3,9 Milliarden ist About You wert. Nicht schlecht für ein Unternehmen, das gerade mal sieben Jahre alt ist und auch in diesem Jahr immer noch kein Geld verdienen wird. Dass man im Internet lange Zeit Geld verbrennen muss, um eine Verkaufsmaschine zu befeuern, daran hat man sich inzwischen ja gewöhnt. Amazon und Zalando haben erfolgreich vorgemacht, wie man Marktanteilsgewinne langfristig in Unternehmensgewinne ummünzt.
Natürlich wird About You jetzt mit dem Berliner Branchenprimus verglichen. An dem vermeintlichen Antagonismus der beiden werden sich die Medien noch lange abarbeiten. So wie früher an C&A vs. H&M oder später an H&M vs. Zara. Diese Konkurrenz wird die Weiterentwicklung beider Unternehmen ebenso anspornen wie der Druck des Kapitalmarktes, der mit dem Börsengang nun auch für About You zunehmen wird. Dass man im ersten Schritt nur an institutionelle Anleger verkauft hat, ist in diesem Kontext womöglich mehr von Vor- als von Nachteil. So oder so wird wahrscheinlich schon bald eine*r herumkritteln, dass unter den drei Gründern keine Frau ist. Dreadlocks allein machen halt noch keine Diversity. Wenigstens sind keine alten weißen Männer im About You-Vorstand, und ein Thomas ist auch nicht dabei.
Doch im Ernst: Der IPO verschafft About You über 600 Millionen Euro frisches Kapital, das in die technologische Entwicklung und die internationale Expansion investiert werden soll. Was börsennotierte Online Player mit ihrem vielen Geld so anstellen können, hat man nicht zuletzt in Großbritannien gesehen, wo Asos Topshop und Boohoo Debenhams übernommen haben. Im Ausbau der B2B-Technologiesparte könnte besonders viel Musik liegen. Die Offenheit, selbstentwickelte Infrastruktur auch anderen Playern im Markt anzubieten, gehört seit jeher zur Otto-Kultur, und in Sachen Ertragsgenerierung liefert Amazon mit AWS die Blaupause.
About You ist der vorläufige Höhepunkt einer Welle von Online-IPOs. Zuletzt gingen Mytheresa, Fashionette und die Resale-Marktplätze Poshmark und Thredup public. Seit dieser Woche wird auch der britische Möbelhändler made.com an der Börse gehandelt, noch im Juni wird Bike 24 folgen. Signa Sports United, der Online-Optiker Mister Spex, der Modediscounter Shein und die Mode-Suchmaschine Lyst haben IPOs angekündigt. Auch Spreadshirt und MyMuesli werden als Börsenkandidaten gehandelt. Und wer weiß, ob Permira demnächst nicht auch Best Secret aufs Parkett schickt.
Die Ausgangslage für die Börsenaspiranten ist historisch einmalig. Die Börse boomt. Kapital schreit im Niedrigzinsumfeld nach Anlage. Der DAX reisst eine Rekordlatte nach der anderen. Dazu kommt die Pandemie, die den Online Playern gewaltige Wachstumsraten beschert hat, was sich in Investorenkonferenzen natürlich super auf Powerpoint-Charts macht. Die Börsennotierten haben allesamt massiv vom Lockdown profitiert. Amazon ist seit dem vergangenen Frühjahr um über 70 Prozent im Wert gewachsen. Zalando hat seine Bewertung seit März 2020 verdreifacht, Westwing hat sich verfünffacht, Farfetch sogar versechsfacht.
Aber das wird nicht ewig so weitergehen. Nach Corona werden die Menschen auch wieder woanders kaufen können, was die Wachstumsraten der Onliner zwangsläufig kleiner werden lassen wird. Einen kleinen Vorgeschmack gab es im November letzten Jahres. Mit den ersten Meldungen von einem Durchbruch bei den Impfstoffen sind die Kurse der Online-Anbieter gleich mal abgesackt. Über kurz oder lang werden die Investoren wieder genauer hinsehen. Die Beispiele von made.com diese Woche und Deliveroo im April zeigen, dass Börsengänge keineswegs automatisch zum Selbstläufer werden.
Ein spannender Fall ist in diesem Zusammenhang Signa Sports United. Die Signa-Retail-Tochter wird unter Auferbietung sämtlicher angesagter Buzzwords als „Leading Global Sports E‑Commerce and Technology-Plattform“ angepriesen. Tatsächlich handelt es sich um ein Sammelsurium von diversen über Jahre zusammengekauften Onlineshops, das nur im Fahrrad-Markt und bei Tennis wirkliches Gewicht auf die Waage bringt. Und das nun auch noch die wenig transparente Abkürzung über eine SPAC nimmt. Doch Fantasie war an der Börse stets noch wichtiger als Substanz. Und professionelle Storyteller können zurzeit mit offenen Ohren rechnen.