Die Presse gönnt Karstadt aber auch wirklich keine Ruhe. Selbst wenn es gar nicht um den Warenhaus-Konzern geht, muss er für Negativ-Schlagzeilen wie diese herhalten: "Das Karstadt-Fernsehen ist tot" titelte das Göttinger Tagblatt nach dem Aus für "Wetten dass". Gemeint ist wohl: Wo alles unter einem Dach nicht mehr läuft, versammeln sich auch nicht mehr alle vor einem Bildschirm, um gemeinsam eine Sendung zu sehen, die in die Jahre gekommen ist. Da nutzt es auch nichts, wenn der Frontmann wechselt. So wie die Menschen in der Fußgängerzone und im Internet auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Angebote finden können, haben sie zuhause längst mehr als einen Bildschirm und haufenweise Programme zur Auswahl. Die Absetzung von "Ein Kessel Buntes" hätten die Essener demnach als Menetekel erkennen können – die Show wurde schon vor über 20 Jahren kurz nach der DDR entsorgt.
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So wie die Warenhäuser stirbt bekanntlich auch die Mitte. Sagt man. Das ist natürlich Quatsch. Die Marktmitte ist nicht verschwunden. Sie ist heute nur woanders, sie ist fragmentierter, und ihr Geschmack und ihr Kaufverhalten haben sich geändert. So wie das Angebot. Fachhandelsmarken, die früher einmal Mitte waren, sind heute in Premium-Preislagen verortet, weil Anbieter wie H&M das Geschäft mit der Masse übernommen haben. Ein Problem haben sie freilich, wenn sie nicht zusätzlich Premium-Appeal aufbauen konnten. Umgekehrt machen Oberklasse-Marken heute "unten" gute Geschäfte. Luxusmarken wie Louis Vuitton sind mittlerweile auch für viele Besserverdiener erschwinglich. Man sollte das weniger soziologisch als statistisch sehen: Mitte ist da, wo die meisten sind. Und mit der Masse wird immer noch das größte Geschäft gemacht.
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Es gibt im Übrigen Hoffnung für die modische Mitte. Das berichten Szene-Korrespondenten aus Brooklyn. Die Hipster haben erkannt, dass sie in ihrem Bestreben, ganz anders zu sein, alle gleich aussehen: Skinnyjeans, It-Sneakers, Nerd-Brille, Bart (die Jungs) und Strickmütze (an jedem Ort, zu jeder Jahreszeit), vor sich ein Macbook Air, daneben der Chai Latte und im Kopf "Projekte". Weil es sich um eine ziemlich anstrengende Form der Uniformität handelt, sollen sie sich in Brooklyn und Berlin Mitte neuerdings wieder betont mainstreamig kleiden: billige Turnschuhe oder Gesundheitslatschen, schlecht sitzende Jeans oder Cargo-Shorts, ein 08/15-Shirt oder Hoodie und eine Baseballkappe. "Mall Chic", wie die Amerikaner sagen. So wie der uncoole Papa Samstags bei der Autowäsche. Und das angeblich weitgehend ironiefrei. Früher hätte man gesagt: Sie lassen sich gehen. Heute signalisiert man: Ich habe es nicht nötig. Aber weil sie ja schließlich immer noch Hipster sind, gelten sie mit diesem Look als Avantgarde einer neuen Modeströmung. Die US-Trendapologeten "Normcore" getauft haben.
Der Begriff geistert seit ein paar Wochen durch die einschlägigen Medien. Die sich fragen, ob es sich um das nächste große Stil-Ding handelt oder lediglich um einen gigantischen Medienwitz. Den ich hiermit weitererzählt habe. Doch wer weiß – wo ein Trend den anderen jagt, ist die bewußte Trendverweigerung womöglich trendweisend und das Normale das Besondere. Die Mitte wäre damit endlich mal vorne.
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Seit dieser Woche haben die Hipster in Berlin sogar ihre eigene Mall: Mit dem Bikini-Haus hat ein Einkaufszentrum ohne Zara & Konsorten eröffnet. Stattdessen gibt es Geschäfte von Carhartt, Vitra, Mykita, Odeeh und Andreas Murkudis. Und "Pimped Paninis" im Pop-up-Cafe von Pret-à-Diner. Ein Konzept, das angesichts der massiven Kommerz-Konkurrenz auf der anderen, besseren Seite des Ku'damms – wie man in Berliner Kreisen zu sagen pflegt – "alternativlos" ist. Modeleuten wird das Bikini gefallen, schon allein des Namens wegen. Das Format wird es an dem Standort trotzdem nicht leicht haben. Aber vielleicht täuscht der Anblick der vielen Ottonormalpassanten ja auch. Womöglich sind das alles Normcore-Hipster.
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