Mit der Bonita-Übernahme ist Tom Tailor ein Coup gelungen, der die Fachwelt überrascht hat. Dass der DOB-Filialist auf dem Markt war, war hinlänglich bekannt. Bonita-Gründer Günther Biegert wollte nach einem guten Vierteljahrhundert höchst erfolgreicher Aufbauarbeit Kasse machen. Etliche Finanzinvestoren hatten den Fall auf dem Tisch. Sie haben mehr oder weniger schnell abgewunken. Wachstumsperspektiven und Preisvorstellungen lagen wohl zu weit auseinander.
Nun muss sich der Verkäufer mit lediglich 150 Millionen Barem begnügen. Der Kaufpreis wurde darüber hinaus mit Aktien im Wert von rund 70 Mill. Euro bezahlt. Die Stiftung, in die Biegert Bonita eingebracht hatte, ist im Ergebnis mit knapp unter 25% nun der größte Anteilseigner der börsennotierten Tom Tailor AG. Man wird sehen, was das für die Hamburger Unternehmensführung mit sich bringt. Angeblich beansprucht die Stiftung keinen Sitz im Aufsichtsrat.
Der strategische Investor aus Hamburg kann aus der Übernahme andere Vorteile ziehen, als ein ausschließlich auf einen profitablen Exit ausgerichteter Finanzinvestor. Strategisch wie operativ. Auch wenn sich die in solchen Fällen in Aussicht gestellten Synergieeffekte im Tagesgeschäft erfahrungsgemäß im Rahmen halten (weil sie nicht selten durch eine höhere Komplexität konterkariert werden), können bei klugem Management beide Unternehmen profitieren. Tom Tailor bedient mit seinem Coup nicht zuletzt die Wachstumsphantasien der Börse. In diesem Jahr wird sich der Konzernumsatz auf voraussichtlich über 800 Mill. Euro verdoppeln und die Zahl der Läden auf 1350 mehr als verdreifachen. Dem Kurs hat der Deal zumindest kurzzeitig gut getan.
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Vorstandsvorsitzender Holzer
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Eine andere spannende und fast unterbewertete Nachricht in diesen Tagen war die Eröffnung des Online Shops der Outlet City Metzingen. Es ist meines Wissens das erste Mal, dass ein Outlet-Center einen Online-Shop betreibt.
Die „Outlet City Metzingen“ wurde von der Familie Holy, Ex-Eigentümer von Hugo Boss und Großgrundbesitzer vor Ort, systematisch entwickelt. Keimzelle war der Boss-Fabrikverkauf. Heute gibt es dort Läden von über 60 Brands. Während internationale FOC-Entwickler wie Value Retail oder MacArthurGlen ihre Projekte in Zweibrücken, Wertheim oder Ingolstadt in jahrelangen Scharmützeln mit Kommunen und lokalen Einzelhändlern durchsetzen mussten, haben die Holys die schwäbische Kleinstadt in aller Ruhe zum größten und erfolgreichsten deutschen Fabrikverkaufszentrum ausgebaut.
Metzingen hat seit jeher überregionale Ausstrahlung. Wirklich tangiert hat das Fabrikverkaufszentrum bislang aber allenfalls den Einzelhandel auf der Schwäbischen Alb. Das wird mit dem Webshop jetzt potenziell anders. Metzingen liegt jetzt nur noch einen Mausklick entfernt. Das Schnäppchenparadies wird damit zur Konkurrenz für jeden Einzelhändler, der mit den dort vertretenen Marken sein Geld verdient.
Aus Sicht der Holys macht das Web-FOC Sinn. Man nutzt die Strahlkraft der Marke „Metzingen“ unmittelbar zur Distribution, und man bietet seinen Mietern einen potenziellen Mehrwert. Sich als Händler darüber aufzuregen, lohnt nicht. Denn das Internet ist heute schon die größte Resterampe für Altware, die es jemals gegeben hat. Shopping Clubs wie Vente Privee, Brands4Friends oder BuyVIP, die in Deutschland bereits einen weit dreistelligen Millionenumsatz machen, sind dabei noch die eleganteste Form des Preisverhaus. Und Metzingen ist in diesem Konzert noch ein kleiner Fisch. Dieses Rad lässt sich nicht mehr zurück drehen.
Die Diskussion um die Altwaren-Verwertung ist ohnehin scheinheilig (ein interessanter Beitrag zum Thema Altware erschien vergangene Woche übrigens in der Süddeutschen Zeitung). Fabrikverkäufe und Outlets haben durchaus eine sinnvolle Funktion in der Vermarktungskette. Mit den vom Handel geforderten kurzfristigen Order- und Liefermöglichkeiten sowie der mit der Vertikalisierung einhergehenden Verlagerung des modischen Risikos auf die Vorstufen und zunehmenden Retourenvereinbarungen braucht es Clearing-Möglichkeiten für Überschussware und Restanten. Das gilt erst recht, wenn die Geschäfte im Handel – wie zurzeit – nicht rund laufen.
Dass die Industrie auf der anderen Seite Ware extra für die Outlets produziert und damit gutes Geld verdient, ist ebenso ein offenes Geheimnis. Die Billig-Standorte sind längst ein strategisch wichtiger Vertriebskanal geworden, der nicht selten profitabler ist als die eigenen, in teuren Innenstadtlagen gelegenen Flagship-Stores. Man kann soweit gehen und sagen, dass manche Filialkette nur durch das Outlet-System finanzierbar ist. Die pittoresk gestalteten Villages und die stylishen Websites der Shopping Clubs sind in vielen Fällen also nicht mehr als eine hübsche Fassade für billigen, rabattgetriebenen Direktvertrieb.
Das Bittere für den Fachhandel ist, dass dies den Marken bis zu einem gewissen Grad imagemäßig nicht schadet. Ganz im Gegenteil gilt mittlerweile fast, dass Brands, die nicht in den großen Factory Outlet Centers vertreten sind, gar keine richtige Marke sind.
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Morgen schaut die Modewelt nach Mailand. Dort wird Jil Sander ihre Comeback-Kollektion präsentieren. "Ich muss sie zurück zu unserem Erbe bringen", verriet sie vorab schon mal Suzy Menkes für die New York Times. Ihre gelegentlich verquaste Ausdrucksweise hat sie sich jedenfalls erhalten. Es ist bekanntlich die zweite Rückkehr der Gründerin. Wie lange sie diesmal bleibt, lässt sie offen: "Niemand kann sagen: Ich arbeite, bis ich sterbe. Ich habe immer noch Energie, aber Du kannst keine zehn Jahre mehr vorausdenken. (…) Das Schöne ist, dass ich zu einer Firma zurückkehre, die ich kenne. Ich werde mein Bestes geben." Wir sind gespannt, wie das aussieht.
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