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Schwäbischer Sozialismus?

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Jür­gen Mül­ler

Es ist ein außer­ge­wöhn­li­cher Schritt und vor allem eine gro­ße Ges­te: Im Rah­men sei­ner Nach­fol­ge­re­ge­lung bringt Hel­mut Schlot­te­rer sein Ver­mö­gen in eine sozia­le Stif­tung ein, deren Stimm­rech­te bei einer neu gegrün­de­ten Mit­ar­bei­ter­stif­tung lie­gen sol­len. Ein Mit­ar­bei­ter­rat, bestehend aus allen akti­ven Füh­rungs­kräf­ten, soll die­se Mit­ar­bei­ter­stif­tung lei­ten. Bei einem emo­tio­na­len inter­nen Fir­men­event hat der 76jährige sei­ne Ent­schei­dung jetzt ver­kün­det.

Das Mana­ger-Maga­zin, das von den Plä­nen schon im Mai berich­tet hat­te, sprach von „Sozia­lis­mus“. Was man halt so titelt, wenn man sei­ne Ziel­grup­pe in Wal­lung ver­set­zen möch­te. Marc Cain selbst nennt es eine Ges­te des Ver­trau­ens und der Ver­bun­den­heit. Auf jeden Fall sichert sich der Patri­arch in Bodels­hau­sen damit end­gül­tig Legen­den­sta­tus.

Vor 50 Jah­ren hat der Fabri­kan­ten­sohn Marc Cain gegrün­det und die Mar­ke zu einer Instanz in der Pre­mi­um-Eta­ge des Mul­ti­la­bel­han­dels ent­wi­ckelt. Marc Cain-Mode gibt es inter­na­tio­nal in 51 Län­dern zu kau­fen, dar­un­ter in 141 Stores. Das Unter­neh­men beschäf­tigt allein in Deutsch­land über 850 Mit­ar­bei­ten­de. In Bodels­hau­sen hat Schlot­te­rer nicht nur sei­ne Visi­on von moder­ner Fir­men­ar­chi­tek­tur ver­wirk­licht (selbst­ver­ständ­lich an der Marc Cain-Allee), son­dern der Tech­nik­be­geis­ter­te hat auch einen hoch­mo­der­nen Maschi­nen­park hin­ge­stellt, der Marc Cain immer noch einen rele­van­ten Teil an eige­ner Pro­duk­ti­on ermög­licht. Was sich in heu­ti­gen Zei­ten mehr denn je als Vor­teil erweist.

Die Fra­ge, was aus die­sem außer­ge­wöhn­li­chen Lebens­werk wird, stand seit län­ge­rer Zeit im Raum. Das Ehe­paar Schlot­te­rer hat kei­ne Kin­der, die Über­ga­be an ein Fremd­ma­nage­ment schei­ter­te, sei­nen Bru­der hat Schlot­te­rer vor Jah­ren aus­be­zahlt, Ange­bo­te von Inves­to­ren hat der Grün­der stets abge­lehnt.

Jetzt also die Stif­tungs­lö­sung, wohl nicht zufäl­lig im Jubi­lä­ums­jahr ver­kün­det. Schlot­te­rer zeigt sei­ner Fir­ma damit zumin­dest eine kla­re Per­spek­ti­ve auf. Was bei vie­len ande­ren Unter­neh­mern sei­ner Gene­ra­ti­on all­zu lan­ge offen bleibt. Wir ken­nen die Bei­spie­le.

Dass sol­che Ent­schei­dun­gen hin­aus­ge­zö­gert wer­den, ist einer­seits ver­ständ­lich. Wer ein Leben lang mit Lei­den­schaft ein erfolg­rei­ches Unter­neh­men auf­ge­baut hat, tut sich schwer damit, los­zu­las­sen oder zuzu­se­hen, wie ande­re mit dem Lebens­werk umge­hen. Man hält sich für uner­setz­lich, und man­che sind das in gewis­ser Wei­se sogar. Und wer denkt schon ger­ne an den Tod, zumal, wenn es sich um den eige­nen han­delt?

Der Spruch von der sozialen Verantwortung des Unternehmers gehört zum Standardrepertoire jeder Sonntagsrede. Bei der rechtzeitigen Regelung der Nachfolge geht es genau darum.

Per­sön­lich mag man das The­ma ver­drän­gen kön­nen, als Unter­neh­mer muss man damit – im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes – rech­nen. Schließ­lich geht es nicht nur um die eige­ne Exis­tenz, son­dern auch um die der Fir­ma und ihrer Mit­ar­bei­ter. Der Spruch von der sozia­len Ver­ant­wor­tung des Unter­neh­mers gehört zum Stan­dard­re­per­toire jeder Sonn­tags­re­de. Bei der recht­zei­ti­gen Rege­lung der Nach­fol­ge geht es genau dar­um.

Der Ide­al­fall ist für vie­le die „natür­li­che“ Nach­fol­ge inner­halb der Fami­lie. Das funk­tio­niert unter zwei Vor­aus­set­zun­gen: Die Junio­ren müs­sen wol­len. Und sie müs­sen kön­nen. Ein sehr erfolg­rei­cher Unter­neh­mer sag­te mal zu mir: „Wenn mei­ne Kin­der es drauf haben, dann wer­den sie ihr eige­nes Ding machen. Wenn sie es nicht drauf haben, dann will ich gar nicht, dass sie mei­ne Fir­ma über­neh­men.“ Er hat das Unter­neh­men spä­ter für einen Mil­li­ar­den­be­trag ver­kauft.

Für Hel­mut Schlot­te­rer schied die­se Opti­on aus. Die Stif­tungs­lö­sung bie­tet aus sei­ner Sicht die bes­te Per­spek­ti­ve für Marc Cain. Ihm eröff­net das die Opti­on, bis auf Wei­te­res selbst­be­stimmt agie­ren zu kön­nen. Den Mit­ar­bei­ten­den gibt er einen Grund mehr, sich ins Zeug zu legen – ein Signal, das mehr leis­tet als das raf­fi­nier­tes­te Employ­er Bran­ding ver­mag.

Wie die Mit­be­stim­mung der Beleg­schaft im Detail gere­gelt ist, ist nicht bekannt. Wer, wann, wel­che Fra­gen wie ent­schei­den soll, wird gut zu über­le­gen sein. Eine Orga­ni­sa­ti­on muss gera­de in unru­hi­gen Zei­ten wie die­sen schlag­kräf­tig und fle­xi­bel blei­ben. Und ob die Beschäf­tig­ten dann unter­neh­me­ri­sche Ver­ant­wor­tung wahr­neh­men und nach­hal­ti­ges Wirt­schaf­ten sicher­ge­stellt ist, wird sich zei­gen. Unter­neh­men wie John Lewis machen vor, dass so ein koope­ra­ti­ves Modell funk­tio­nie­ren und sogar einen Wett­be­werbs­vor­teil dar­stel­len kann. Bes­ten­falls lie­fert Marc Cains schwä­bi­scher „Sozia­lis­mus“ eine Blau­pau­se für ande­re Nach­fol­ge­lö­sun­gen.

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