicht und nach Gewinnern und Verlierern sucht. Konzentrieren wir uns pietätvoll auf die Gewinner:
1. 2005 noch gar nicht auf der Liste: Die Billigfreunde von Primark und TK Maxx. Internationale vertikale Spezialisten wie Mango, Hunkemöller, Tally Weijl und Decathlon. Und natürlich sämtliche Online Pure Player wie Zalando, Amazon, Ebay/Brands 4 Friends, Vente Privee und Dress For Less (auf der Liste fehlt BestSecret/Schustermann & Borenstein, der vermutlich nicht umsonst gerade einen hoch dreistelligen Millionen-Verkaufspreis erzielt hat).
2. 2005, wenn überhaupt, noch im letzten Drittel vertreten, jetzt überwiegend in der vorderen Hälfte: Die Fachhandelslieferanten mit ihren Direktvertriebsaktivitäten. Allen voran Gerry Weber, der seinen Retail-Umsatz in neun Jahren verneunfacht hat. Bestseller hat sich mit seinen eigenen Läden seit 2010 in Deutschland verdreifacht. S.Oliver verzeichnet ein Plus von 228% im Vergleich zu 2005, und Esprit setzt im eigenen Retail hierzulande trotz Umsatzeinbruch und Schließungsprogramm immer noch 46% mehr um als noch vor zehn Jahren. Hugo Boss hat seinen Direktvertrieb in Deutschland gegenüber 2005 um 88% ausgebaut. Tom Tailor (inklusive Bonita) hat sein Filialnetz in sieben Jahren um über 20% ausgebaut, seinen Retail-Umsatz in diesem Zeitraum indes gerade mal um 7% gesteigert. Alle diese Player haben inzwischen den Rückwärtsgang eingelegt, was die Filialisierung angeht. Sie werden dafür künftig ihr Direktgeschäft im Web ausbauen.
3. 2005 schon da und seither massiv gewachsen: H&M (Umsatz nahezu verdoppelt), Inditex (Umsatz verdreifacht), Ernsting’s Family (ein Plus von 134%) und Engbers (plus 55%). Sensationell der Aufstieg von Modepark Röther (seit 2007 um 267% gewachsen). Stark gewachsen die Teleshopping-Anbieter wie QVC (Umsatz fast verdoppelt) und HSE 24 (Umsatz fast versiebenfacht). Erfolgreich unterwegs (dank Flächenexpansion) auch Multilabel-Formate wie Breuninger (plus 49%) und Hirmer (plus 58%), Omnichannel-Anbieter wie Walbusch (plus 40%) sowie regionale Player wie Reischmann (plus 122%) und Engelhorn (plus 40%).
Es gibt so betrachtet also gar nicht mal so wenige Erfolgsgeschichten in unserem Markt. Mit Sicherheit auch unterhalb der 50 Millionen-Schwelle, die die TW für ihr Ranking im Blick hat. Interessant wäre im übrigen auch mal ein Ranking, das nicht den Umsatz, sondern die Profitabilität bzw. den Ertrag ausstellt.
Klar ist jedenfalls, dass Größe im Modemarkt kein Erfolgsgarant ist. Denn in diesem Geschäft kommt es nicht bloß auf die letzte Stelle hinterm Komma in der Beschaffung an, sondern mindestens genauso auf die schnelle Reaktion auf Trends und die Kreativität im Verkauf. Da kann Größe auch zum Problem werden.
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