Passiert large

Ulm ist das neue Berlin

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Jürgen Müller

Bielefeld natürlich ebenso. Unitex und Katag sind mit dem Fashion Festival und den Markentagen in die Lücke gestoßen, die sich mit dem Niedergang der Berliner Messen aufgetan hat. Man muss sich diese Entwicklung mal vergegenwärtigen: Einst hatten wir hierzulande mit Igedo und CPD die größten Modemessen der Welt. Die Herren-Mode-Woche/Interjeans in Köln degradierte die Pitti in Florenz zur Exotenschau. Dann fuhr die ganze Welt Kettenkarussell in Tempelhof. Bread & Butter, Premium und Panorama profitierten vom Berlin-Hype und fachten ihn mit an. Vorbei. Jetzt trifft sich die Branche in Ulm und Bielefeld. Vor drei Wochen schlenderten die Einkäufer über die Flure der Katag-Zentrale. Diese Woche kamen 1500 Besucher und 120 Aussteller in die drei Hallen der Messe Ulm.

Neben Fehlern, die in Berlin gemacht wurden, ist dies auch eine Folge des Strukturwandels, den diese Branche durchmacht. 20.000 Einzelhandelsbetriebe wurden seit 2002 geschlossen, so Unitex-CEO Xaver Albrecht in seiner Eröffnungsrede zum Fashion Festival an diesem Dienstag.

Das ist alles nicht neu, und doch wurde es in Ulm mal wieder sichtbar. Während man in Berlin ein Bild von Einzelhandel vor Augen hat, den es in Deutschland nicht in dem Maße gibt, als dass er eine Messe in der Größenordnung der Premium tragen würde, ist man in Ulm ganz nah bei der Zielgruppe. Und die sitzt halt in der Mehrzahl nicht in Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Ein Großteil der Besucher von Ulm war wahrscheinlich seit Jahren nicht mehr in Berlin. Dort diskutierten die Forward Thinker Themen wie Sustainability und Gender Fluidity, während die Händler eher beschäftigt, wie sie die freiwerdenden Esprit-Flächen füllen oder die Elternzeit der Erstverkäuferin überbrücken sollen. Das Rahmenprogramm in Ulm war entsprechend down to earth.

Die Hoffnung, alles an einem Ort zur selben Zeit zu finden, ist vorerst dahin. Die eine große Messe wird es angesichts der Marktentwicklung wohl nicht mehr geben.

Der kuriose Mai-Termin wird positiv gesehen. Hier könne man mal ganz unabhängig vom saisonalen Orderstress mal sehen, welche Alternativen zu den aktuellen Mainstreamlieferanten es gibt und Kontakte knüpfen, so ein Besucher. Essen und Trinken waren umsonst, die Kundenfreundlichkeit der Unitex-Macher wurde allenthalben gelobt, und die normierten Standaufbauten waren, wie zu hören war, für unter 10.000 Euro zu haben. Die Berlin-Präsenz verschlang gut und gerne auch mal eine sechsstellige Summe. Abends gab’s in Ulm zwar weder Borchardt noch Berghain, dafür feierte ein entfesseltes Publikum die Pseudo-Cowboys von The Boss Hoss. Ziemlich uncool, aber ein Riesen-Spaß.

Als Treffpunkt und Community-Plattform erfüllen die Veranstaltungen in Ulm und Bielefeld ganz sicher ihren Zweck. Vielleicht ist es zu viel verlangt, aber wer von Messen auch Inspiration und visionäre Zukunftsperspektiven oder wenigstens einen Wow-Faktor erwartet, wird enttäuscht sein. Berlin war sicher zu wenig Ulm, aber Ulm ist leider auch nicht Berlin.

Die Hoffnung, dies alles an einem Ort zur selben Zeit zu finden, ist vorerst dahin. Die eine große Messe wird es angesichts der Marktentwicklung wohl nicht mehr geben. Alles unter einem Dach funktioniert auch beim Warenhaus nicht mehr.

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Und sonst?

… passiert bei Esprit, was angesichts des strategischen Harakiri-Kurses der Chinesen unvermeidlich war. Mit der Insolvenz wird der Betrieb besenrein gemacht für einen potenziellen Übernehmer. Sollte es sich, wie kolportiert wird, tatsächlich um CBR-Investor Alteri handeln? Mit CBR-CEO Jim Nowak haben die Briten einen Ratgeber, der die große Zeit von Esprit mitgemacht hat.

… räumt David Schneider seinen Zalando-Chefsessel für David Schröder. Der Co-Gründer macht weiter, was er bis dahin gemacht und bleibt wichtigster Ansprechpartner für die Brands, während der bisherige COO Schröder das wachsende B2B-Business vorantreiben soll.

… wollen die neuen Eigentümer Karstadt und Kaufhof aus den Fußgängerzonen tilgen. Natürlich bloß die Namen. Künftig soll es nur noch Galeria heißen. Im Übrigen wollen Baker/Beetz 100 Millionen in die Hand nehmen. Das ist viel Geld, und zugleich eine Summe, die sich bei 70 Filialen schnell relativiert.